Tag der offenen Kellertür
Erinnerungen an schöne Reisen 
und künstlerische Inkompetenz.
Lena Uphoff
25.09.2019

Ich habe mal wieder den ­
Keller aufgeräumt. Hatte ich mir schon länger vorgenommen, aber immer wieder verschoben. Denn ich ahnte: Die Aktion lässt sich nicht im Vorübergehen ­erledigen. Und diese Einschätzung wurde am vergangenen Wochenende vollauf bestätigt.

Unser Keller ist keineswegs ­riesig. Ein überschaubarer Raum für Sachen, die man nicht ständig braucht, wie zum Beispiel ­Camping- und Sportsachen, Fonduetöpfe und Handwerkszeug. Daneben ein ­früher "Waschküche" genannter Ort für Waschmaschine, Trockner und ­Wäscheleinen und ein kleines Regal für Putzmittel.

Orangene Rollschuhe und alte Schlafsäcke

Im Sportregal stieß ich auf meine "Rollschuhe". Ich hielt sie ins Licht. Seltsam, dachte ich, die Dinger hast du sicher schon mehr als zehn Jahre nicht mehr benutzt. Ich prüfte die Rollräder. Gut in Schuss. Die Schuhe hingegen wirkten doch sehr abge­tragen, dumpf und matt. Einst strahlten sie in hellem Orange. Weg damit! 
Wirklich? Ich legte sie auf den so­genannten Fragehaufen.

Dort lagen schon unsere Schlaf­säcke aus den frühen 90er Jahren. ­
Als ich sie in die Höhe hob und ausschüttelte, stürmten durch meinen Kopf Erinnerungen an einen wunderschönen Urlaub auf einem Campingplatz bei Avignon. Wir hatten diesen Ort zusammen mit guten Freunden aus­gesucht. Wir wanderten mit unseren Kindern durch die Provence, bestiegen den Mont Ventoux, besichtigten historische Stätten in Avignon, Orange und Arles. Das waren noch Zeiten.

Reisen im Homeoffice

Neulich hatte ich einer Studentin von meiner innigen Liebe zur proven­zalischen Kultur berichtet. Hervor­ragende Weine, eindrucksvolle Orte, romantische Landschaften in sonnigem Licht. "Weiß ich", sagte mein Gegenüber und lächelte ein wenig gelangweilt. Und wann hatte sie ­ihre Tour de Provence absolviert? "Gar nicht", lautete die prompte Antwort. "Findet sich alles in Wikipedia und auf den Onlineseiten der französischen Tourismusangebote."

Dass Reisen im Homeoffice stattfinden, mögen Leute wie ich be­dauern. Mit verstaubten Koffern und Schlafsäcken im Keller haben digitale Wanderer indes keine Probleme. Während mir das durch den Kopf ging, saß ich auf einem alten Riesenkoffer, den mir dereinst mein Paten­onkel geschenkt hatte. "Da kriegst du für zwei Wochen Urlaub alles rein", erklärte er mir stolz bei der Übergabe.

Die Weltsicht optisch vermitteln

Es war nicht einfach, diesen 
Koffer zu öffnen, obwohl er nicht abgeschlossen war. Seine Klappverschlüsse waren eingerostet. Schließlich hob sich der Deckel und präsentierte mir eine weitere Überraschung: rund zwanzig trommelhart gespannte Leinwände auf hölzernen Rahmen. Die hatte ich mir beschafft, um an einem Malkurs teilzunehmen. Muss auch schon mehr als anderthalb Jahrzehnte her sein.

Etwa ein Drittel der Flächen, ­circa einen halben Quadratmeter groß, waren unversehrt von Pinsel und Farben. Schön! Der Rest trug Zeichen meiner künstlerischen Unvollkommenheit. Skizzen für ein Porträt, ­eine Berglandschaft, ein kaltes Buffet. Harry, ein guter Freund, hatte mich damals zu dem Kurs überredet. Ich hatte gerade eine Galerie mit seinen Bildern besichtigt, als er mich fragte, ob ich mich schon mal mit Malerei beschäftigt hätte. Nein, antwortete ich, dazu fehle mir jegliches Talent. "Quatsch", meinte Harry, "du kannst lernen, deine Weltsicht optisch zu ­vermitteln." Und er überzeugte mich, es zu versuchen.

Die bemalten Leinwände, entschied ich sofort, kommen weder auf den Fragehaufen noch in die Weg-­damit-Kiste. Sie bleiben im Keller. Als Mahnmal meiner künstlerischen Inkompetenz. Ein guter Anlass, den Tag der offenen Kellertür zu beenden und mit dem Stöbern in der eigenen Geschichte aufzuhören.

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