Versöhnen, nicht spalten: der wundersame Aufstieg des Pete Buttigieg
Nancy Pelosi hat vor aller Augen Trumps Redemanuskript zerrissen. Der Kurs des Kandidaten Pete Buttigieg, moderate Wähler auf seine Seite zu ziehen, könnte sich als schlauer erweisen.
Tim Wegner
05.02.2020

Nach Irrungen und Wirrungen bei der Auszählung der Stimmen scheint klar zu sein, dass Pete Buttigieg – ein schwuler Ex-Bürgermeister aus dem mittleren Westen – die erste Vorwahl der Demokraten in Iowa mindestens (neben Bernie Sanders) dominiert, vermutlich aber sogar gewonnen hat. Der Auftakt zu den Vorwahlen geriet wegen technischer Probleme zum PR-Desaster für die Demokraten, das nahm auch den Buttigieg und Sanders viel Schwung. Trotzdem: Viele Iowa-Sieger sicherten sich in den vergangenen Jahrzehnten am Ende auch die Nominierung, zuletzt waren es Barack Obama und – allerdings sehr knapp – Hillary Clinton, die Trump 2016 unterlag. Es ist also gut möglich, dass ein Außenseiter Donald Trump herausfordert: Pete Buttigieg, 38 Jahre alt.

Buttigieg kann Trump schlagen

Wer hierzulande mit Menschen über die Wahlen in den USA spricht, erntet oft Achselzucken oder Defätismus. Trump werde doch eh im November gewinnen, die Amerikaner wollten genauso eine dreiste Person zum Präsidenten haben!, heißt es dann. Mal davon abgesehen, dass diese weit verbreitete Meinung viel darüber aussagt, wie wenig Mut, Zuversicht und Gestaltungskraft wir in Europa und Deutschland dem Populismus entgegensetzen: Doch, Buttigieg kann Trump schlagen. Er ist ihm intellektuell überlegen, er ist der weit bessere Redner, er bietet wenig Angriffsflächen – anders als Sanders, den Trump nur als "Sozialisten" beschimpfen muss, und dann wäre das Rennen wohl schon gelaufen. Und anders als Biden, den Trump (nicht mal zu Unrecht) als Vertreter des "Washingtoner Sumpfs" denunzieren könnte, sollte Obamas Vizepräsident doch noch nominiert werden. Dieser Vorwurf würde bei Buttigieg nicht verfangen. Er hat noch kein nationales politisches Amt bekleidet.

Tim Wegner

Nils Husmann

Nils Husmann ist Redakteur und interessiert sich besonders für die Themen Umwelt, Klimakrise und Energiewende. Er studierte Politikwissenschaft und Journalistik an der Uni Leipzig und in Växjö, Schweden. Nach dem Volontariat 2003 bis 2005 bei der "Leipziger Volkszeitung" kam er zu chrismon.

Ja, Buttigieg ist schwul, aber wenn Trump das brandmarkt, finden das auch reichlich viele Amerikanerinnen und Amerikaner abstoßend. Es gibt in Amerika das Lager der Schwulenhasser und Ewiggestrigen – es gibt aber auch Bundesstaaten, in denen Homosexuelle rechtlich wesentlich früher gleichgestellt waren als beispielsweise bei uns. Die USA sind kein einheitliches Gebilde.

Die Vorliebe für Heldengeschichten

Vor allem aber sollten wir in Deutschland nicht unterschätzen, was auch zu den USA gehört: eine Vorliebe für Heldengeschichten. Pete Buttigieg bietet so eine Geschichte, er erzählt sie in jeder seiner Reden: Als Teenager ein verkopfter Außenseiter und Halbwaise, hat er seinen Weg gemacht. In seiner Zeit in der Army verschwieg er, dass er schwul war; ohne Hoffnung auf Liebe sei er gewesen. Heute kann von Briefen von Soldaten berichten, denen es auch so geht und denen er ein Vorbild ist. Aus der Chaos-Wahl in Iowa stolpert ein einfacher Bürgermeister auf die nationale Bühne, der eigentlich keine Chance hat – so etwas lieben Amerikaner!

Und dann ist da noch eine Stärke des Kandidaten Buttigieg: Er, der sich als Christ versteht, versöhnt, statt zu spalten. Während die Mehrheitsführerin der Demokraten im Kongress, Nancy Pelosi, das Redemanuskript Donald Trumps anlässlich von dessen gestriger Rede "Zur Lage der Nation" vor den Augen aller zerriss und damit die Spaltung des Landes dokumentierte, baut Buttigieg Brücken. Er spricht davon, "zukünftige Ex-Republikaner" gewinnen zu wollen. Und in jeder seiner Reden kommt der Satz vor: "Ich will, dass ihr euch vorstellt, wie es sein wird, wenn die Sonne aufgeht und Trump nicht mehr Präsident sein wird!"

Trump ist eine Zumutung, ein Spalter

Die Menschen jubeln dann erstmal, klar, weil sie sich ermächtigt fühlen, so einen Morgen herbeizuwählen. Aber Buttigieg sagt das nicht, weil an jenem Morgen automatisch alles gut sein wird – nein, er sagt es, weil seinen Zuhörern durch dieses Bild auch klar wird, wie zerrissen die USA auch nach Trump sein werden.

Ja, Trump ist eine Zumutung, ein Spalter, zuletzt hat er das mit seiner Entscheidung bewiesen, Landminen, die schon unfassbar viel Leid angerichtet haben, wieder als Mittel der Kriegsführung zuzulassen. Ja, Trump hat Menschen und Institutionen beschädigt. Gestern, indem er die "Rede zur Lage der Nation" als Bühne dafür nutzte, einem Radiomoderator einen Orden zu verleihen, der mit rassistischen Ausfällen aufgefallen war. Pelosi, Sprecherin des Repräsentantenhauses, reagierte darauf, indem sie Trumps Manuskript vor aller Augen zerriss. Und dokumeniterte noch einmal die Spaltung des Landes. Ob das schlau ist?

Buttigieg jedenfalls will diese Spaltung überwinden. Er hat viel Arbeit vor sich. In jeder Hinsicht.

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