Religiöse  Tattoos  - KiGes
Religiöse Tattoos - KiGes
Jon Tyson/Unsplash
Am Tattoo könnt ihr sie erkennen
Rosenkränze, Madonnen, Engel: Christliche Symbole sind beliebte Tattoo-­Motive. Woher kommt das, und warum tragen auch Atheisten Kreuz-Tattoos?
Tim Wegner
05.08.2019

chrismon: Sind religiöse Tattoos ein neuer Trend?

Paul-Henri Campbell: Nein, es gibt schon von Anfang an religiöse Tattoos. Es wurden Tattoos auf ägyptischen Mumien gefunden, auch im Christentum gibt es Tätowierungen seit den ersten Tagen. Das war damals ein Er­kennungsmerkmal für andere Christen, so wie sich die Kopten auch heute noch ein Kreuz aufs Handgelenk tätowieren lassen. Die antiken Religionen trugen ihre Zeichen viel mehr nach außen, als wir es heute tun.

Warum lassen sich Menschen heute reli­giöse Tattoos stechen?

Sie wollen zeigen, was sie glauben. Es ändert sich ständig so viel. Ein Tattoo ist dagegen ein dauerhaftes, öffentliches Bekenntnis.

Ist tätowieren christlich?

Absolut. Tätowierte Christen wollen ihren Glauben durch Zeichen auf ihrer Haut verbürgen. Viele treten durch diese Zeichen in einen Dialog mit, ihren Mitmenschen, aber auch mit dem Transzendenten. Und die Mitmenschen nehmen ein Tattoo wahr. Das ist nichts, was sich so leicht übergehen lässt.

Paul-Henri CampbellPR

Paul-Henri Campbell

Paul-Henri Campbell ist Theologe, Schriftsteller und Lyriker. Er hat mit zahlreichen Tätowierern über christliche Motive gesprochen.

Wie meinen Sie das?

Neulich habe ich einen Vortrag über feministische Tätowierungen gehalten. Eine Frau hatte sich #MeToo als visuelles Statement stechen lassen. Das kann man als Betrachter nicht einfach übergehen.

Lassen sich Menschen als Schutz gegen ­Unglück tätowieren?

Ganz häufig! Ein Lkw-Fahrer hat mir erzählt, dass er zwei Herzinfarkte hatte. Danach hat er sich eine Madonna auf den Oberarm täto­wieren lassen. Auch als Dank, dass er noch lebt.

Ist das nicht eine Erinnerung an negative Ereignisse?

Nicht unbedingt. Ich habe eine Frau getroffen, die einen Pferdekopf tätowiert hatte. Darunter waren Käfer zu sehen. Sie erzählte, dass sie als Kind einmal mit ihrer Mutter ausreiten war. Sie sind damals an einen Weg gekommen, auf dem viele dieser Käfer krabbelten. Die Mutter ist abgestiegen und hat die Käfer zur Seite getragen, damit sie sie nicht zertrampeln. Jahre später hat sich die Frau dann das Tattoo stechen lassen. Es war die Erinnerung an einen schönen Moment von Geborgenheit mit ihrer Mutter, den sie an sich festhalten wollte.

Welche Motive sind besonders beliebt?

Ein Tätowierer aus Santiago de Compostela hat mir erzählt, dass er drei- bis viermal am Tag eine Jakobsmuschel sticht. In Jerusalem ist der Heilige Georg ein häufiges Motiv oder das Jerusalemkreuz. Oft sind es Pilgerzeichen, die für alle sichtbar zeigen: Ich war da!

Wie ein Souvenir?

Ja, wie eine Devotionalie. Die einen nehmen Erde aus dem Heiligen Land mit oder kaufen dort Olivenöl. Andere lassen sich ein Tattoo stechen.

Tätowieren verbinden viele Menschen eher mit einem alternativen Lebensstil als mit Glaube, Tradition und Werten...

Das würde ich gar nicht so sehen. Im Mittelalter waren Tätowierungen in den oberen Schichten sehr weit verbreitet. Zum Beispiel die Selige Christina von Stommeln aus Köln, die im 13. und 14. Jahrhundert lebte: Zwei Dominikaner beschreiben in einem Briefwechsel ihre Tätowierungen und interpretieren sie als Stigmata, als Zeichen ihrer Erwähltheit. Tätowierungen haben in unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Bedeutungen.

Sind Tattoos also eine konservative Kulturtechnik?

Wenn man auf die Motive guckt, könnte man das denken. Bei christlichen Motiven wird oft der Kernbereich abgedeckt: Madonnen, Rosenkränze, neogotische Jesusfiguren. Aber Tattoos sind ein Massenphänomen. Es gibt alle möglichen Stile und Gründe, warum sie getragen werden. Das kann man nicht über einen Kamm scheren.

Schmerz und Leiden spielen in der Bibel eine große Rolle. Gibt es da eine Verbindung zum schmerzhaften Vorgang des Tätowierens?

Natürlich fließt da ein bisschen Blut, es tut weh und hat mit dem Körper zu tun. Aber ich glaube, die meisten Leute lassen sich nicht tätowieren, weil sie  Schmerz erleben wollen. Das hat nichts mit der mittelalterlichen Kasteiungs-Religiosität zu tun.

Lassen sich auch Atheisten Kreuze stechen?

Ein christliches Motiv ist nicht immer ein ­Ausweis tiefer Frömmigkeit. Ich habe mit einem französischen Tätowierer gesprochen, der ­Kathedralfenster sticht. Seine Kunden sind nicht unbedingt kirchlich-religiös. Die finden einfach diese Bildwelt sehr schön. So wie manche Menschen sich Maori-Motive ­stechen lassen. Das ist auch nicht religiös ­motiviert. Der Heilige Georg, der Drachentöter, ist eine heroische Figur. Das kann als Tattoo natürlich auch ein Ausdruck von Stärke sein, der nichts mit Religion zu tun hat. Viele christliche Motive werden ja auch von Filmen der Populärkultur aufgesaugt, ohne religiöse Tiefe zu besitzen.

Sind Sie tätowiert?

Ich lasse mir jetzt im August eine Tätowierung stechen. Ein Motiv aus dem italienischen Wallfahrtsort Loreto in Italien. Ansonsten sehe ich mich eher als Beobachter. Mein Buch über christliche Tattoos war ein Projekt, um mit Menschen ins Gespräch zu kommen. Diese Kunstform des religiösen Ausdrucks ist eigentlich nicht meine. Aber dadurch sind schöne und intime Dialoge mit den Tätowierern entstanden. Ich habe von ihnen gelernt, dass sie aus Respekt für den Körper des Anderen arbeiten. Tätowieren erfordert Vertrauen. Das wünsche ich mir auch für die Theologie.

Produktinfo

Campbells Buch "Tattoo & Religion" ist 2019 erschienen, Wunderhorn-Verlag, 192 S., 29,80 Euro.

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