Blog posthum von Karin Lackus: Kein Wartezimmer für die Seelsorge

Warten, warten, warten...
Warten, warten, warten...

Addictive Stock/Photocase

Unsere Autorin Karin Lackus ist Ende April gestorben. Ihr Blog war ihr sehr wichtig. Sie wollte erzählen und mitteilen, wie es ihr als Kranke geht. In Absprache mit der Familie von Karin Lackus veröffentlichen wir hier ihre letzten Texte, die sie noch vor ihrem Tod geschrieben hat. Wir gedenken ihrer mit Trauer und großem Respekt für diesen Mut, auch über das eigene Lebensende hinaus.

Kaum hatte ich im Wartezimmer Platz genommen, wurde ich schon in das Arztzimmer gebeten. „Ich bevorzuge grundsätzlich Krebspatient*innen, ich weiß ja, wie viel Zeit Sie mit Warten verbringen“, erklärte mir die Ärztin.

Ich ahne, dass das nicht alle gerecht finden werden, die ihren Arzttermin in einen geschäftigen Alltag quetschen müssen. Doch ich freute mich sehr über dieses wertschätzende und mitfühlende Vorgehen der Ärztin. Kranke Menschen warten oft und lang, auf ein Arztgespräch, eine Blutabnahme, eine Röntgenuntersuchung, auf die Laborergebnisse, auf heilende Prozesse, auf den nächsten Morgen und vieles mehr.

Im Eingangsbereich eines Krankenhauses kann man die unterschiedlichen Geschwindigkeiten gesunder und kranker Menschen genau beobachten. Da gibt es die mit den schnellen Schritten, Besucher*innen, die nach der Arbeit nochmal kurz vorbeikommen und Mitarbeitende des Krankenhauses, die es sichtlich eilig haben. Und es gibt die anderen, die Langsamen mit wahllosen Schritten, die absichtslos hin- und hergehen.

Fraglos ist es im Gesundheitsbereich unvermeidlich, dass Patient*innen warten. Selbst bei optimaler Organisation gibt es Notfälle und unerwartete längere Behandlungen, medizinische Arbeit lässt sich nicht auf die Minute genau ausrechnen. Aber nicht jedes stundenlange Warten lässt sich wirklich gut damit erklären, dass Leben zu retten ist und Notfälle zu behandeln sind.  

Kommt hinzu: Wenn ich fast drei Stunden auf ein Anästhesiegespräch warten musste, dann sind alle Fragen aus meinem Kopf verschwunden. Und das ist besonders absurd, denn die Arztzeit hab ich mir ja kostbar "erwartet" und auch der Arzt oder die Ärztin wollen nicht immer nur hetzen. Doch ich bin derartig genervt, dass ich einfach nur noch weg will.

Zu einem ähnlich knappen Gut im durchorganisierten schnellen Medizinbetrieb kann sich aber offensichtlich auch die Seelsorge verwandeln. Ein Palliativpatient erzählte mir von seinem Telefonat mit einem Kollegen an einer Universitätsklinik. Die evangelische Kollegin sei leider gerade im Urlaub, hörte er, aber er werde versuchen, in den nächsten Tagen vorbeizuschauen. Es könne aber auch erst nächste Woche werden, fügte er an.  

Seelsorge, die warten lässt, macht sich unglaubwürdig

Nach dieser Auskunft wollte der Patient nichts mehr von der Seelsorge.  

Natürlich haben auch Seelsorgende nicht immer Zeit, fahren in Urlaub, werden krank, sitzen in Konferenzen, schreiben Predigten und führen vielfältige andere Gespräche. Aber es sind keine Notärzte, Seelsorgende  können in der alltäglichen Arbeit zwischen extrem wichtig und weniger dringend unterscheiden.

Eine katholische Kollegin erzählte, dass Priester früher für Schwerkranke und Sterbende immer Zeit gehabt hätten. Es sei für die Gemeinde einfach selbstverständlich gewesen, dass der Priester in solchen Situationen alles liegen und stehen lässt und zu dem Menschen eilt, der im Sterben liegt.

Aus meiner Sicht ist das vorbildlich. Wer schwerkrank um ein Gespräch bittet, wartet eben nicht auf nächste Woche. Wenn Seelsorge auf sich warten lässt und sich so dem eng getakteten Medizinbetrieb anpasst, macht sie sich unglaubwürdig und damit letztlich überflüssig.

Neue Lesermeinung schreiben

Wir freuen uns über einen anregenden Meinungsaustausch. Wir begrüßen mutige Meinungen. Bitte stützen Sie sie mit Argumenten und belegen Sie sie nachvollziehbar. Vielen Dank! Damit der Austausch für alle ein Gewinn ist, haben wir Regeln:

  • keine werblichen Inhalte
  • keine Obszönitäten, Pornografie und Hasspropaganda
  • wir beleidigen oder diskriminieren niemanden
  • keine nicht nachprüfbaren Tatsachenbehauptungen
  • Links zu externen Webseiten müssen zu seriösen journalistischen Quellen führen oder im Zweifel mit einem vertretbaren Prüfaufwand für die Redaktion verbunden sein.

