Cornelia Coenen-MarxPrivat
15.11.2010

Voriges Jahr hätte ich ihn fast vergessen. An jenem Mittwoch hatte ich einen Tag voll Termindruck hinter mir, kaum Zeit zum Innehalten oder gar für eine Mittagspause ­ so fiel mir erst abends auf, dass Buß- und Bettag war. Zu meinem Schrecken. Denn ich erinnere mich gut an unsere öffentlichen Proteste gegen die Streichung des Feiertages im Jahr 1995. Und was damals so mancher befürchtet hat, ist heute noch klarer zu sehen: Es war wohl nur der Anfang. Schließlich wurde uns auch in diesem Jahr zu Ostern und zu Pfingsten vorgerechnet, dass wir Deutschen mit 13 bezahlten Feiertagen "Freizeitweltmeister" sind. Und wir gewöhnen uns daran, dass auch dieses Stück Kultur und Tradition ökonomisiert wird. Gute Gründe gibt es ja immer: Die Arbeitskosten müssen gesenkt werden, wir brauchen die Mitverantwortung aller Bürger zur Gestaltung unseres Sozialsystems. Als der Buß- und Bettag zur Finanzierung der Pflegeversicherung als öffentlicher Feiertag gestrichen wurde, hatten viele das Bewusstsein, eine soziale Leistung zu erbringen. Vielleicht sogar dazu beizutragen, dass unser Land sozial bleibt. Nur wenige haben allerdings damit gerechnet, dass acht Jahre später die Leistungen der Pflegeversicherung schon wieder zur Debatte stehen.

Mit mehr Eigenverantwortung und Rationalisierung der Leistungen kann es uns gelingen, dass Gesundheitswesen zu optimieren und seine Strukturen wirtschaftlicher zu gestalten. Wenn aber dabei Zuwendung und Mitmenschlichkeit auf der Strecke bleiben, ist nichts erreicht. Wer nur noch in Kosten und Nutzen rechnet, kennt am Ende die Kosten eines künstlichen Hüftgelenks, eines Pflegetages, eines Ausbildungsplatzes, eines Feiertags. Leider liegt der Nutzen von Hoffnung und Barmherzigkeit, von Solidarität und Besinnungszeit nicht so schnell auf der Hand. Die Werte, die eine Gemeinschaft tragen, lassen sich in Euro und Cent nicht umrechnen. "In fast jedem Einzelfall lassen sich gute Gründe für ... ökonomisches Verhalten finden, in der Summe kommt dabei eine Gesellschaft heraus, die nicht lebenswert ist", schreibt Dirk Kurbjuweit in seinem Buch über die Diktatur der Ökonomie. "Unser effizientes Leben" ­ es könnte am Ende öde und flach sein.

Der Buß- und Bettag ­ fast hätte ich ihn letztes Jahr vergessen ­ war ein trüber Novemberfeiertag, ein bisschen depressiv, manchmal langweilig. Ein stiller Feiertag, an dem die Einkaufszentren und Diskotheken geschlossen waren. Er passte nicht mehr in unsere geschäftige Zeit. Jetzt aber stoße ich dauernd auf Leute, die sich nach Zeiten der Stille sehnen, um endlich einmal zum Durchatmen und Nachdenken zu kommen. Manche fahren dafür sogar ins Kloster, wo seit Jahrhunderten das Gotteslob den Rhythmus bestimmt und nichts sonst. Je weniger Menschen bereit sind, auf eigenes Einkommen, Freizeit und Genuss zu verzichten, umso faszinierender erscheint diese Lebensform. Das regelmäßige Gebet hat vielleicht keinen Nutzen, aber es hat ganz offenbar einen Sinn. Es hält uns in Verbindung mit dem, der unser Leben trägt. Der uns eine Perspektive gibt, die über den Tag hinaus geht. Wer die nicht hat, bleibt im Hamsterrad des Alltags gefangen. Es mag sich schnell drehen. Aber vielleicht in die falsche Richtung. Dann ist wirklich Zeit zur Umkehr. Für einen Bußtag. Cornelia Coenen-Marx

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