Blog: Antisemitismus-Streit bei Kirchentag in Nürnberg

Kurioser Konflikt

dekt

Der Deutsche Evangelische Kirchentag ist das größte religiöse Gesprächsforum der Welt. Derzeit gibt es dort einen Konflikt, der auf den ersten Blick gar keinen Sinn ergibt, auf den zweiten Blick aber Problematisches zu Tage fördert.

Darum geht es: Der Verein „Flüchtlingskinder aus dem Libanon“ hat 2008 eine „Ausstellung“ über die Anfänge des israelisch-palästinischen Konflikts produziert – es handelt sich um 14 Folien mit Fotos und Texten –, die er seither durch Deutschland reisen lässt. Beim „Markt der Möglichkeiten“ früherer Kirchentage konnte er diese „Ausstellung“ schon mehrfach zeigen. Da es inzwischen ein erhöhtes Problembewusstsein gibt, was Ausstellungen zu Israel angeht, prüft der Kirchentag solche Einreichungen und hat dem Verein für das diesjährige Treffen in Nürnberg abgesagt. Einen Stand darf er haben, die „Ausstellung“ ist nicht willkommen.

Nun klagt der Verein heftig über Zensur und mobilisiert seine Unterstützerszene: Der Kirchentag verletze das Recht auf freie Meinungsäußerung. Der Kirchentag hat seine Entscheidung nicht begründet. Das tut er in solchen Fällen nie. Grundsätzlich bin ich dafür, dass solche Entscheidungen inhaltlich begründet werden. Aber hier kann ich die Verantwortlichen verstehen, denn der Kirchentag ist ein ziemlicher Magnet für Rechthabereien aller Art (das musste mal gesagt werden): Es würde endlose Debatten geben.

Wer sich einen Eindruck über diese „Ausstellung“ verschaffen will, kann hier klicken. Und hier kann man nachlesen, was die Deutsch-Israelische Gesellschaft dazu geschrieben hat.

Darum also geht es. Darum also geht es nicht. Denn es stellen sich andere Fragen. Wie kommen Menschen dazu, eine 15 Jahre alte „Ausstellung“ wieder und wieder durch die Lande zu fahren? Sehen sie nicht, wie veraltet schon das Layout wirkt? Bemerken sie nicht, dass sich die Diskussionslage verändert hat? Ich jedenfalls würde mich nicht trauen, mich mit einem so veralteten Artefakt irgendwo zu bewerben. Und ich würde bei einer Absage sicherlich nicht behaupten, das Grundgesetz sei in Gefahr.

Bei diesem und vergleichbaren Konflikten sollte man diese Regel beherzigen: Wenn wir Deutschen über Israel und Palästina sprechen, sprechen wir nie nur über Israel und Palästina, sondern vor allem über uns selbst; nur wenn wir dies bedenken, können wir unsere schreckliche deutsche Rechthaberei halbwegs begrenzen und vermeiden, dass wir in die Falle eines linksprotestantischen Antisemitismus gegen Israel tappen.

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Johann Hinrich Claussen ist Kulturbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland. Das heißt, er kümmert sich um das Gespräch zwischen Kirche und Kultur.

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