Wolfgang HuberRolf Zöllner/epd-bild
20.10.2010

Erschütterte Gewissheiten: So lässt sich das Lebensgefühl dieser Wochen beschreiben. Kein Ereignis hat dazu mehr beigetragen als das Seebeben im Indischen Ozean. An vielen Beispielen lässt sich das schildern. Die Amateurfilmaufnahmen deutscher Urlauber gehören zu ihnen. Zunächst ist es ein Naturschauspiel, das sie bestaunen: Unmerklich zieht sich das Wasser zurück. Die Wellenkämme tragen auf einmal viel weiter draußen ihre Schaumkrone.

Die Urlauber staunen über das Naturschauspiel und zeigen sich gegenseitig die jeweils größeren der brechenden Wellen mit den weißen Gischtfetzen. Sie lachen und bemerken, dass eines der kleinen Fischerboote ein paar hundert Meter vor der Küste ins Schlingern gerät und beinahe kentert. Plötzlich erhebt sich aus dem dunstigen Nichts die Wasserwand und rast auf den Strand zu. Die Fischer in den Booten haben keine Chance. Der Film bricht ab, das Grauen jedoch springt mir aus den schockgeweiteten Augen des Amateurfilmers entgegen, als er später die Fortsetzung erzählt. Einem Instinkt folgend reißt er mit seiner Frau die beiden versonnen spielenden Kinder hoch; gemeinsam rennen sie um ihr Leben. Sie erreichen die hoch gelegene Straße vor der Flutwelle. Sie stürzen über die Straße hinüber. Weiter! Die Anhöhe in den Dschungel hinauf. Schließlich spüren sie: Sie haben es geschafft.

Dem Beben folgte eine Erschütterung des Gottvertrauens

Das Beben im Indischen Ozean hat viele Gewissheiten erschüttert. Wir haben miterlebt, wie Lebenspläne von einer Sekunde auf die andere zusammenstürzten. Das nimmt auch den eigenen Plänen die Sicherheit. Die Macht der Vernichtung hat stark an uns gerüttelt. Ich fühle mit denen, die lange Zeit um vermisste Angehörige bangten und hofften. Die, die überlebten, konnten ihr Glück kaum fassen und werden doch das Unglück der anderen noch lange vor Augen haben. Dem Seebeben folgte eine Erschütterung der Lebensgewissheit und des Gottvertrauens. Wie Gott das zulassen konnte, wird gefragt ­ so wie im Jahr 1755, als das gewaltige Erdbeben von Lissabon Zigtausende Menschen in den Tod riss und eine gewaltige Erschütterung in Europa auslöste.

Auch ich habe mit der Frage gerungen, wie Gott den Tod so vieler Menschen zulassen konnte. Ich kann es nachempfinden, wenn Menschen in einer solchen Lage an Gott zweifeln, ja verzweifeln. Aber ich glaube fest, dass Gott nicht den Tod, sondern das Leben will. Und doch ist der Tod noch ein Teil dieser noch nicht erlösten Welt. Aber er hat nicht das letzte Wort. Ich vertraue darauf, dass die Opfer dieser Flutkatastrophe bei Gott gut aufgehoben sind. Ich wehre mich zugleich dagegen, dass noch einmal Menschen aus vergleichbarem Grund ihr Leben lassen müssen. Die jüngst Betroffenen hätten gewarnt werden können, denke ich immer wieder.

Durch die Flut wurden so manche Gottesbilder fortgespült. Die Frage nach Gott wird neu gestellt. Aus der Bibel wissen wir, dass der lebendige Gott kein abstraktes Prinzip ist. In Jesus Christus ist er uns nahe gekommen. Gott nimmt unsere Sorgen und Nöte nicht nur wahr, er nimmt an ihnen Anteil. Der christliche Glaube weicht dem Rätsel des Übels nicht aus. Er stellt sich dem Leid der Mitmenschen. Diese Erfahrung haben viele in den vergangenen Wochen gemacht. Über den Abgrund tausendfachen Todes führt für mich nur eine Brücke, die Gottvertrauen und Mitmenschlichkeit als ihre beiden Stützen hat.

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