Wie kann der Glaube trösten?
Wie kann der Glaube trösten?
Lisa Rienermann
Wie kann der Glaube trösten?
Wenn man Schlimmes erlebt hat, dauert es, bis man wieder auf die Füße kommt. Was man da nicht braucht, sind fromme Sprüche und falsche Versprechen.
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
25.08.2021

Vorgelesen: Religion für Einsteiger "Wie kann der Glaube trösten?"

Not lehrt nicht automa­tisch beten, sondern oft fluchen oder verstummen. Manchmal aber bringt sie Menschen dazu, sich Grundfragen des Lebens zu stellen. Zum Beispiel diese: Was ist Trost? Wie tröstet man andere oder vielleicht sogar sich selbst? Und kann man in seinem Glauben Trost finden, ohne dass man sich durch fromme Sprüche vertrösten lässt?

(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel

Johann Hinrich Claussen

Johann Hinrich Claussen, geboren 1964, ist Kultur­beauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland. Für chrismon schreibt er jede Woche den Blog "Kulturbeutel". Von ihm er­schien zuletzt: "Die seltsamsten Orte der Religionen: Von versteckten Kirchen, magischen Bäumen und verbotenen Schreinen" (C. H. Beck-Verlag, 2020) und zusammen mit Martin Fritz, Andreas Kubik, Rochus Leonhardt, Arnulf von Scheliha: "Christentum von rechts" (Verlag Mohr Siebeck, 2021). Außerdem ist er Autor des Podcast: "Draussen mit Claussen"

Wenn eine Not schier unerträglich geworden ist, wird nicht selten nach einem großen Tröster gerufen, der mit einem mächtigen Wort die Angst vertreibt und Hoffnung schenkt. Doch aus guten Gründen hat sich die christliche Seelsorge vor Jahrzehnten von solch einem autoritären Verständnis verabschiedet.
Den Theologen ist klar geworden: Trösten ist weniger eine Sache des Zusprechens als des Zuhörens, des Dabeiseins und Dabeibleibens.

Man muss sich nur vergegenwärtigen, was Eltern – hoffentlich – tun, wenn ­ihre kleinen Kinder Angst oder einen Schmerz haben. Sie nehmen sie in den Arm. Dann sprechen sie auch mit ihnen, aber weniger, um ihnen etwas zu erklären, einen vermeintlich guten Rat oder ein Versprechen zu geben. Es ist eher so, dass sie ihre Kinder auch mit Worten umarmen und ihnen ­zeigen: Ich bin bei dir, ich empfinde mit dir, ich nehme dich ernst, lass uns einen Moment ausruhen, und dann schauen wir gemeinsam, wie es ­weitergehen könnte. Solch einen grundmenschlichen Trost brauchen nicht nur Kinder. Auch ältere Jugendliche und Erwachsene haben ihn von Zeit zu Zeit nötig.

Trost zu finden kann bedeuten, dass man das Unvermeidliche annimmt

In der Not geraten viele Menschen ins Straucheln und verlieren ihre Kraft und Initiative. Trösten kann man jemanden in solch einer Lage nur, wenn man sich ihm ohne Vorbehalte zuwendet, seine Not wahrnimmt, ­sie ernst nimmt, sie auch klar und realistisch anschaut. Das gibt dem Trost etwas Nüchternes und manchmal Herbes. Trost zu finden muss nicht heißen, sofort wieder festen Halt zu spüren. Es kann auch bedeuten, dass man das Unvermeidliche annimmt und sich ihm ergibt.

"Ergebung" ist ein wichtiges Wort in der christlichen Tradition. Der evange­lische Theologe und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer hat seine Sammlung von Gefängnisbriefen und -notizen "Widerstand und Ergebung" genannt. Wenn ich mich "ergebe", bin ich in meiner Not angekommen, erkenne ich meine Lage, halte ich mich nicht für stärker, als ich bin, werde ich bereit, nach einem neuen Weg zu suchen. Doch diesen zu finden, dauert seine Zeit. Deshalb ­gehört neben der Ergebung auch die Geduld zu einem echten Trost. Der Trost muss in einem selbst erst langsam heranwachsen. Man muss ­warten und ausharren, manchmal sehr lange. Das macht das Trösten in einer Zeit, die auf Schnelligkeit und Effizienz ausgerichtet ist, so schwer.

