Mahlzeit mit gutem Gewissen
Mahlzeit mit gutem Gewissen
Studio Käfig
Mahlzeit mit gutem Gewissen
Mit einer weißen Weste steht niemand vom Esstisch auf. Aber man kann beeinflussen, wie groß die Flecken sind, schreibt Susanne Breit-Keßler im zweiten Teil einer Serie über gutes Leben, das die Umwelt schont.
12.11.2019

Fassungslos stehe ich in meinem Münchner Biosupermarkt. Der Kohlrabi kostet 4,99 Euro – das Stück. Die Ladenmieten sind hoch, das Personal muss anständig bezahlt werden, der Anbau gesunder Gemüse- und Obstsorten auch, aber diese Gewinnspanne kann mir niemand erklären. Auch nicht, warum immer noch so viele Lebensmittel in Plastik verpackt werden – so wie der Käse, der in der Folie gern unbeobachtet vor sich hin schimmelt. Ich mache das nicht länger mit.

privat

Susanne Breit-Keßler

Susanne Breit-Keßler ist Autorin der "Mahlzeit"-Kolumne auf chrismon.de. Viele Jahre schrieb sie auch die Kolumne "Im Vertrauen" für chrismon. Bis 2019 war sie Regionalbischöfin des evangelischen Kirchenkreises München-Oberbayern. Ihre journalistische Ausbildung absolvierte sie bei der Süddeutschen Zeitung und beim Bayerischen Rundfunk. Mehrere Jahre sprach sie "Das Wort zum Sonntag" in der ARD. Sie war bereits Autorin des chrismon-Vorläufers "Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt".

Von 2010 bis 2017 ist die Zahl der ­Biosupermärkte in Deutschland um 130 Prozent angestiegen. Die Preise variieren manchmal um bis zu 45 ­Prozent. Man muss genau hinschauen und viel Zeit mitbringen, wenn man sparen möchte. Ich habe diese Zeit nicht und auch keinen Hofladen in der Nähe. Die Lösung ist einfach: Ich bestelle bei einer ­kleinen Kooperative alle zwei Wochen eine Gemüse­box Classic für zwei ­Personen. Die Produkte werden nachhaltig verpackt frei Haus geliefert.

Die Nachhaltigkeitsserie:

Folge 1: Mode Secondhand Folge 2: Gut kochen und die Umwelt schonen Folge 3: Möbel, die lange halten

Man muss viel abwägen, denn die Klimabilanz einer Tomate aus Sizilien kann besser sein als die einer Gurke aus der Region, wenn das Gemüse im Kleinwagen angefahren wird. Dennoch gilt: Am besten kaufen, was daheim wächst, und zwar dann, wenn es geerntet wird. Meine Biolebensmittel sind krumm und schief wie das Leben selbst, saisonal und aus der Region. Wenn man doch mal Lust auf etwas ganz anderes hat, hilft die App "Siegel-Check" vom Naturschutzbund (Nabu). Dafür fotografiert man beim Einkaufen das Siegel, Logo oder ­Label auf der Verpackung und erfährt sofort, um welche Kennzeichnung es sich handelt und ob das Produkt gut für Klima, Umwelt und Natur ist.

Meine Lieblingsfrucht Avocado gönne ich mir nur noch selten. Sie hat eine miese Umweltbilanz – wegen langer Transportwege, illegaler Rodung von Wäldern für den Anbau und des Einsatzes von Pestiziden. Um ein Kilo Avocados zu produzieren, braucht es laut Unesco 1981 Liter Wasser – und das ausgerechnet in Ländern wie ­Chile, die ein großes Problem mit der Trockenheit haben. Ich gebe zu, dass man für ein Kilo meines geliebten ­Käses um die 3000 Liter benötigt.

Meine Biolebensmittel sind krumm und schief wie das Leben selbst

Dafür esse ich kaum Fleisch. Denn für ein Kilo Schweine- oder Rindfleisch braucht man 6000 beziehungsweise 15 000 Liter Wasser. Das kann man nachlesen auf waterfootprint.org. 2018 haben die Deutschen pro Kopf 60 Kilo Fleisch verzehrt. Da muss jemand anderes meinen Anteil gegessen haben! Laut WWF Deutschland sind nahezu 70 Prozent der direkten Treibhausgasemissionen unserer Ernährung auf tierische Produkte zurückzuführen. Wenn jeder nur einen Tag pro Woche auf tote Tiere verzichten würde, könnten wir jährlich rund neun Millionen Tonnen CO2 einsparen.

