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Eine Partei ohne Kultur
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
07.02.2020

„Knallhart nachgefragt“ – das ist die rechte Haltung eines guten Journalisten, wie wir sie von Hape Kerkelings „Horst Schlämmer“ vorgeführt bekommen haben. Daran habe ich mir ein Beispiel genommen und Kontakt zur AfD aufgenommen. Im November 2018 hatte ich gemeinsam mit Olaf Zimmermann, dem Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, eine öffentliche Debatte mit zwei Bundestagsabgeordneten der AfD geführt. Marc Jongen und Martin Renner hatten auf zwölf Seiten die „15 Thesen zu kultureller Integration und Zusammenhalt“, die wir gemeinsam mit vielen anderen erarbeitet hatten, einer scharfen Ideologiekritik unterzogen. Das bot Anlass zu einer Debatte. Richtig viel erbracht hat sie nicht, aber immerhin ein Punkt ist mir in Erinnerung geblieben.

Die AfD-Politiker warfen uns vor, wir würden mit unseren Thesen die Identität deutscher Kultur relativistisch auflösen. Dabei gebe es doch eine Substanz nationaler Kultur, die unbedingt zu verteidigen sei. Nun kann man diese Position durchaus beziehen, nur muss man dann auch präzise sagen, worin diese Identität denn inhaltlich besteht. Und da werden AfD-Politiker entweder sehr redselig – indem sie alles Mögliche willkürlich aufzählen von Goethe bis zur Leberwurst – oder sehr aggressiv – indem sie die polemische Abkürzung nehmen und erklären: deutsch ≠ Islam – oder sie verstummen. Letzteres geschah damals bei unserer Debatte. Auf unseren Einwand, dass sie nur eine auf rechts gedrehte Ideologiekritik formulieren würden, ohne selbst darzulegen, worin denn nun für sie die kulturelle Identität unserer Nation bestünde, erklärte Herr Jongen in guter Politikermanier, dazu würde man in der AfD-Fraktion ein Papier vorbereiten.

Auf dieses Papier warten wir immer noch. Vor zwei, drei Monaten haben wir deshalb Herrn Jongen einen Brief geschrieben mit der Frage, wann wir mit diesem Papier rechnen dürften. Eigentlich müsste das doch ein Klacks für eine Partei sein, die wieder und wieder eine spezifisch deutsche Kultur beschwört. Das Büro von Herrn Jongen bestätigte höflich den Eingang unseres Schreibens und versprach eine baldige inhaltliche Antwort. Doch wir warten immer noch.

Womit sich wieder einmal zeigt, dass die größten Kritiker des vermeintlichen liberalen Kulturrelativismus selbst erhebliche Schwierigkeiten damit haben, deutsche Kultur inhaltlich zu bestimmen. Was nicht verwundert, denn die AfD vereinigt die unterschiedlichsten Positionen in sich. Für Martin Renner zum Beispiel dürfte ein vorkonziliarer Katholizismus zur deutschen Kultur gehören, für den Sloterdijk-Schüler Marc Jongen dagegen hätte das Christentum für sein Kulturverständnis eher keine Bedeutung. Diese internen Gegensätze werden zurzeit noch überdeckt durch Wahlerfolge und die gemeinsame Frontstellung gegen andere. Ob daraus eine grundsätzlich überzeugende, dauerhaft tragfähige und im Konkreten hilfreiche Kulturpolitik erwächst, würde ich mir allerdings zu bezweifeln erlauben.

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