Und wer sollte sich wirklich glücklich schätzen?
15.11.2010

Alles kann man lernen: lesen, schreiben, Schlittschuh laufen, kochen, Rock 'n' Roll tanzen, Russisch sprechen, Blumen stecken, fliegen und malen. Man soll mit Hilfe von Büchern sogar Liebestechniken erlernen können, wobei das Wort Technik möglicherweise ein Problem markiert. Aber kann man wirklich lernen, glücklich zu sein? Alles Erlernte zielt auf bestimmte Aktivitäten ab: Man schmökert in einem Krimi, plaudert mit Angehörigen anderer Nationen oder stählt die Muskeln. Glücklich sein ist aber keine Aktion, sondern ein Zustand. Einen Zustand kann man nicht erlernen, bestenfalls kann man sich ihm durch geduldiges Einüben langsam annähern.

Aber halt: Darf man überhaupt danach streben, glücklich zu sein? Die amerikanischeVerfassung immerhin garantiert jedem das Recht, sein Glück zu suchen. Aber ist dieses Recht eigentlich auch für Christen selbstverständlich? Oder sollten sie in einer Zeit, in der sich alles nur um "happiness" (Glück) und "fun" (Spaß) zu drehen scheint, ihr eigenes Glück nicht so wichtig nehmen? Tatsächlich haben manche Moralapostel etwas gegen das Glück: "Das Wörtchen Glück (...) ist gesalzen und gewürzt und gekräutert von Lebensgier und Lieblosigkeit." So küchenfertig umschrieb beispielsweise ein Theologe seine Abwehr. Vielleicht war er besorgt, dass das Streben nach Glück, die Erlaubnis, "sein Glück zu machen", Menschen egoistisch werden lässt.

Glücklich wird, wer sich und damit auch andere sein lassen kann

Aber der unbeirrbare Glaube an das Evangelium, die "Frohe Botschaft", zwingt zu energischem Widerspruch gegenüber aller Verdrießlichkeit. Es ist nicht lange her, dass Weihnachten war. Gott, so bekannte die Christenheit gerade eben wieder fröhlich, ist wahrer Mensch geworden. Dazu gehört nicht allein Nächstenliebe und die Bereitschaft zu vergeben. Ein wahrer Mensch, selbst wenn es Gott ist, lacht, scherzt, ist wenigstens gelegentlich glücklich. Immerhin hat Jesus persönlich auf einer Hochzeit Wasser in Wein verwandelt. Das spricht nicht für miese Laune.

Aber sich zu freuen kann man auch verlernen. Wer früh beigebracht bekommt, seine Wünsche in Frage zu stellen, den eigenen Fähigkeiten zu misstrauen, wird sich selbst gegenüber misstrauisch. So trampelt man das kleine oder sogar das große Glück kaputt, das einem zugedacht war. Wunderbarer Sonnenschein lockt zu einem Winterspaziergang? Ach nein, es wird gewiss bald Matsch sein oder spiegelglatt. Der oder die Liebste möchte sich ein Leben zu zweit trauen? Warum denn jetzt schon, besser noch abwarten, vielleicht nächstes Jahr... "Alle Gelegenheit, glücklich zu werden, hilft nichts, wer den Verstand nicht hat, sie zu benutzen", sagt der Schriftsteller Johann Peter Hebel treffend. Man kann sein Glück verpassen oder man zerstört sogar, was einem an Glück geradezu auf dem Silbertablett serviert wird.

Die Gesellschaft, in der wir leben, trägt keine depressiven Dackel-falten. Sie hat die Nörgelei nicht institutionalisiert, sondern macht lebensbejahende, heiter stimmende Angebote. Fünf-Sterne-Hotels bieten "Wellness"-Tage und -Wochen an, die zum körperlichen und seelischen Wohlbefinden beitragen. Hinein ins Heubett und das Rasulbad, her mit Ayurveda-Feeling! Wer Güter sein Eigen nennt, Ruhm und Ehre einheimst, Schönes erlebt, der hat Glück.

Glück haben ist etwas anderes als glücklich sein.

Bloß: Glück haben ist etwas anderes als glücklich sein. Ob all dies glücklich macht, ist noch längst nicht gesagt. Was aber macht inwendig glücklich, wenn es nicht der äußere Besitz oder sehr besondere Ereignisse sind?

Kluge Menschen sagen: Glück ist die innere Verfassung eines Menschen, der recht handelt und dadurch zufrieden ist. Dazu kommen zwei äußere Bedingungen: Es braucht Freunde, die das Glück mit einem teilen, und eine Gesellschaft, die ein würdiges Zusammenleben freier Menschen gewährleistet. Statt ihr Leben in enger Gemeinschaft mit anderen zu führen, ziehen manche den Rückzug in die Innerlichkeit vor ­ man spinnt sich ein, um glücklich zu werden. "Cocooning" ist das Trendwort dafür. Aber völlig losgelöst von der Erde bedeutet das Leben genauso wenig pures Glück wie dann, wenn man nur in der Erfüllung seiner Pflichten aufgeht.

Es braucht Gelassenheit, Verantwortung für das eigene Leben und Engagement für das der anderen, um glücklich zu sein. Glücklich kann sein, wer daran glaubt, dass er oder sie trotz allem, was ihm zum Supermann und ihr zur Power-Frau fehlt, recht ist. "Glücklich sein heißt, ohne Schrecken seiner selbst innewerden zu können", hat der Philosoph Walter Benjamin dazu passend formuliert ­ auch wenn ein anfänglicher Schrecken bei einer tief gehenden Selbstbegegnung manchmal unvermeidbar und eher heilsam ist.

Glücklich ist deshalb, wer trauern und sich den eigenen Gefühlen überlassen kann, auch denen des Schmerzes; wer die Unfähigkeit zu trauern und den Zwang zu ewig grinsender Tüchtigkeit überwindet. Wer zu weinen lernt über eigenes und fremdes Leid, der entwickelt Sensibilität für das, was Menschen bedroht, gefährdet und zerstört. Glücklich sind die, die Gespür für andere haben. Glücklich auch, die bescheiden und voller Respekt anderen begegnen, statt sie mit Worten herabzusetzen oder sie gar mit Gewalt aus dem Weg zu räumen suchen. Glücklich, wer leben lassen und sich an dem freuen kann, was Gott geschaffen hat. Glücklich wird, wer sich und damit auch andere sein lassen kann.

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