Die Redaktion behält sich das Recht vor, Beiträge zu bearbeiten, macht dies aber stets kenntlich. Wir zensieren nicht, wir moderieren.
Wir prüfen alle Beiträge vor Veröffentlichung. Es besteht kein Recht auf Publikation eines Kommentars.

Über diesen Blog

Als Klinikseelsorgerin und Krebspatientin kannte Pfarrerin Karin Lackus den medizinischen Alltag unterschiedlichen Perspektiven und hat darüber gebloggt. Ende April 2023 ist Karin Lackus gestorben. Der Blog bleibt online, und in Absprache mit den Angehörigen haben wir an noch einige Texte veröffentlicht, die Karin Lackus vor ihrem Tod verfasst hat.

Karin Lackus
Als Klinikseelsorgerin besuchte Karin Lackus täglich schwerkranke Menschen. Eine eigene Krebsdiagnose beendete von heute auf morgen diese Berufstätigkeit. Darüber schrieb sie in ihrem Blog auf chrismon.de Ende April ist Karin Lackus gestorben. Ein großer Verlust für uns und unsere Leser*innen. Der Blog bleibt online, und in Absprache mit den Angehörigen haben wir an dieser Stelle noch einige Texte veröffentlicht,die Karin Lackus vor ihrem Tod verfasst hat.

Blogs auf chrismon.de

Hier finden Sie eine Übersicht aller Blogs auf chrismon.de
Und hier können Sie alle Blogs direkt abonnieren

Blogs

Text:
Johann Hinrich Claussen
297 Beiträge

Auch das Überflüssige ist lebens­notwendig: Der Autor und Theologe Johann Hinrich Claussen reist durch die Weiten von Kunst und Kultur

Text:
12 Beiträge

Sarah Zapf kommt aus Annaberg-Buchholz in Sachsen. Der untergegangene Staat prägte Sarahs Kindheit, ihr Familienleben, ihre Jugend. Davon, und von ihrem aus Tschechien stammenden Großvater erzählt sie in ihrem Blog Ostwärts

Text:
Susanne Breit-Keßler
229 Beiträge

Essen und Trinken hält Leib und ­Seele zusammen. Und darüber Neues zu lesen, macht den Geist fit. Susanne Breit-Keßler wünscht Guten Appetit!

Text:
8 Beiträge

Wer bin ich, wenn ich keine Heimatgefühle mehr habe? Was machen Krieg und Flüchtingsdasein mit mir? Darüber bloggt die ukrainisch-georgische Schriftstellerin Tamriko Sholi in Transitraum

 

Text:
1 Beiträge

"Wir müssen die Schöpfung bewahren!“ Da sind wir uns alle einig. Doch was heißt das konkret? Nils Husmann findet, wer die Schöpfung bewahren will, sollte wissen, was eine Kilowattstunde ist oder wie wir Strom aus Sonne und Wind speichern können – um nur zwei Beispiele zu nennen. Darüber bloggt er - und über Menschen und Ideen, die Hoffnung machen. Auch, aber nicht nur aus Kirchenkreisen.

Text:
35 Beiträge

Als Klinikseelsorgerin und Krebspatientin kannte Pfarrerin Karin Lackus den medizinischen Alltag unterschiedlichen Perspektiven und hat darüber gebloggt. Ende April 2023 ist Karin Lackus gestorben. Der Blog bleibt online, und in Absprache mit den Angehörigen haben wir an noch einige Texte veröffentlicht, die Karin Lackus vor ihrem Tod verfasst hat.

Text:
78 Beiträge

Dorothea Heintze lebt in einer Baugemeinschaft in Hamburg und weiß aus eigener Erfahrung: Das eigene Wohnglück finden ist gar nicht so einfach. Dabei gibt es tolle, neue Modelle. Aber viele kennen die nicht. Und die Politik hinkt der Entwicklung sowieso hinterher. Über all das schreibt sie hier.

Text:
42 Beiträge

Die afghanische Frauenrechtlerin Tahora Husaini hat in Berlin Zuflucht gefunden. Oft ist sie mit ihren Gedanken in ihrer Heimat, bei ihrer Familie, bei den hochragenden Bergen um Kabul. In ihrem Blog nimmt sie uns mit.

Text:
Franz Alt
266 Beiträge

„Lust auf Zukunft“ will unser Kolumnist Franz Alt vermitteln. Ob Energie, Politik, Gesellschaft, Familie oder Umwelt - überall ist der Wandel möglich und durch den Wandel eine bessere Welt für uns alle