Fernsehjournalistin Birgit Wärnke auf Ursachenforschung in ihrem brandenburgischen Heimatdorf
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Martin Kobold
"Raus aus der Journalistenblase, rein in die Welt"
Warum wählen so viele Menschen in Ostdeutschland die AfD? Warum gibt es im Osten so viel Hass auf die Politik? Die Fernsehjournalistin Birgit Wärnke hat Ursachenforschung in ihrem brandenburgischen Heimatdorf betrieben. Für ihren Film "Zurück im Osten: Was ist in meiner Heimat los?" hat sie nun den Geisendörfer-Preis erhalten.
Tim Wegner
26.09.2019

chrismon: Ihr Film heißt "Zurück im Osten" – warum wollten Sie zurück?

Birgit Wärnke: Auslöser war ein Fernsehbeitrag meiner Panorama-Kollegen über den Bundestagswahlkampf vor zwei Jahren. Die Bundeskanzlerin besuchte meine Geburtsstadt Branden­burg/Havel und wurde auf dem ­sanierten Marktplatz angepöbelt und als Volksverräterin beschimpft. Da wurde mir meine Heimat auf einmal sehr fremd. Dann kam die Wahl im September 2017. Die AfD erreichte in meinem brandenburgischen Heimatdorf Groß Kreutz fast 20 Prozent. Es war klar, es hatte sich in den letzten Jahren etwas auseinanderentwickelt. Ich wollte herausfinden, was passiert war, und hatte zwei Ideen im Kopf. Die eine: Ich suche die Pöbler vom Marktplatz und versuche, ihre Wut zu ergründen. Die andere: Ich gehe zurück in mein Heimatdorf und komme mit Menschen ins Gespräch, die ich von früher kenne und die dortge­blieben sind. Ich bin ja vor über 20 Jahren weggegangen, nach Hamburg.

Warum wurde es die zweite Idee?

Ich habe natürlich einen guten und direkten Zugang zu den Menschen in meinem Ort. Und den Film als persönliche Reporterreise zu erzählen, fand meine Redaktion reizvoll. Mir war aber auch klar, dass es ein schmaler Grat ist, in seiner alten Heimat eine politische Geschichte zu drehen.

Birgit WärnkeMartin Kobold

Birgit Wärnke

Birgit Wärnke, Jahrgang 1978, ist Autorin, Regisseurin und Videojournalistin. Sie hat Politische Wissenschaft und Journalistik in Hamburg und Dublin studiert. Seit 2011 ist sie für "Panorama" und "Panorama - die Reporter" tätig.

Warum?

Will man sich und sein Umfeld so exponieren? Will ich meinen Vater, seine Freunde, meine Lehrerin, meine damaligen Schulkameraden mit ihren politischen Ansichten in die Öffentlichkeit bringen? Ich habe es gemacht, weil ich wissen wollte, woher die Unzufriedenheit im Osten kommt, und war deshalb mehrere Tage dort, um zuzuhören.

"Ich spürte eine Unzufriedenheit, die ganz tief sitzt"

Im Film hört man Sie sagen: "Den Leuten geht‘s doch ganz gut. Kaum Arbeitslosigkeit, viel Eigentum." ­Warum dann diese Wahlergebnisse?

Ich habe diese Frage mit meinem Vater und seinen Kumpels diskutiert. Sie treffen sich jeden Freitagabend in einer Garage. Warum die AfD auch in Groß Kreutz so stark ist, konnten sie mir nicht so richtig erklären. Mein Kameramann Martin Kobold und ich waren aber überrascht, dass es in dem Gespräch dann um Sozialneid und Abgrenzung gegenüber Flüchtlingen ging. Die Männer erzählten, dass man im Osten immer noch weniger verdient als im Westen. Und: "Die Ausländer kriegen alles, aber ick muss in der Apotheke fünf Euro dazuzahlen!", sagte ein Freund meines Vaters. Wir sind zu kurz gekommen, schwingt da mit. Ich spürte eine Unzufriedenheit, die ganz tief sitzt.

Wo kommt die her?

Ich glaube, am Ende geht es gar nicht nur um Materielles. Sicher gibt es Enttäuschungen, etwa dass Renten und Löhne noch immer nicht angeglichen sind und dass der Osten nicht so blüht wie einst versprochen. Aber viel wichtiger sind andere Gründe, die mit dem Zusammenbruch der DDR zusammenhängen – wie verlorene Identität, Brüche in der Biografie, kaum Anerkennung von Lebens­leistungen, Verlust von Gemeinschaft, westliche Dominanz bei der Wiedervereinigung und Erfahrungen zweier aufeinanderfolgender Diktaturen, die noch nicht aufgearbeitet wurden. Und es gibt diffuse Ängste vor Fremden, wahrscheinlich auch, weil es in der DDR kaum Ausländer gab. Immerhin haben wir uns in der Garage auf das Wort "flüchtlingsskeptisch" geeinigt. "Ausländerfeindlich" oder "asylfeindlich" wollten die Männer nicht sein.

