Darf man eine Oma taufen?
Warum eine christliche Gemeinde kein exklusiver Club von "Bessermenschen" ist.
Lena Uphoff
21.12.2018

Neulich hat mir Beate, eine ältere Freundin, erzählt, dass sie sich nach einigen Jahren Kirchenchor nun entschlossen habe, in die Kirche einzutreten. Sie entstammt einer atheistischen Familie aus Pommern, fühlt sich jedoch schon seit geraumer Zeit "dem evangelischen Christentum" ver­bunden. Also ging sie zu der Pastorin der Gemeinde, in der ihr Chor zu Hause ist, und teilte ihr mit, dass sie von ­nun an ihren Beitrag, genannt ­"Kirchensteuer", zahlen wolle. Hocherfreut nahm die Pfarrerin sie in die Arme, dankte ihr und fuhr fort: "Jetzt müssen wir nur noch das Datum für deine Taufe ausklamüsern. Am besten im Januar. Da haben wir nach der Weihnachtszeit ein wenig Ruhe."

Lena Uphoff

Arnd Brummer

Arnd Brummer, geboren 1957, ist Journalist und Autor. Bis März 2022 war er geschäftsführender Herausgeber von chrismon. Von der ersten Ausgabe des Magazins im Oktober 2000 bis Ende 2017 wirkte er als Chefredakteur. Nach einem Tageszeitungsvolontariat beim "Schwarzwälder Boten" arbeitete er als Kultur- und Politikredakteur bei mehreren Tageszeitungen, leitete eine Radiostation und berichtete aus der damaligen Bundeshauptstadt Bonn als Korrespondent über Außen-, Verteidigungs- und Gesellschaftspolitik. Seit seinem Wechsel in die Chefredaktion des "Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatts", dem Vorgänger von chrismon im Jahr 1991, widmet er sich zudem grundsätzlichen Fragen zum Verhältnis Kirche-Staat sowie Kirche-Gesellschaft. Seine besondere Aufmerksamkeit gilt kulturwissenschaftlichen und religionssoziologischen Themen. Brummer schrieb ein Buch über die Reform des Gesundheitswesens und ist Herausgeber mehrerer Bücher zur Reform von Kirche und Diakonie.

"Taufe?", raunte Beate. "Das ist nun nicht Ihr Ernst. Ich bin Rentnerin, ­69 Jahre alt. Da muss ich mich doch nicht mit Wasser überschütten lassen! Das macht man doch mit Kindern! Fehlt nur noch, dass ich konfirmiert werden soll. Ich glaub’s nicht!" Die Pfarrerin schaute Beate lächelnd in die Augen. "Dann nahm sie meine Hand und fragte, ob ich ein paar ­Minuten Zeit hätte. Ich nickte." Die Christenheit, ließ die Theologin Freundin Beate wissen, sei kein Verein, kein Verband der "Bessermenschen", dem man beitritt, indem man einen Antrag ausfüllt und unterschreibt. Christlich sei vielmehr die Erkenntnis, dass alles und jedes Menschenwerk, auch das der Frömmsten und Besten, von der Gnade Gottes abhängig bleibe. Und: "In der Spur des Jesus dürfen wir auf die Liebe Gottes hoffen, da wir seine Kinder sind."

Beate dämmerte beim Zuhören, dass die Taufe etwas anderes ist als eine Art von behördlichem Akt nach dem Motto: Hiermit erklären wir Sie zu einem gläubigen Menschen und stellen Ihnen ein Gottesdiplom aus. "Ich begriff, dass es sich bei der Taufe um eine Geste handelt, in der die Gemeinschaft der Christen, die Jünger Jesu und ich selbst, bekennen, dass wir auch als Neunzigjährige im Sinne Gottes Kinder bleiben. Da ist etwas, was größer ist als unser Verstand, unser Wollen und Tun. Und das heißt ‚Gott‘." Beim Abendessen berichtete sie Ehemann Werner von dem Gespräch. Werner hatte gerade eine lebensgefährliche Darmerkrankung überwunden.

"Willkommen im Kindergarten Gottes, liebes Großmütterchen"

Schweigend blickte er auf seinen Teller. Dann sagte er leise: "Als mir der Arzt erklärte, dass ich nach medizinischer Erkenntnis nur geringste Chancen gehabt hätte, ­meine Krankheit zu überleben, fügte er ­hinzu: Es grenze an ein Wunder, was meine Werte bei der letzten Unter­suchung offenbart hätten: Alles okay!" Solche Augenblicke, schloss Werner, seien eine Einladung, irgendwohin zu rufen: Danke! Irgendwohin? Für ihn trage dies den Namen Gott. Gott sei Dank! Im wahrsten Sinne des weit verbreiteten, selbst von Atheisten ­gerne benutzten Ausrufes.

Als mir Beate beim Tässchen ­Kaffee ihre Taufstory erzählte, blieb mir nur festzustellen, wie beeindruckend die Reaktion der Pastorin gewesen sei. Vor allem den Hinweis, nicht einem Club von "Bessermenschen" beizu­treten, sondern einer Gemeinschaft der Glaubenden und Hoffenden, fand ich großartig. "Und dafür bekommt man eben zwei Löffelchen Wasser auf die Stirn", grinste Beate. "Willkommen im Kindergarten Gottes, liebes Großmütterchen. Und bitte, singe weiter mit uns. Wir brauchen dein Alt." Da musste ich natürlich fragen, ob es auch eine familiäre Feier nach der Taufe gebe. "Logisch", antwortete der Täufling in spe. "Mit Sohn, Tochter und ihren Partnern. Und natürlich mit den drei Enkeln." Ihre Schwieger­tochter, schloss Beate, komme aus dem Schwabenland. "Und dort gilt die Regel: Erschd taufen, dann ­saufen! Wir werden es nicht übertreiben; aber ein paar Gläschen Sekt werden wir uns schon gönnen."

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