Wie oft denn noch?
Nach den offenkundig rechtsextrem und rassistisch motivierten Morden von Hanau ist es nun an uns allen, gegen den Hass aufzustehen und ein Zeichen für die Demokratie zu setzen.
Tim Wegner
20.02.2020

Keine acht Monate nach dem Mord am CDU-Politiker Walter Lübcke ist Hessen erneut Schauplatz eines rechten Anschlags geworden. Tobias R., ein 43 Jahre alter deutscher Staatsbürger, hat neun Menschen erschossen. Später tötete er seine Mutter und sich selbst.

Im Internet hinterließ er Botschaften. "Gewisse Personen aus meinem eigenen Land" hätten dazu beigetragen, "dass wir nun Volksgruppen, Rassen oder Kulturen in unserer Mitte haben, die in jeglicher Hinsicht destruktiv sind". Er fabuliert auch von unterirdischen Militäreinrichtungen in den USA, von denen Böses ausgehe.

Tim Wegner

Nils Husmann

Nils Husmann ist Redakteur und interessiert sich besonders für die Themen Umwelt, Klimakrise und Energiewende. Er studierte Politikwissenschaft und Journalistik an der Uni Leipzig und in Växjö, Schweden. Nach dem Volontariat 2003 bis 2005 bei der "Leipziger Volkszeitung" kam er zu chrismon.

Ein kranker Wirrkopf? Ja, mag sein, dass Tobias R. auch das war. Wie einige der Mitglieder des rechtsterroristischen Netzwerks, das vorige Woche aufgeflogen war, bei denen die Rede davon war, dass sie nach ihren geplanten rassistischen Bluttaten auf einen Platz in Walhall hoffen. Auch das ist wirr und klingt krank, ändert aber nichts daran, dass die schweigende Mehrheit in unserer Gesellschaft die Augen öffnen muss: Rechter Hass und rechte Hetze sind längst bis in die politische Mitte hinein salonfähig geworden.

Vor allem die AfD darf sich an diesem traurigen Tag angesprochen fühlen. Sie ist verantwortlich für eine enthemmte Sprache, die Menschen das Recht streitig macht, Mensch zu sein. Da war Gaulands unerträgliches Gerede über eine Politikerin, die in Anatolien "entsorgt" werden müsse. Man entsorgt Müll, Herr Gauland, keine Menschen! Da sind Höckes Remigrations-Phantasien, die keinen Zweifel daran lassen, dass dieser Faschist darauf hofft, eines Tages Menschen zu vertreiben, die er als "nicht deutsch" erachtet. Umso unerträglicher wirkt die Wahl eines Ministerpräsidenten mit Höckes Stimme. Da ist das ständige Geraune über eine "Kanzlerinnendiktatur", die einer Widerstandsrhetorik Vorschub leistet, aus der nun offenkundig Morde werden.

Christinnen und Christen kennen das Gebot der Nächstenliebe. Wir sind aufgerufen, empathisch zu sein. Und manchmal hilft ein Perspektivwechsel zu verstehen, was das heißt: Ich habe heute morgen - nicht besonders weit von Hanau entfernt - meinen Sohn in den Kindergarten gebracht. Dort sind mir Eltern und Kinder mit dunkler Hautfarbe begegnet. Was fühlen solche Menschen nun in unserem Land, wenn sie doch wissen, dass Leute unter uns sind, die sie für nicht lebenswert erachten? 20,8 Millionen Menschen in Deutschland haben einen Migrationshintergrund, 10,9 Millionen Menschen sind Ausländer, haben also keinen deutschen Pass.

Menschlichkeit und Demokratie sind in Gefahr

Lübcke, Wächtersbach, Halle an der Saale und nun Hanau: Wie oft denn noch? Wer das Gebot der Nächstenliebe ernst nimmt, ist Menschen anderer Herkunft ein Zeichen der Solidarität schuldig. Nach den rechten Morden Anfang der Neunziger gab es Lichterketten und Konzerte. Es war irritierend, dass der Enttarnung eines rechtsextremen Netzwerkes, das erklärtermaßen einen Bürgerkrieg in Deutschland provozieren wollte, nicht wenigstens TV-Sondersendungen folgten, die aufklären und wachrütteln. Das ist ein Vorwurf, den man uns Journalisten machen kann.

Nach Hanau ist es nun aber an uns allen, neben der Trauer auch Zeichen des Mitgefühls zu senden. Und ein kraftvolles: nie wieder Faschismus! Denn Menschlichkeit und Demokratie sind in unserem Land in Gefahr.

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