Foto: Elias Hassos
Und schade, dass der Besuch nach so einer Begrüßung keinen Spaß mehr macht...
17.02.2012

Warum liegen manche Menschen immer knapp daneben – neben ihrem eigenen Glück? Da wartet die Mutter sehnsüchtig auf den Besuch der Tochter. Kaum hat diese ihr kleines Wochenendgepäck aus dem Kofferraum gehievt, sagt die Mama: „Schade, dass du so bald schon wieder fahren musst!“ Das Zusammensein ist überschattet von dieser merkwürdigen Begrüßung, die eher einer vorzeitigen Verabschiedung gleicht.

Die Lust der Tochter, bald wiederzukommen, ist auch nicht gerade gestiegen. Eine ähnliche Szene: Zwei Freunde haben es nicht immer ganz leicht miteinander. Im Moment lauert jeder darauf, dass der andere den ersten Schritt tut und anruft. Fragt man einen der beiden, warum er nicht einfach zum Hörer greift und alle Differenzen zackig aus der Welt schafft, bekommt man zu hören: „Da kann er lange warten – er ist dran, nicht ich!“

Manche wollen sich keine Blöße geben

„Alle Gelegenheit, glücklich zu werden, hilft nichts, wer den Verstand nicht hat, sie zu benutzen“, sagt der Schriftsteller Johann Peter Hebel. Manchmal kommt der Verstand nicht so recht gegen unterschwellige Gefühle an. Wer am Beginn einer lange erhofften Begegnung an deren Ende denkt, greift vielleicht aus trauriger Erfahrung der späteren neuerlichen Einsamkeit vor.

Man war ­alleine und wird es wieder sein... Man kann deswegen nicht genießen, was der Augenblick gerade Schönes bringt. Andere ­wollen sich keine Blöße damit geben, dass sie sich als Erste melden und sozusagen klein beigeben – wie stünde man denn dann da! Ewig lang können sich solche Spielchen hinziehen und den Be­teiligten schaden. Aber es ist vergeudete Lebenszeit, wenn einem jede Freude wegen der Aussicht auf die nächste Zeit vergällt ist oder man aus Sturheit auf gemeinsame Unternehmungen verzichtet.

Die Lust auf Distanz genußvoll ausleben

Was kann man tun, damit man den richtigen Draht zueinander möglichst schnell findet? Damit man nicht zur Unzeit vor oder hinter sich, in Vergangenheit oder Zukunft greift und dabei ­hängenbleibt, statt in der Gegenwart zu leben? Es braucht zunächst einen guten Draht zu sich selbst. Man sollte sich die eigenen Gefühle eingestehen, wenn sie dran sind – sie nicht aufbewahren, um sie loszulassen, wenn es nicht passt.

Also: Wer einsam ist, kann das erst mal vor sich zugeben, wenn er für sich ist – es vielleicht beklagen, beweinen und dabei Ideen entwickeln, wie solche Einsamkeit bewältigt werden könnte. Wer Lust auf Distanz statt Nähe hat, soll sie genussvoll ausleben – aber sie nicht demonstrativ vor sich hertragen, um anderen beleidigt eine Lehre zu verpassen. Das wirkt sowieso nicht, jedenfalls nicht auf Dauer.

Der erste Schritt ist nicht so schwer

Als Nächstes ist es sinnvoll, diese Gefühle, die man nach genauer Betrachtung gut kennt, mit anderen zu teilen. Die Mutter kann mit der Tochter irgendwann vertraut reden und erzählen, wie es ihr geht. Möglicherweise lassen sich Absprachen über regelmäßige Telefonate treffen, der Mama wird ein PC eingerichtet, auf dem sie per Kamera mit der Familie kommunizieren und sich auch sonst ein bisschen in der Welt herumtreiben kann. Oder man sucht miteinander Angebote der Kirchengemeinde aus. Auch nach geraumer Zeit den ersten Schritt zu tun, ist in Wahrheit nicht schwer.

Man kann sagen: „Wollen wir uns nicht mal wieder treffen? Ich sag dir auch, warum ich mich so lange nicht gemeldet habe...“ So lernt man auch sich selber besser kennen, lernt, mit eigenen Tiefen umzugehen und andere souverän daran teilhaben zu lassen. Man kann ja auch Schriftsteller durch eigene Lebenspraxis wider­legen: „Ich ergreife jede Gelegenheit, glücklich zu werden, weil ich Verstand und Gefühl habe, sie zu nutzen.“

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Sehr geehrte Frau Keßler,

zu dem von Ihnen verfassten Artikel fiel mir spontan ein Satz ein, den mir vor vielen Jahren ein Kommilitone gesagt hat. Es soll ein Zitat Shakespeares sein. Er lautet:

Lass mich glücklich sein im Jetzt. Ohne die lähmende Erinnerung an das Vergangene und ohne die Furcht vor der Zukunft. So dass wir aus den Nesseln der Angst die Blume der Sicherheit pflücken können.

Der Artikel hat mir sehr gut gefallen und mir selbst auch viele Denkanstöße gegeben.

                   Mit freundlichen Grüßen
                                 

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