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Der doppelte Fontane: der helle und der dunkle
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
27.03.2019

Fontane ist wohl der beliebteste Literaturklassiker der Deutschen. Wer ihn persönlich näher kennenlernen möchte, sollte eine Auswahl der Briefe lesen, die er sich mit seiner Frau Emilie geschrieben hat. Sie trägt den schönen Titel „Die Zuneigung ist etwas Rätselhaftes“. Fast 50 Jahre lang waren sie verheiratet. Ganz leicht war das nicht. Das gemeinsame Leben war oft ärmlich und unsicher. Das ist der Preis für die Freiheit eines Schriftstellers, den vor allem Emilie bezahlen musste. Hinzu kam, dass Theodor seine Grundeinstellung einmal so beschrieben hat: „Egoistisch bin ich, aber nicht lieblos.“ Aber es finden sich in diesem Buch auch wunderbare Sätze: „Ich kann mir nicht helfen, ich finde Geld, so lange man genug zu einem bescheiden-anständigen Leben hat, gleichgültig. Ein guter Magen und guter Schlaf sind viel wichtiger zu dem, was man Glück nennt.“ Oder: „Leicht zu leben ohne Leichtsinn, heiter zu sein ohne Ausgelassenheit, Mut zu haben ohne Übermut, Vertrauen und freudige Ergebung zu zeigen ohne Fatalismus – das ist die Kunst des Lebens.“

Noch  besser als im wirklichen Briefleben hat Fontane in seinen Romanen über die Ehe geschrieben. So lässt er in „Unwiederbringlich“ Pastor Schleppegrell sagen: „Man muß sich untereinander helfen, das ist eigentlich das Beste von der Ehe. Sich helfen und unterstützen und vor allem nachsichtig sein und sich in das Recht des andern einleben. Denn was ist Recht? Es schwankt eigentlich immer. Aber Nachgiebigkeit, einem guten Menschen gegenüber, ist immer recht.“ Irgendetwas von dieser Wahrheit muss Fontane, aller Selbstsucht zum Trotz, in seiner Ehe umgesetzt haben. Sonst hätte Emilie, als sie an sein Totenbett trat, nicht gesagt: „Es war ein schönes Leben mit ihm, ich würde es gleich noch einmal beginnen.“

Aber vor wenigen Tagen habe ich auch eine böse Entdeckung gemacht. Allgemein bekannt ist, dass vor allem der alte Fontane judenfeindliche Ressentiments gehabt und sich in Briefen sehr hässlich geäußert hat. Doch hatte ich der Sekundärliteratur entnommen, dass Fontane seine Judenfeindlichkeit zwar privat „gepflegt“, aber nicht in seine Romane habe einfließen lassen – jedenfalls viel weniger als zeitgenössische Kollegen wie Gustav Freytag. Nun aber lese ich gerade einen dicken Band mit all seinen Gedichten. Viele Verse haben mich mit ihrer kunstvoll-volkstümlichen, aber auch ironischen Menschenfreundlichkeit angesprochen. Dann aber bin ich auf Seite 423 auf eine Ballade mit dem Titel „Die Jüdin“ gestoßen. Sie erzählt, wie eine junge Jüdin einen Christenknaben mit einem roten Apfel in ihr Haus lockt, ihn mit einem silbernen Messer ermordet und anschließend in einem Brunnen versenkt, so dass die christliche Mutter ihn vergeblich sucht. Ein sentimentales Schauermärchen, das aus dem Motiv-Kloake des Antisemitismus schöpft. Auch das ist also Fontane.

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