Ein humanoider Roboter steht m Wintergarten des Seniorenwohnhauses in Bischofswerda
Ein humanoider Roboter steht m Wintergarten des Seniorenwohnhauses in Bischofswerda
Norbert Millauer / Imago Images
"Komm her, bring Kaffee"
Ob der Roboter im Pflegeheim das dann auch macht? Dazu forscht die Elektroingenieurin Dagmar Meyer. Ein Interview darüber, was möglich ist – und was nicht: Künstliche Intelligenz in der Pflege.
Tim Wegner
23.10.2023

Sie forschen an autonomen Robotern und Spracherkennungssystemen für pflegebedürftige Personen. Wofür wollen Sie die Roboter einsetzen?

Dagmar Meyer: Viele ältere und hilfsbedürftige Menschen können manche Dinge nicht mehr so gut, aber sie wollen auch nicht ständig um Hilfe bitten. Ihnen fällt etwas herunter, sie können es nicht aufheben, sagen aber: Nee, jetzt will ich nicht schon wieder die Pflegekraft rausklingeln. Wir haben mit einer Pflegeeinrichtung analysiert, wo Hilfe gebraucht wird. Da kam zusätzlich die Idee auf, die Pflegekräfte selbst zu unterstützen, zum Beispiel beim Austeilen von Getränken im Speisesaal. Es kann aktivierend für die Bewohnerinnen und Bewohner sein, wenn sie feststellen: Unsere Kaffeekanne ist leer und dann den Roboter rufen können und sagen: Komm, bring ’nen Kaffee! Also Handlangerdienste, für die man keine examinierten Pflegepersonen braucht und die pflegebedürftige Menschen häufig nicht einfordern, weil es ihnen unangenehm ist.

Werden die Großeltern in naher Zukunft ­einen Pflegeroboter daheim haben?

Die Idee existiert seit Jahrzehnten und man ist nicht wirklich weitergekommen. Das wird noch relativ lange dauern.

Dagmar MeyerPrivat

Dagmar Meyer

Dagmar Meyer, Jahrgang 1966, ist Professorin für Regelungs- und Softwaretechnik an der Ostfalia Hochschule für ­angewandte ­Wissenschaften. Sie forscht im ­Labor für assistive ­Technologien an autonomen ­Robotern.

Warum?

Enge körperliche Interaktion birgt ein Sicherheitsrisiko. Ein mobiles, autonomes Robotersystem braucht Informationen über die Umgebung, in der es sich bewegt. In einer stationären Pflegeeinrichtung ist das relativ übersichtlich. Die kann man gut trainieren, weil sie sich nicht ständig verändert. Da steht mal was im Weg, aber dem kann das System ausweichen. Im häuslichen Umfeld kommt die Tochter vorbei und sagt: Das ist ja unpraktisch für euch, wenn der Tisch hier steht, wir räumen den mal woanders hin. Schon müsste man das System neu trainieren. Je unstrukturierter eine Umgebung ist, desto schwieriger ist es, sie mit Hilfe von computerbasierten ­Methoden korrekt wahrzunehmen und zu interpretieren.

In den letzten Jahren hat es große Fortschritte in der KI-Forschung gegeben. Könnte der Roboter nicht drei Mal durch die Räume laufen und merken, wenn sich etwas verändert hat?

Sie können aber trotzdem nicht hundertprozentig sagen, was diese KI wirklich gelernt hat. Wie verhält sie sich in ungewohnten ­Situationen? Man muss garan­tieren, dass sich Systeme sicher verhalten. So ein autonomer, mobiler Roboter hat ja Kraft und kann ordentlich zupacken. Wenn nicht sichergestellt ist, dass da nichts passiert, haben Sie ein Problem.

"Um ­Systeme so zu trainieren, dass sie für eine bestimmte Gruppe funktionieren, braucht man Tausende Daten"

Jede Technologie birgt Risiken.

Wenn man sich komplett darauf verlässt, schon. Es kommt auch darauf an, wem ich so ein System in die Hand gebe: Ein Mensch, der nicht sehen kann, hat keine Chance zu ­erkennen, ob das System gerade Blödsinn vorschlägt – zum Beispiel eine Straße zu über­queren, obwohl ein Auto kommt.

Können wir Maschinen überhaupt jemals so vertrauen wie Lebewesen?

Es gibt Versuche, Blindenführhunde durch Roboterhunde zu ersetzen, und meistens war es so, dass sich die Personen, die vorher einen realen Hund kannten, mit diesem wohler und sicherer gefühlt haben. Auch wenn das System objektiv das Gleiche leisten konnte wie der echte Hund. Hunde nehmen Dinge wahr, die ein technisches System nicht trainiert hat.

Was sind die größten Hürden bei der Entwicklung KI-basierter Hilfssysteme?

Wir Menschen sind recht individuell, aber ­behinderte Menschen sind individuell noch unterschiedlicher in ihren Beeinträchtigungen. KI-basierte Systeme funktionieren nur deshalb gut, weil sie auf Massen von ­Trainingsdaten zurückgreifen. Um diese ­Systeme so zu trainieren, dass sie für eine bestimmte Gruppe gut funktionieren, braucht man Zigtausende Datensätze. Dazu müsste man mit großen Techunternehmen zusammenarbeiten. Aber was passiert zum Beispiel mit den Daten, die Alexa von Amazon aufnimmt? In sensiblen Bereichen wie der ­Pflege ist das problematisch. Der Entwicklungsaufwand für solche Systeme ist aber deutlich ­höher, wenn man nicht auf Massenlösungen von Microsoft und Google zurückgreifen kann, sondern eigene Daten sammeln muss.

