Junge Frau die auf blauen Kisten balanciert und sie versucht anzuordnen. Symbolfoto
Klaus Vedfelt
Coach Gunda Borgeest
"Ordnung kann ich nicht verordnen"
Wenn sie gerufen wird, geht es oft um viel mehr als nur einen zu vollen Kleiderschrank: Gunda Borgeest ist Ordnungscoach. Welche Menschen sie buchen und wann sie Aufträge ablehnen muss, erzählt Borgeest im chrismon-Interview
Tim Wegner
28.12.2023
3Min

Frau Borgeest, was machen Sie, wenn Sie das erste Mal die Wohnung einer Klientin betreten?

Gunda Borgeest: Ich zieh meinen Mantel aus und setze mich erst mal hin. Ich schaue mein Gegenüber an und wir reden. Die Wohnung selbst, andere Zimmer, das geht mich alles erst mal nichts an.

Aber dann räumen Sie zusammen auf?

Zunächst möchte ich wissen, warum mich dieser Mensch gerufen hat. Das ist oft nicht nur eine Art "Unordnung" in der Wohnung, sondern auch in der Seele. Manchmal komme ich in eine Wohnung, in der seit Jahren niemand Fremdes mehr war. So etwas kann sehr schambesetzt sein. Ich taste mich vorsichtig heran.

Emil Borgeest

Gunda Borgeest

Gunda Borgeest hat Literaturwissenschaft und Sinologie studiert, an der Münchner Filmhochschule unterrichtet und dort einen Lehrstuhl für Dramaturgie mit aufgebaut. Sie war als Kulturmanagerin tätig, hat eine Zusatzausbildung als Mediatorin und begleitete als ehrenamtliche Hospizhelferin Sterbende und ihre Angehörigen. 2014 hat sie die "Schönste Ordnung" gegründet und konnte so ihren Sinn für das Schöne und ihre Leidenschaft für die Ordnung der Dinge zu ihrem neuen Beruf machen. Gunda Borgeest lebt in München und am Ammersee. Zusammen mit ihrem Mann hat sie zwei erwachsene Kinder und wird bald Großmutter von drei Enkeln sein.

Sie sind Literaturwissenschaftlerin und Sinologin und haben mit Doris Dörrie zusammen an der Münchner Filmhochschule unterrichtet. Wie kamen Sie auf die Idee, Ordnungscoach zu werden?

Eine gute Freundin von mir fand es bei mir zu Hause "so schön". Sie fragte mich, ob ich ihr in ihrer Wohnung helfen könne. Das haben wir ein Wochenende lang gemacht und mir wurde klar, wie gut mir diese Art von Arbeit gefällt.
Ich arbeite mit Menschen; ich kann die Welt ein kleines bisschen schöner machen – und uns das Leben ein wenig leichter. Meine Tochter hat geholfen, eine Website zu gestalten, und dann hat relativ schnell ein Journalist eine Reportage über mich gemacht. Das ging dann total durch die Decke. Ich war plötzlich auf Monate hinweg ausgebucht.

Was für Menschen buchen Sie?

Die unterschiedlichsten. Da ist die 28-jährige junge Frau, die sich seit Jahren nicht getraut hat, Gäste in ihre Wohnung einzuladen. Oder ein Ehemann, dessen Frau gestorben ist. Er ist immer noch im Schmerz versunken, doch er möchte gern ihren Kleiderschrank ausräumen. Ich berate auch Paare, die sich getrennt haben und den gemeinsamen Haushalt auflösen.

Lehnen Sie Aufträge ab?

Wenn zum Beispiel eine Frau anruft und mich bittet, ihren Ehemann zu coachen. Das mache ich nicht. Der Auftrag muss immer von der Person selbst kommen ...

Eine gute Freundin von mir müllt sich voll, so empfinde ich es jedenfalls. Wie kann ich mit ihr darüber reden?

Was heißt denn das: "vollmüllen"? Diesen Begriff schätze ich gar nicht. Wer bin ich, dass ich jemand anderem sage, 25 Teeservice sind zu viel? Fragen Sie Ihre Freundin: Wie fühlst du dich in deiner Wohnung? Leidet sie unter der Kakophonie der Dinge – oder fühlt sie sich wohl damit? Dann ist alles gut. Ordnung kann und will ich nicht verordnen. Das ist immer etwas ganz Subjektives.

Und wenn es "messiehaft" wird?

Das ist ein Begriff, der mir oft begegnet und den viele von uns zu leichtfertig verwenden. Psychologen sprechen von einer "Wertbeimessungsstörung", wenn sich ein Mensch von nichts mehr lösen kann. Das bezeichnet eine Pathologie. Wer darunter leidet, würde mich kaum rufen – und wenn, dann würde ich kaum helfen können. Ein schwerer Messie ist oft psychisch krank, und ich bin keine Ärztin.

Viele Menschen aus der Boomer-Generation wissen überhaupt nicht, was sie mit all dem Kram ihrer verstorbenen Eltern machen sollen.

Ja, das erlebe ich gerade sehr oft. Viele räumen die elterliche Wohnung, das Elternhaus aus. Ich frage dann immer: Was für einen Auftrag verbinden Sie mit diesen Dingen – wollen Sie den annehmen?

Was kann das für ein Auftrag sein?

Jedes Ding hat eine Geschichte. Zum Beispiel die Büchersammlung von Onkel Erwin. Die war ihm immer so wichtig. Doch was ist mit mir? Mochte ich Onkel Erwin überhaupt? Fühle ich mich jetzt verantwortlich für seine Bücher? Oder will ich mich im Gegenteil endlich von ihm befreien? Am Ende, das sag ich meinen Klienten auch immer wieder, ist jede Tasse, jeder Mantel und jeder Stuhl nichts weiter als eine Ansammlung von Atomen.

Anmerkung der Redaktion: Bei der chrismon-Leser-Aktion "Wieviel ist genug" können Sie ein Coaching bei Gunda Borgeest gewinnen. Live erleben können Sie Gunda Borgeest am 25. Januar 2024 von 19 bis 20 Uhr im chrismon-Live Webinar: "Was brauchen Sie, um zufrieden zu sein". Melden Sie sich an und stellen Sie Ihre Fragen.

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