Irdische Liebe und himmlisches Wunder
Der chassidische Jude Moische Chazkelewitsch Schagalow fand in Bella Rosenfeld die Liebe seines Lebens und damit sein wichtigstes Thema für seine Kunst. Seinen Namen wandelte er später ab: Marc Chagall.
Lukas Meyer-BlankenburgPrivat
05.07.2018

Wer heute noch an die wahre Liebe glaubt, gilt als hoffnungsloser Fall. Das A und O der Ware Liebe wird längst bestimmt von Algorithmen und Onlinepräsenz. An der digitalen Partnerbörse sind die Sehnsüchte der Suchenden Aktien, deren Kurse schneller fallen, als man offline gehen kann. Im Internetzeitalter scheint also wenig Platz für einen großen Träumer der Kunstgeschichte: Marc Chagall.

1887 im russischen Stetl Witebsk als ältes­tes von neun Geschwistern geboren, lernt der kleine Moische, wie er damals noch hieß, sich durchzusetzen. Das kommt ihm später bei der Partnersuche zupass. Denn seine Bella Rosenfeld heiratet er gegen den Widerstand der Schwiegereltern. Eine Hochzeit aus Liebe! Absurd zu jener Zeit, aber, wie sich schnell herausstellt, ein Ereignis mit Win-Win-­Charakter für den Künstler wie für Kunstfreunde weltweit. Denn Bella ist nicht nur die Liebe seines Lebens. Sie wird außerdem das Leitmotiv in Chagalls poetischer Bilder­sprache, sein Dauerbrenner. Daran ändert auch der frühe Tod Bellas nichts. 1944 stirbt sie mit 48 Jahren an einer Virusinfektion. Aus dem Leitbild Bella wird die große Sehnsuchtsfigur. Der Chasside Chagall, der die Stadt der Liebe, nämlich das überbordende Paris, ­Anfang des 20. Jahrhunderts zu seiner neuen Heimat macht, glaubt an einen unauflöslichen Bund von Gott und Mensch und an die Liebe als universales Prinzip. Das irdische Glück der Liebe ist für ihn daher stets auch Ausdruck eines himmlischen Wunders.

So unerschütterlich hat kaum ein bildender Künstler die Liebe gemalt

Entrückt und sich selbst genügend ­schweben Chagalls Liebende, wie auch hier das Liebespaar im Bild "Couple sous un ­arbre" von 1950, dahin. Das Weltliche, das Stetl mit seinen Alltagssorgen, verschwimmt im ­blauen Dunst. Dafür erobert ein leidenschaftlich rotglühender Baum mit fröhlich flötenden ­V­ögeln die Bildmitte. Der Baum ist bei Chagall ­Sinnbild kraftstrotzenden Lebens. So traumwandlerisch und unerschütterlich hat vor und nach ihm kaum ein bildender Künstler die Liebe gemalt. Selbst die Erfahrung von Bellas Tod und das Elend zweier Weltkriege haben den umtriebigen Chagall nicht von diesem Glauben an die Liebe abbringen können, der immer auch eine Botschaft des Friedens war und ist. Davon künden beispielsweise seine 
bunten Fenster in der Mainzer Kirche St. 
Stephans. Sie sind Chagalls weltweit größtes 
zusammenhängendes Glaskunstwerk, nach dem Krieg als Zeichen deutsch-jüdischer ­Versöhnung angefertigt.

Wer ganz analog den bunten Fährten der Liebe in der Kunstgeschichte folgen möchte, dem sei Sabine Poeschels Buch "Die Kunst der Liebe. Meisterwerke aus 2000 Jahren" ­(Theiss-Verlag) empfohlen, in dem auch Marc Chagall seinen verdienten Platz erhält. Der Künstler starb 1985 im Alter von 97 Jahren – gut, dass er Dating-Plattformen und Seitensprung-Apps nicht mehr erleben musste.

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