15.11.2010

Von der Hochzeit ihres deutschen Sohnes mit einer Iranerin kam die Mutter etwas überrascht zurück. Im Rahmen der muslimischen Feierlichkeiten war ihr nach einem alten Brauch symbolisch der Mund zugenäht worden: Sie soll sich heraushalten aus der Ehe der Kinder. Nun ist die Dame eine Frau von Welt, die ihre Schwiegertochter von ganzem Herzen respektiert. Eine Einmischung ist nicht zu befürchten. Leider stehen Schwiegermütter aber insgesamt unter dem häufig gewitzelten Verdacht, ungefragt zu allem und jedem ihren Senf dazuzugeben.

Dabei ist es womöglich heilsam, wenn (Schwieger-)Eltern einem offen die Meinung sagen. Schließlich kann alles Leben in eine Schieflage geraten, jede Biographie einen gewaltigen Knacks bekommen: Die Sucht nach Alkohol, Sex oder Arbeit, finanzielle Krisen, grenzenlose Trauer um eine verlorene Liebe, schwere Krankheit ­ all das führt eventuell dazu, in einer ruinösen Talfahrt abwärts zu sausen, sich und andere zu gefährden. Wer einen oder zwei vertraute Menschen hat, die einem aus "alter" Liebe heraus ungeschminkt die Wahrheit sagen, kann sich glücklich preisen.

Manchmal ist es aber tatsächlich nicht leicht, unerwünschte Einmischung aus der eigenen Ehe und Familie fern zu halten. Die Mutter, eine perfekte Hausfrau, zupft beim Besuch kurz an den Gardinen und sagt: "Kind, die solltest du mal wieder waschen." Der Vater, inzwischen Opa, empört sich über die tobenden Enkel ­ er erzog seine Kinder damals anders. Es hat schon Eltern gegeben, die den Hausmüll durchsucht haben, um sich darüber zu entrüsten, was die Kinder an Brauchbarem wegwerfen.

Bauernsöhne finden manchmal nur deswegen keine Frau, weil nur wenige weibliche Wesen es auf Dauer ertragen können, dass die Schwiegereltern mit auf dem Hof leben und allein das Sagen haben, auch wenn sie den Besitz längst übergeben haben und "im Austrag" leben. Ein Bauernsohn hat einmal den Vater vom Mähdrescher heruntergezogen und ihm alle Schlüssel abgenommen, weil der im Ruhestand immer noch nach seinem Gutdünken auf dem Hof geschaltet und gewaltet hatte.

In manchen Kulturen der Erde geht das Mitspracherecht der Eltern viel weiter. Töchter und Söhne werden im zarten Kindesalter anderen versprochen, Mitgift wird ausgehandelt, nichts ist es mit freier Partnerwahl, unserem bürgerlichen Ideal einer Liebesheirat. Mancherorts hat die Frau kein Selbstbestimmungsrecht, weil sie von der elterlichen Herrschaft sofort in das Machtgefüge der Familie ihres Mannes übergeben wird. Sie verliert sogar ihr Leben, wenn der Gatte das Zeitliche segnet. Es fällt schwer, dies unter "andere Völker, andere Sitten" zu verbuchen.

Eltern mischen sich ein, weniger, weil sie nicht loslassen wollen. Sondern vor allem, weil sie sich sorgen, die Kinder könnten sich blamieren, sie könnten Sitte und Anstand verletzen. Was sie tun oder lassen, soll nicht zum Stein des Anstoßes werden. Andere Eltern möchten nicht zum alten Eisen gehören, sie geben sich betont jugendlich, um zu signalisieren: Wir sind euch nah, wir passen zu euch. Das ist nicht weniger unangenehm, als wenn sich Eltern besserwisserisch zu Fragen des täglichen Lebens äußern.

Die entscheidende Frage ist aber nicht, wer sich wann einmischt. Das lässt sich zur Not mit einer deutlichen Auseinandersetzung klären, die die nötigen Grenzen steckt. Die Frage ist vielmehr, ob unsere Beziehung zu den Eltern es erlaubt, ein eigenes, unabhängiges Leben zu führen. Und da wird es schon schwieriger. Denn immer heiratet man einen Sohn oder eine Tochter, die im Guten wie im Schlechten von ihrer Kindheitsgeschichte geprägt sind. Die Präsenz der Eltern in unserem Erwachsenenleben besteht ja nicht allein in Telefonanrufen oder Überraschungsbesuchen ­ sie sind eigentlich immer da, auch wenn sie nicht da, vielleicht sogar schon gestorben sind.

So werden die Beziehungen eines Mannes, dessen Vater früh tödlich verunglückt ist und dessen Mutter sich dem Suff ergeben hat, stets von dieser Geschichte überschattet sein, solange sie nicht verarbeitet ist. Menschen, denen zu Hause von den Eltern Sexualität als notwendiges Übel vermittelt wurde, müssen sich mühsam davon emanzipieren. Mäkelige Großmütter, die unter dem Sonnenschirm mit einem Likorgläschen ihre Kopfschmerzen pflegen, während alle anderen still sein müssen, die werfen lange Schatten.

Eltern, die sich ungefragt einmischen, kann man auf die Plätze verweisen. Das muss sein, will man nicht lebenslänglich gesagt bekommen, wo's langgeht. Die Präsenz von Müttern und Vätern, die selbst noch in ihrer Abwesenheit das Leben beeinträchtigt, verlangt nach Aufarbeitung. Da braucht es eine kritische Überprüfung der übernommenen Verhaltensmuster, manchmal auch eine Therapie, die der Selbständigkeit auf die Sprünge hilft. Es gehört zum Erwachsenwerden dazu, die offene oder geheime Regentschaft der Eltern abzulösen, und sei es erst nach mehreren Jahrzehnten.

