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Eine letzte Meldung zur Kreuzes-Debatte (zwei ernste "fun facts" inklusive)
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
10.06.2018

Man sollte den aktuellen Streit um’s Kreuz nicht als nationale, sondern als regionale Angelegenheit betrachten. Dann erst geht einem auf, was an der Sache komisch ist (und deshalb ernsthaft bedacht werden sollte). Dazu zwei fun facts.

1. Als die ersten, radikalen Protestanten ihre Kirchen von Bildern säuberten, entfernten und zerstörten sie nicht nur Heiligen- und Marienstatuen und -gemälde. Ihre fromme Wut richtete sich mit großer Vorliebe auch gegen Kreuze in Kirchen. Kruzifixe wurden von den Altären gerissen, zerhackt und im besseren Fall an die Armen als Brennholz verteilt. Manche Kreuze aber wurden auf dem Marktplatz selbst rituell gekreuzigt oder im Wirtshaus „zum Saufen gezwungen“. In Ulm soll sich 1534 ein Bürger sogar über einem abgerissenen Kruzifix entleert haben. Martin Luther und die Vertreter einer geordneten Reformation unterdrückten diese Kreuzeszerstörungen schnell. Doch ein protestantischer Vorbehalt gegen einen übermäßigen Einsatz dieses Symbols blieb. So sucht man das Kreuz noch heute in vielen reformierten Kirchen vergeblich. Und Wegkreuze findet man fast nur in katholischen Landstrichen. Deshalb ist es so seltsam, dass der evangelische Franke Markus Söder in staatlichen Gebäuden Kreuze aufhängen lässt, während der katholische Kardinal dies scharf kritisiert. Man könnte darin einen Beleg dafür sehen, dass ernsthafte religiöse Gedanken mit dieser Aktion eher nicht verbunden waren.

2. Die Sache ist eindeutig: Der deutsche Staat ist weltanschauungsneutral, aber religionsfreundlich. Christliche Symbole gehören nicht in staatliche Institutionen, haben aber einen guten Ort im individuellen Leben sowie im öffentlichen Raum. So will es das Grundgesetz. Doch der Freistaat Bayern hat der Verfassung nie offiziell zugestimmt. In der Nacht vom 19. auf den 20. Mai 1949 lehnte es als einziges Bundesland der neuen Republik das Grundgesetz ab. Es gilt dort aber trotzdem, weil Bayern sich damals der Mehrheit der anderen Bundesländer fügte. Nun brauchen wir gegenwärtig dringend eine neue Bekräftigung dessen, was für alle Menschen in Deutschland gelten soll: das Grundgesetz. Ist es da nicht überfällig, dass der bayerische Landtag in einer Sondersitzung endlich dem Grundgesetz explizit und vorbehaltlos zustimmt? Wäre das nicht sinnvoller als die symbolpolitische Neumöblierung von Amtsstuben?

P.S.: Das Foto oben stammt aus der Heiliggeistkirche in Heidelberg.

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