Dann lieber Fisch? Auch da gibt es Probleme: Als "überflüssiger" Beifang landen etwa bei einem Kilo Shrimps bis zu 20 Kilo andere Meerestiere im Netz. Im Mittelmeer sind über 90 Prozent der Fischarten wegen Überfischung in ihrem Bestand gefährdet. Der Fischratgeber des WWF ­empfiehlt Karpfen und Wels. Bei Thunfisch und Lachs sollte man darauf achten, dass sie das Siegel des Marine Stewardship Council (MSC) oder des Aquaculture Stewardship Council (ASC) tragen. Mit einer weißen Weste steht niemand vom Esstisch auf – aber man kann beeinflussen, wie groß die Flecken sind.

Soja, der heiligen Kuh der Alterna­­tivesser

Der Regenwald vernichtende Anbau von Soja, der heiligen Kuh der Alternativesser, hat sich in den vergangenen 50 Jahren weltweit verzehnfacht. 75 Prozent der Pflanzen sind für Tierfutter bestimmt, also für die Fleischproduktion. Soja wird auch für die Herstellung von Treibstoff und Pflanzenfettmargarine verwendet und zu einem geringen Teil für Tofu- und Soja­milchprodukte. Also schauen, ob die Bohnen aus Europa kommen – oder lieber gleich Linsen, Bohnen, Hafer und Süßlupinen essen.

Aus Süßlupinen gibt es inzwischen Joghurt, Brotaufstrich, Drinks und Desserts. Offen gestanden habe ich eine gewisse Scheu vor solchen neuen Produkten, seit ich mit Hafer- und ­Reismilch ein echtes "Bähhh"-Erlebnis hatte. Ich habe alles weggeschüttet – gegen meine Überzeugung. Aber wenn ich nur noch der Ideologie zuliebe esse und trinke, werde ich übellaunig.

Das allgegenwärtige Palmöl, dem Regenwälder in der Größe von Neuseeland geopfert wurden, versuche ich allerdings zu vermeiden. Es steckt in Biosprit, Strom und Wärme, in Chemie- und Futtermitteln, in Fertig­pizza, Keksen, Margarine, Seifen, Schminke und Waschmitteln. Es lohnt sich, die Inhaltsangaben auf Verpackungen zu lesen – denn wer will schon zur Produktion klimaschädlicher Gase, der Ausrottung von Orang-Utans, Borneoelefanten und Sumatratigern beitragen und mittelbar zu Menschenrechtsverletzungen an Kleinbauern und Indigenen? Oder krebskrank werden? Es hilft, selber frisch zu kochen und palmölfreie ­Alternativen zu kaufen.

Pro Person werden 85 Kilo Lebensmittel weggeschmissen

Mir bricht es förmlich das Herz, wenn ich lese, dass pro Person in Deutschland jährlich wahnsinnige 85 Kilo Lebensmittel weggeschmissen werden! Und dagegen kann man wirklich viel machen: nicht zu viel einkaufen und richtig lagern. Das Mindesthaltbarkeitsdatum ist kein ­Indiz dafür, dass die Lebensmittel verdorben sind: aufmachen, riechen und probieren. Reste weiterverwerten. ­Die App "Beste Reste" vom Bundesminis­terium für Ernährung und Landwirtschaft liefert dafür tolle Rezepte.

Es macht Freude, Essen zu teilen. Fast überall gibt es Foodsharing-­Angebote und private Initiativen, die sich über das Internet informieren, wo jemand etwas übrighat. Es gibt Anbieter wie Too Good To Go und ResQ, die Hersteller, Restaurants und Supermärkte vernetzen, um Lebensmittelverschwendung zu vermeiden. Die Apps informieren auch, wo es fußläufig preiswerte Reste zu kaufen gibt. Manche Einkaufszentren verschenken Waren, deren Haltbarkeit abläuft.

Ein Berliner Start-up sammelt genießbare, aber abgelaufene Lebensmittel und verpackt sie in "Retter­boxen", die man in verschiedenen Geschmacksrichtungen abonnieren und etwa für den halben Preis bekommen kann. Das ist ein bisschen wie Geburtstag oder Weihnachten, nur dass man dafür bezahlt. Für vieles, das ich hier empfehle, muss man ins Internet oder auf das Smartphone schauen. Diese kleinen Sklaventreiber und Klimakiller sind selten umweltverträglich. Was tun?

Alte Geräte reparieren lassen, statt sie gleich wegzuwerfen, und wenn, dann nicht in die Mülltonne, sondern im Wertstoffhof entsorgen. Und einfach mal abschalten. In die Küche gehen, etwas Gutes kochen. Gern aus dem, was man im energieeffizienten Kühlschrank vorfindet. Dazu ein feines Getränk und Freunde einladen.

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