Es gibt Eltern, die man um ihre Einmischung bitten darf: Die Schwiegermutter etwa, die auf Drängen der seit langem elternlosen jungen Frau mit zum Kauf des Brautkleides geht. Die Mutter, die einem in rechtlichen Fragen kämpferisch zur Seite steht; der Schwiegervater, den man in Steuerfragen um Rat bitten kann; Oma und Opa, die einem auf freundliche Bitten hin die Enkel abnehmen: Diese Eltern sind geliebt, weil sie sich nicht aufdrängen und weil sie ihren unschätzbaren Wert kennen. Sie, die Unverzichtbaren, leben hoch!

Das meinen Leserinnen und Leser

Eltern sollten sich auf jeden Fall aus der Ehe ihrer Kinder heraushalten. Denn die meisten Verletzungen, durch die Eheprobleme entstehen, wurzeln in der Kindheit. Wenn Eltern ihre Kinder beraten, zwingen sie sie in alte Rollenmuster zurück. Die müssen Kinder gerade überwinden, um ihre Probleme zu lösen.

Tanja Strelow, 27 Jahre,

Aachen

Ich sehe dieses Thema von Jesus her: Er hat sich von seiner Familie getrennt. Damit wollte er zum Ausdruck bringen: Sein Leben geht seine Familie nichts an. Warum können wir das nicht akzeptieren? Sicherlich möchte man oftmals Entscheidungen der Kinder revidieren oder gar verhindern, doch das heißt: die Freiheit von Menschen einzuschränken. Die Freiheit jedoch ist ein großes Geschenk Gottes, das wir nicht beschädigen sollten.

Dieter Göttert, 63 Jahre,

Berlin

Die heutigen Kinder sind sehr aufgeklärt und selbständig erzogen. Durch die Medien und ihr Umfeld werden sie unmittelbar mit Ehedramen und Scheidungen konfrontiert. Besonders die jungen Frauen sind jetzt unabhängiger von ihren Männern als früher. Sie wollen selbst entscheiden, wie lange die Ehe hält. Unsere Kinder lassen sich nicht mehr bevormunden.

Evi Lüders, 62 Jahre, Neuried

Es geht mich schon etwas an, wenn in der Ehe meiner Kinder Schwierigkeiten auftreten, aber ich darf mich nicht einmischen. Ich bin aber für sie da, wenn ich gebraucht werde.

Gisela Domroes, 73 Jahre,

Ahrensburg

Natürlich freue ich mich mit ihnen, wenn sie in ihrer Ehe und der eigenen Familie glücklich sind. Wenn jedoch etwas schief läuft ­ direkt einmischen? Nein. Aber mit meinen eigenen Kindern sprechen über aufgetretene Probleme und Rat und Hilfe geben und fest zu ihnen stehen, falls die Probleme sich auch mit gutem Willen auf beiden Seiten nicht lösen lassen sollten.

Jochen Schroer, 71 Jahre,

Dortmund

Unsere Kinder haben uns darum gebeten, uns einzumischen, wenn wir das Gefühl haben, dass irgendetwas schief läuft. Wenn das Familienklima stimmt, geht das gut, und alle profitieren davon. Voraussetzung ist aber, dass die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern von Liebe und Gleichberechtigung geprägt sind. Ich wünsche mir in der Welt mehr Verbindlichkeit.

Marie Jess, 58 Jahre, Kiel

Ich habe immer den Satz meiner Eltern im Ohr: "Mit euren Beziehungen müsst ihr selbst klarkommen, das geht uns nichts an." Damit wurde bereits jedes ernsthafte Gespräch abgeblockt. Folge: Wir konzentrieren uns aufs Praktische: die neue Waschmaschine zum Beispiel. Aber sehr nah kommen wir uns dabei nicht.

Thomas Becker, 42 Jahre,

Stuttgart

Im Vertrauen

Jeden Monat laden wir Sie, liebe Leserinnen und Leser, ein, uns Ihre Erfahrungen zu einem vorgegebenen Thema mitzuteilen. Schildern Sie Erlebnisse und Begegnungen, lassen Sie uns an Ihren Beobachtungen teilhaben!

Das Thema im Oktober: Darf ich mich rächen? Eine Gemeinheit tut weh. Ein Kollege unterschlägt unseren Anteil am Erfolg. Oder der Partner verletzt uns an einer empfindlichen Stelle. Da keimen die Rachephantasien. Muss Rache manchmal sein?

Zu diesem Thema schreiben Sie uns bitte, mit Angabe Ihres Alters und Wohnorts, bis zum 31. August

chrismon

Stichwort: Im Vertrauen Postfach 203230, 20222 Hamburg E-Mail: im-vertrauen@chrismon.de

Verzwickte Fragen aus dem Alltag ­ sie reizen zur schnellen Antwort und lassen einem doch keine Ruhe. Leserinnen und Leser sowie eine Expertin wagen sich an eine Lösung. SUSANNE BREIT-KESSLER ist gelernte Theologin und Journalistin. Heute wirkt sie als Regionalbischöfin in München

Glücklich, wer ein oder zwei Vertraute hat, die einem ungeschminkt die Wahrheit sagen

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