#Klimastreik: Der Tag, an dem ein Argument zerbröselt
Die weltweiten Proteste der "Fridays4Future"-Bewegung sind ein starkes Zeichen dafür, dass Tot­schlag­ar­gu­mente nicht mehr ziehen. Es gibt ein globales Wir - und nicht "Wir" und "die Anderen".
Tim Wegner
20.09.2019

Es wird heißer auf der Erde, und der Mensch trägt dazu bei, weil wir zu viele Treibhausgase freisetzen. Seit diese Erkenntnis durch einen überwältigenden wissenschaftlichen Konsens untermauert ist und sich nicht mehr ernsthaft in Zweifel ziehen lässt, taucht ein Argument immer häufiger in den Debatten über den Klimaschutz auf: "Wir in Deutschland verursachen doch nur einen Bruchteil der Treibhausgasemissionen, also bringt es auch dem Klima nichts, wenn wir vorangehen!" Gern argumentieren auch einzelne Branchenvertreter so: Dann ist es wahlweise der Flugverkehr, der ja nur minimal zu den Emissionen beitrage. Oder die Autoindustrie – oder, oder, oder. Und überhaupt: Bauen andere Länder nicht noch unentwegt Kohlekraftwerke, während wir in Deutschland ganze Industriezweige gefährden?

Tim Wegner

Nils Husmann

Nils Husmann ist Redakteur und interessiert sich besonders für die Themen Umwelt, Klimakrise und Energiewende. Er studierte Politikwissenschaft und Journalistik an der Uni Leipzig und in Växjö, Schweden. Nach dem Volontariat 2003 bis 2005 bei der "Leipziger Volkszeitung" kam er zu chrismon.

Diese Argumentationskette der Blockierer und Interessenvertreter zerbröselt an diesem Freitag. Tausende Menschen demonstrieren für mehr Klimaschutz. Und das eben nicht nur in Deutschland – nein, auf der ganzen Welt. Es ist ein starkes Zeichen dafür, dass es eben kein "die Anderen" und "Wir" gibt, die sich gegeneinander ausspielen ließen. Es gibt nur ein globales "Wir" als besorgte Antwort auf ein globales Problem. Für Standortwettbewerbe ist nun schlicht keine Zeit mehr.

Wir im globalen Norden verdanken unseren Wohlstand einer Wirtschaftsweise, die viel zu viele Ressourcen verbraucht. Das begründet eine Verantwortung, nun endlich voranzugehen und Alternativen aufzuzeigen. Das ist keine neue Erkenntnis. Die Koalition aus Union und SPD aber ist auf diese längst bekannte Herausforderung offenkundig schlecht vorbereitet. Warum sonst muss sie eine Nacht lang durchverhandeln, um zu einem Minimalkompromiss zu kommen? Sie hatte Monate und Jahre Zeit - und eine satte Mehrheit.

Das klingt alles mutlos

Das Klimakabinett muss die Demonstranten enttäuschen. Ein unabhängiges Expertengremium soll überprüfen, ob Deutschland seine Einsparziele erreicht. Klingt zunächst gut, aber die Meinung der Experten zum Thema ist seit Jahren bekannt. Das klingt alles mutlos. Ein anderes Beispiel: Mehr als 66.000 Menschen hatten in der ersten Jahreshälfte eine Petition der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland unterschrieben. Die Petition blieb letztlich erfolglos und wurde im Sommer von der Mehrheit der Regierungsfraktionen abgeschmettert. Ein Ende der Raserei hätte viele Vorteile, auch diesen: Mit einer vorgeschriebenen Höchstgeschwindigkeit von 130 Stundenkilometern auf Autobahnen ließen sich im Jahr zwei Millionen Tonnen CO2 einsparen. Wohlgemerkt im Verkehrssektor, der bisher allen Reduktionszielen meilenweit hinterherhinkt. Aber ein Tempolimit steht nicht im Eckpunktepapier des Klimakabinetts.

Das Treibhausgas Kohlendioxid soll dagegen einen Preis bekommen, der so niedrig ist, dass kaum Einsparanreize entstehen. Zunächst sollen Benzin und Diesel um etwa 3 Cent je Liter verteuert werden, in einem zweiten Schritt bis 2026 dann weiter auf 9 bis 15 Cent je Liter. Ob das ein Umdenken auslöst? Man muss Zweifel haben.

Wenn Angela Merkel sich nun am Montag auf der Klimakonferenz in New York wieder als Klimakanzlerin inszeniert, ist das unglaubwürdig. Sie wurde am 22. November 2005 erstmals als Kanzlerin vereidigt.

Das ist fast 14 Jahre her. Noch einmal 14 Jahre können wir nicht warten.

Dieser Text wurde am 20.9.2019 um 15.10 Uhr aktualisiert.

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