Birgit Wärnke, Jahrgang 1978, ar­beitet seit 2011 für "Panorama" und "Panorama ­ die Reporter"

In einer anderen Szene angeln Sie mit Ihrem Vater und fragen ihn nach der Zeit in der DDR. Wussten Sie als Tochter nicht schon längst, was er darüber denkt?

Um es klar zu sagen: Mein Vater ist weder Rechter noch AfD-Wähler. Aber an das Thema Vergangenheit wollte er nie so richtig ran. Er war Sportoffizier bei der NVA. Er war in der SED, aber nie für die Stasi aktiv. Seit den Dreharbeiten verstehe ich ihn besser. Er sagte: "In der DDR war auch nicht alles schlecht." Und meinte ­damit die soziale Absicherung. Ich fragte ihn, was wichtiger sei – Freiheit oder soziale Absicherung? Mir wurde klar, er hatte eine Verantwortung für uns als Familie. Ja, er war Mitläufer. Aber steht es mir zu, ihn dafür zu verurteilen? Vielleicht wäre ich auch Mitläuferin geworden. Für uns DDR-Kinder ist es wichtig, die ­Elterngeneration zu hinterfragen. Und aufzuarbeiten. Nur dann kann man sich auf etwas Neues einlassen.

Dann wären nicht aufgearbeitete DDR-Biografien die Erklärung für den Erfolg der Rechten im Osten. Aber auch im Westen erreicht die AfD zweistellige Ergebnisse . . .

In absoluten Zahlen wählten 2017 dort sogar mehr Menschen die AfD. Aber im Osten haben die Stimmenzuwächse auch mit der Vergangenheit zu tun, da bin ich mir sicher.

Einer Ihrer Gesprächspartner sagt, er habe Sympathien für die AfD. ­Sollen Medien mit Rechten und der AfD ­reden oder sie lieber ausgrenzen?

Wir müssen mit AfD-Wählern ­reden, sonst verlieren wir viele Menschen, die sich schlimmstenfalls radikali­sieren. Bei den Landtagswahlen ­haben sich deutlich mehr als 20 ­Prozent der Wähler und Wählerinnen in Brandenburg und Sachsen für die AfD entschieden. Wir haben als Journalisten eine Aufgabe und die kann nicht darin bestehen, dass wir einen großen Teil der Menschen ausschließen und uns mit deren Sorgen und Ängsten nicht mehr befassen. Aber es gibt Grenzen. Wenn sich Gesprächspartner menschenverachtend, homophob oder rassistisch äußern, höre ich auf.

Wie kommen Sie zu Ihren Themen?

Ich lese viele Zeitungen und spreche vor allem mit vielen unterschiedlichen Menschen, frage, was sie gerade umtreibt. Bloß nicht nur am Schreibtisch sitzen und nur mit Kol­legen diskutieren. Wir müssen raus aus der ­eigenen journalistischen Blase und rein in andere Lebensrealitäten. Oft er­geben sich auch bei Dreharbeiten neue Themen.

War das bei "Zurück im Osten" auch so?

Ja, ich hatte für "Zurück im Osten" auch mit ­meiner ehemaligen Lehrerin gedreht. Mich hat beeindruckt, wie intensiv sie sich mit ihrer Rolle in der DDR und ihrer Schuld auseinandergesetzt hat. Sie sagt, sie war nicht nur Mitläuferin, sondern auch Trägerin des Systems. In meiner neuen Dokumentation wird sie sich noch intensiver mit ihrer Vergangenheit beschäftigen, auch mit der Frage, wie viel Macht diese untergegangene DDR immer noch über ihre Bürger hat. Das ist eines der Themen in meiner Doku: "Einheitsland - oder doch nicht?" am 30. Oktober um 21 Uhr im NDR-Fernsehen.

Infobox

Der Preis wird seit 1983 alljährlich im Gedenken an den protestantischen ­Publizisten Robert Geisendörfer (1910–1976) für heraus­ragende publizistische Leistungen ver­liehen – in diesem Jahr am 26. September 2019 in Zusammenarbeit mit dem Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) in Berlin.

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