Rein, unrein - Was bedeutet das?
Unbeschwert von Schuld, unbefleckt an Körper und Seele: nur so konnten sich Menschen seit Urzeiten ihrem Gott nähern. Was das heute heißt, unterscheidet sich sehr zwischen den Religionen
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
07.10.2010

Am "Tag der Reinheit" stand Großes auf dem Programm. Tausende Studenten ­ in Amerika, aber nicht nur dort ­ informierten am Valentinstag die Öffentlichkeit über den Wert der sexuellen Reinheit. Sie organisierten wie schon in den Jahren zuvor Veranstaltungen in Schulen, Universitäten und Kirchen, verteilten bedruckte Armbänder und T-Shirts, Handbücher und Flyer, die alle die Botschaft weitertrugen: Es lohne sich, der zunehmenden Sexualisierung zu wehren. Nicht zuletzt ließen sich so Geschlechtskrankheiten, unerwünschte Schwangerschaften und Abtreibungen zurückdrängen.

Viele Menschen denken zuerst an Sexualität und Ernährung

Fallen die Worte rein und unrein, denken viele Menschen zuerst an Sexualität und Ernährung. Auch in den Religionen richtet sich das Augenmerk sehr schnell auf diese Felder. Religionswissenschaftler unterscheiden zwischen der kultischen und der ethischen Reinheit. Nur im Zustand kultischer Reinheit können Juden und Muslime mit Gott in Beziehung treten. Die Reinheitsgesetze geben dem ganzen Leben Ordnung. Seit der ältesten Zeit des Judentums waren diese Gesetze eine wichtige Klammer der Gesellschaft und zwischen Gott und Mensch. Sie hatten also eine soziale und eine religiöse Komponente. Juden müssen ihre Reinheit nach sexuellen Begegnungen oder der Berührung eines Toten wiederherstellen, indem sie sich nach festen Regeln waschen. Die Speisegesetze legen fest: Verspeist werden dürfen nur jene Säugetiere, die wiederkäuen und zugleich Paarzeher sind, bei den Wassertieren nur solche mit Schuppen und Flossen.

Portrait Eduard KoppLena Uphoff

Eduard Kopp

Eduard Kopp ist Diplom-Theologe und chrismon-Autor. Er studierte Politik und Theologie, durchlief die Journalistenausbildung des ifp, München, und kam über die freie Mitarbeit beim Südwestrundfunk zum "Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt" nach Hamburg. Viele Jahre war er leitender theologischer Redakteur bei dieser Wochenzeitung und seinem Nachfolgemedium, dem evangelischen Magazin chrismon. Seine besonderen Interessengebiete sind: Fragen der Religionsfreiheit, Alltagsethik, Islam, Geschichte des 20. und 21. Jahrhunderts, Krieg und Frieden.

Auch im Islam gelten strenge Reinheitsgesetze: Muslime beziehungsweise Musliminnen reinigen sich nach dem Geschlechtsverkehr, nach Ende der Regelblutungen und nach der Geburt eines Kindes, wenn sie sich auf das Gebet vorbereiten. Untersagt ist ihnen grundsätzlich der Genuss von Schweinefleisch und von Produkten aus Blut sowie aller Wassertiere mit Ausnahme von Fischen.

Unrein macht das, was "aus dem Menschen herauskommt"

Im Christentum ist das Denken in den Kategorien der kultischen Reinheit und Unreinheit weitgehend überwunden. Von großer Bedeutung ist jedoch die Frage nach der ethischen Reinheit. Die neue Denkweise: Nichts, was von außen auf den Menschen trifft, kann ihn unrein machen, sondern nur das, was "aus dem Menschen herauskommt", aus seinem Denken und Wollen kommt (Markus 7,15). Damit ist die Unterscheidung zwischen reinen und unreinen Menschen, zwischen reinen und unreinen Orten, zwischen reiner und unreiner Nahrung hinfällig. Jesus ging eng mit den als unrein Stigmatisierten um. Wo immer im Neuen Testament von Reinheit die Rede ist, geht es im Kern um das sittliche Verhalten der Christen. Reinigungsrituale, die bis heute in den Liturgien der christlichen Kirchen zum Vorschein kommen, symbolisieren nur diese ethische Reinheit. Sie sind weder Voraussetzung für die Teilnahme am Gottesdienst noch für die Begegnung mit Gott.

Daran ändert auch nichts, dass zum Beispiel in der katholischen Kirche noch vor wenigen Jahrzehnten nur solche Männer ordiniert wurden, die keine auffälligen körperlichen Behinderungen hatten. Das änderte sich aber radikal durch die Begegnung mit kriegsversehrten Geistlichen des Ersten und Zweiten Weltkriegs und mit dem zunehmenden Priestermangel.

Im weißen Mantel, Symbol ihrer Reinheit, hatten sich im 12. Jahrhundert auch die Ritter des Templerordens auf den Weg gemacht, um die heiligen Stätten der Christenheit von den Muslimen zu befreien und die Pilgerwege zu schützen. Doch ihr weißer Mantel war häufig blutgetränkt.

Kinder werden bis heute als Zeichen ihrer Reinheit in weiße Taufkleider gehüllt. Bräute treten im weißen Hochzeitskleid vor den Traualtar. Der Gedanke der Reinheit ist also keineswegs überholt. Aber er hat sich verändert. Nicht die Ausgrenzung des weniger Perfekten ist sein Sinn, sondern die Einladung, sich an ethischen Idealen zu orientieren und an ihnen aufzurichten. Menschen sollen und können aus der Begegnung mit Gott gerade neue Stärke gewinnen. Sie werden nicht auf ihre Fehlerhaftigkeit festgelegt, sondern von ihr befreit. Solche Rituale und Symbole machen sie selbstsicherer, souveräner.

 

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