Beim Einatmen bis vier zählen...
...Luft anhalten, auf „acht“ ausatmen - und dann erst explodieren! Gelassenheitsübungen für Temperamentvolle
23.03.2017

Als Kind habe ich mich über ein Zeichentrickmännchen amüsiert. Dieses Männchen ging vor Wut immer gleich in die Luft. Abhilfe schuf nur das Rauchen einer bestimmten Zigarettenmarke. Natürlich ist das nicht sinnvoll: ausrasten und dann qualmen. Es ist auch dem Zusammenleben wenig dienlich, wenn man bei allem und jedem sofort loslegt. Da erzählt eine Frau ihrem Mann von einer möglichen beruflichen Veränderung, und er kommentiert sofort: „Das ist ja völlig idiotisch – die wollen dich nur reinlegen mit ihrem Angebot!“ 

In der Familie lässt einer den anderen nie ausreden – beim Sonntagskaffee fällt regelmäßig der Vater der Tochter und der Schwiegersohn der Mutter ins Wort. Jeder weiß alles besser. Die Chefin geht postwendend an die Decke, wenn ihre Mitarbeitenden ihre Aufgaben nicht in Hochgeschwindigkeit erledigen oder gar einen Fehler machen. 

Es ist durchaus gesund, aus seinem Herzen keine Mörder­grube zu machen – stattdessen mit dem herauszurücken, was einem durch den Kopf geht und auf der Seele liegt. Dadurch wird ein Mensch identifizierbar – man weiß, woran man mit ihm ist. Es ist auch eine echte Gabe, so richtig präsent zu sein. Wer keine halben Ewigkeiten braucht, um zu reagieren, der ist ganz bei der Sache. Der kommt sich und anderen näher. Aber umgekehrt ist es ziemlich unangenehm, wenn einem vom Gegenüber zack, zack ohne Sendepause alles um die Ohren gezogen wird, was er oder sie so denkt und fühlt.

Alles aufschreiben - aber ja nicht gleich abschicken!

Was aber tun, wenn man ein Temperamentsbolzen ist und einem das Herz auf der Zunge liegt? Mir selber hilft es, wenn ich auf meinen Atem achte. Statt furiose Kommentare los­zulassen, meinen Mann munter zu unterbrechen oder die ­temperamentvolle italienische Mamma zu geben, zähle ich beim Einatmen bis vier, halte die Luft bis sieben an und atme auf acht aus. Wirkt Wunder! Natürlich nur, wenn man es mehrmals macht ... Man kann, bevor man explodiert, um ein Päuschen bitten, um Bedenkzeit. Einen Spaziergang um den Block ­machen, um sich wieder einzukriegen. In eine Kirche gehen, beten. Bilder anschauen, sich verlieren in Farben und Formen, um dadurch wieder zu sich zu kommen...

Bei Mails und Briefen habe ich mir angewöhnt, alles sofort hinzuschreiben, es aber ja nicht abzuschicken. Unbedingt eine Nacht darüber schlafen. Manchmal wundere ich mich am nächsten Tag über mich selbst: Donnerwetter, da hat aber eine vom Leder gezogen! Wie gut, dass ich die Menschheit damit nicht stante pede behelligt, sondern mir einen Augenblick der Be­sinnung gegönnt habe. Damit das gelingt, braucht man einen guten Kontakt zu sich selbst. Man muss spüren, was man will und was nicht, was einem weh- und wohltut. Man muss sich über ­eigene Ziele im Klaren sein, bevor man andere damit kon­frontieren kann. Zu sagen, was man will, die eigenen Grenzen und ersehnten Horizonte beim Namen zu nennen fordert einiges. 

Aber nur mit Mut zur eigenen Position und Kraft zur Distanz, vor allem zu sich selbst, sind Augenblicke des Innehaltens möglich. Eine orientalische Weisheit, die dem „Sofort!“ ein „Augenblick mal!“ gegenüberstellt, mag ich sehr. Bevor man lospoltert oder überhaupt redet, soll man überlegen: Ist das wahr, was ich sagen möchte? (Dazu auch der Doppelpunkt von Bernhard Pörksen aus chrismon 3/17) Und: Ist es notwendig? Und schließlich: Ist es freundlich? Bis man das bedacht hat, ist schon mal Zeit vergangen. Und das Temperament, das dann übrig bleibt, reicht locker aus, um Schwung ins Leben zu bringen.

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