Wer Worte für die eigene Not hat, kann sie mit anderen teilen

Wer getröstet ist, hat sich selbst wiedergefunden. Dafür muss man nicht gläubig sein. Aber die ­Sprache der ­Bibel und die christliche Bilder­welt stellen Worte bereit, die die ­eigene Angst und die eigenen ­Schmerzen fassbar machen, sie mitteilbar ­machen. Und wer Worte für die eigene Not hat, kann sie mit anderen teilen. Vor allem die biblischen Psalmen sprechen sehr ehrlich von Verzweiflung und Verlassenheit. Sie erzählen von der Not, ohne abzu­wiegeln, ohne zu beschwichtigen. Dadurch wirken sie wie geduldige Zu­hörer. Sie bieten auch Hoffnungsbilder, die einen aufschauen lassen – ­jedoch keine fixen Versprechen nach der Logik eines "jetzt geht es dir schlecht – dann wird alles gut". Man kann an ihnen wachsen, sie nach erlittener Not und zerbrochenen Illusionen neu lesen und plötzlich Dinge ent­decken, die man bisher übersehen hat.

Biblische Metaphern sind poetisch und damit offen. Es sind ­kollektive Bilder, ein geteilter Schatz an Er­fahrungen und Erzählungen. Ihre Kraft entfalten sie am ehesten, wenn man sie miteinander teilt, im Gespräch mit der Pfarrerin oder dem Pfarrer, im Gottesdienst, manchmal auch im privaten Gespräch. Und es kann sich etwas entwickeln, an ­dessen Ende keiner recht zu sagen weiß, wer hier wem geholfen hat. Das nennt man dann Seelsorge.

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Sehr geehrte Damen und Herren,
der Artikel von Herrn Claussen regt mich zu einem, in meinem Fall Leserinnenbrief an:
„Vielen herzlichen Dank, lieber Herr Claussen für den Artikel „Wie kann der Glaube trösten?“
Ich habe eine klare Antwort auf Ihre Frage: er kann! Denn ich erlebe dies täglich in meiner Arbeit als Stellenleiterin einer TelefonSeelsorge. Allein an unserer Stelle werden tausende Telefonate, Chats und Mails mit belasteten Menschen in Krise und Not geführt. Der Wunsch nach Kontakt und Austausch mit einem empathischen Menschen, der/ die wirklich mit dem Herzen zuhört und nicht sofort mit Ratschlägen erwidert, ist groß. Zu schnell mit einem Trost zu kommen, ist wie ein Ratschlag nicht hilfreich, sondern wirkt toxisch. Belastete Menschen brauchen Zeit und Resonanz, um die schweren Gefühle zuzulassen, damit Entlastung und oft auch wieder Handlungsfähigkeit eintreten kann.
Die TelefonSeelsorge tröstet Probleme nicht weg. Der menschliche Kontakt und die Erfahrung des vorbehaltlosen Angenommen-seins- das ist Trost.
Die Seelsorger*innen sind qualifizierte Ehrenamtliche, die sich aus zutiefst menschlichem und christlichem Antrieb Tag und Nacht in diesem Dienst engagieren. Die TelefonSeelsorge, ein Bestandteil der Kirche leistet einen enormen Beitrag zum kirchlichen Seelsorgeauftrag. Der geschützte anonyme Rahmen, die 24 Stunden Erreichbarkeit und die Niederschwelligkeit durch Kostenfreiheit und durch die Onlineangebote macht den Zugang zur TelefonSeelsorge leicht.
Bitte kein Artikel über Trost und Seelsorge ohne die Erwähnung der TelefonSeelsorge! „
Falls Sie Interesse haben redaktionell über die Arbeit und die Erfahrung der TelefonSeelsorge zu berichten, dann wenden Sie sich gerne jederzeit an mich oder an Frau Mai, Pressesprecherin der TelefonSeelsorge Deutschland. Zum ersten Einblick hänge ich Ihnen unseren Jahresbericht Empathie 2020 an.
Vielen Dank und beste Grüße
Martina Rudolph-Zeller
Leiterin der TelefonSeelsorge Stuttgart e.V.

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Die Bibel ist nicht zum Trösten dar.
Sie zeigt uns wer wir sind, was wir sein könnten/sollten, und was sein wird wenn wir die Herausforderung des geistigen Stillstandes / den "Tanz um das goldene Kalb" nicht überwinden.

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Trösten kann für den Augenblick der Verzweiflung eine Erleichterung sein. Die Flutkatastrophe im Ahrtal
ist ein Trauma, die Realität hat alles zerstört was an Lebenswerten geschafft wurde.Eine jahrelange seelische Betreuung und Praktische Hilfe beim Wiederaufbau ist nicht nur ein Akt befristeter Solidarität und Mitmenschlichkeit.
Den langen Atem dafür hat nicht jeder Mensch, allein die Verzweiflung ist auch ein Abschied vom Leben, der Tod als letzte Erlösung.
Auch Jesus starb am Kreuz, für die ganze Menschheit.

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