Wie kommen Sie an Ihre Daten?

Unsere Systeme haben keinen so großen Funktionsumfang. Unsere Spracherkennung muss nicht grundsätzlich alle gesprochene Sprache erkennen oder Kommandos aus ­Sätzen herausfiltern, sie braucht nur etwa 500 Trainingsdatensätze und versteht zwölf verschiedene Kommandos: Komm her. Geh weg. Heb auf. Bring Tee. Bring Wasser . . .

Was kostet so ein Roboter?

Das Fraunhofer-Institut hat einen Assistenz­roboter entwickelt, der rund 250 000 Euro kostet – und der kann noch nichts. Die Funktionalität müssen die Forscher noch selbst programmieren. Unser eigenes minimalistisches System hat einen Materialwert von 55 000 Euro. Das könnte sich theoretisch amortisieren, weil es nicht so deutlich über dem Jahresgehalt einer Pflegekraft liegt.

"Eine KI, die alles abnimmt, ist das Gegenteil von Autonomie"

In welchen Bereichen wird KI-Technologie bald flächendeckend eingesetzt?

Dort, wo sie Zusatzinformationen liefert, auf die man sich nicht völlig verlassen muss, zum Beispiel Systeme, die die Umgebung be­schreiben. Oder Speech-to-text- beziehungsweise Text-to-speech-Apps. Ich war dienstlich häufig in China, und da übersetzt die App vom Deutschen ins Chinesische und umgekehrt. Das erleichtert Kommunikation, die sonst nur schwer oder gar nicht möglich wäre.

Welches System könnte Gebärdensprache übersetzen?

Wenn Sie ein Tablet nehmen und Ihr Gegenüber spricht Gebärdensprache, kann die Kamera das aufnehmen und live in Text übersetzen. Oder Sie sprechen, und das wird in Gebärdensprache abgebildet, damit die andere Person auf dem Tablet sieht, was Sie erzählen. Das wäre hilfreich, weil es wenig technische Hilfsmittel voraussetzt. Man kann sie auch ohne Sicherheitsbedenken einsetzen. Das ist ein Beispiel, wo Technik unterstützt, aber nicht das Handeln abnimmt.

Warum sollte uns KI nicht das Handeln abnehmen?

Ich bin manchmal total genervt, wenn ich am Rechner arbeite und das System meint, es wüsste am besten, was ich als Nächstes ­machen will. KI kann theoretisch ganz viel erledigen, aber ab wann ist es bevormundend? Diese Gefahr sehe ich bei Menschen, die behindert sind, weil sie selbst entscheiden ­wollen, was genau passiert. Es gibt im Pflege­bereich das Paradigma der aktivierenden ­Pflege, also Fähigkeiten zu fördern und zu erhalten. Da wäre eine KI, die alles abnimmt, das Gegenteil von Autonomie.

Technik kann ältere Menschen überfordern. Angenommen, man besorgt der Oma eine Sprachassistentin, aber sie nutzt die einfach nicht. Was kann ich tun?

Programmierer und Entwickler sind geneigt, das technisch Machbare umzusetzen. Und erst hinterher fragt man die Oma, ob das ­etwas für sie ist. Man muss bei der Entwicklung von Anfang an Betroffene einbeziehen, um nicht irgendetwas am Bedarf vorbei zu ­entwickeln. Wir sind zum Beispiel mal mit unserem ­Robotersystem in einer Pflegeeinrichtung gewesen. Dann kamen die ­Bewohnerinnen und Bewohner und waren total interessiert: Wie heißt er denn? Was kann der denn? Den könnt ihr aber noch hübscher machen. Der hat ja gar kein Gesicht! Und wir hatten das nur von der technischen Seite gesehen: Name und Aussehen, dachten wird, das braucht doch kein Mensch!

Sind Smarthomes hilfreich für Senioren und Menschen mit Behinderung?

Ja. Menschen werden immer älter und wollen zu Hause altern können. Es gibt Forschungsansätze, bei denen Musterwohnungen komplett mit smarten Komponenten ­ausgestattet sind. Ich kann mir lernende Systeme ­vorstellen, die sich an die Bewohner anpassen. Ein Kollege in China hat ein System zur Ausstattung eines Gebäudes entwickelt, wo die KI erkennt, ob irgendwas nicht stimmt. Zum Beispiel: Die alten Eltern schalten immer spätestens neun Uhr die Kaffeemaschine ein oder gehen ­duschen. Das ist heute nicht passiert, also ist vielleicht etwas nicht in Ordnung und das System meldet das per App an die Kinder. Der Datenschutz wird in China aber auch ­anders gehandhabt.

Welche unterstützenden Technologien werden in zehn Jahren weit verbreitet sein?

Alles, was in einer App auf Smartphone oder Tablet realisierbar ist. Den Bereich der autonomen Robotik sehe ich eher kritisch. Viele Betroffene wünschen sich, dass sie beim ­Duschen von einem Roboter statt einer Pflegefachkraft begleitet werden, weil sie sich vor einem Roboter weniger schämen. Aber der Traum, dass Maschinen das übernehmen, wird noch dauern. Auch wegen der Kosten.

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