Die evangelisch-lutherische Christuskirche in Rom
Rome, August the 10th. The weekly party hosted by the Evangelical Lutheran church of Rome.
Francesco Alesi/Parallelozero
"Ach, dann seid ihr ja auch Christen!"
Viele Römer staunen, wenn sie von einer Kirche hören, in der es Bischöfinnen gibt. Im Jubiläumsjahr des Thesenanschlags spricht sich die Reformation auch in Italien herum
Lena Uphoff
16.10.2017

„Lutero? Martino? Und was hat der gemacht?“ Wenn Jens-Martin Kruse in Rom mit Einheimischen über Luther ins Gespräch kommt, muss er in Sachen „Reformator“ oder „Reformation“ bei null anfangen. Seit neun Jahren ist Kruse Pfarrer der deutschen Evangelisch-Lutherischen Gemeinde in der Hauptstadt Italiens. Die fast hundert Jahre alte Christuskirche, an der Via Toscana gelegen, ist Heimstatt der rund 500 Gemeindeglieder.

Darüber hinaus erfüllt sie, ein paar Minuten vom ­Petersplatz entfernt, inoffiziell und informell die Aufgabe einer „Botschaft“ der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) beim Vatikan. Und sie wirkt im Jubiläumsjahr des Thesenanschlags Martin Luthers als Kultur- und ­Bildungszentrum mit einem Programm, das viele Deutsche und Italiener in der Metropole anspricht. „Für die Menschen hier ist Reformation etwas, von dem sie weder in Schule noch in Gesellschaft viel erfahren haben. Für sie ist ‚christlich‘ identisch mit ‚römisch-katholisch‘.“ Das gelte, wie Kruse sagt, selbst für jene, die nicht einmal mehr an Weihnachten und Ostern eine Kirche von innen sehen.

"Frauen können sogar Bischöfin werden"

So überrascht es den Pfarrer keineswegs, wenn er von seinem Gegenüber gefragt wird: „Und ihr seid wirklich eine christliche Kirche?“ Ja! Bei religiös Interessierten folgt dann rasch die Frage: „Und was ist das Besondere an eurer Gemeinde? Was macht ihr anders als wir?“ Wenn der Theologe dann berichtet, wie die Gemeinde Gottesdienst feiert, was Rechtfertigung bedeutet, dass Pfarrer heiraten und Familien haben, Menschen beiderlei Geschlechts dieses Amt haben und sogar Frauen Bischöfin werden können – dann reichen die Reaktionen von Ablehnung über Staunen bis zu einem sehnsuchtsvollen Seufzer: „Das ist ja wunderbar! Das wünschen wir uns auch.“

Zur römischen Gemeinde gehören Menschen unterschiedlichster Herkunft. Unter ihnen sind Leute aus deutsch­sprachigen Ländern, die schon lange hier zu Hause sind, aber ebenso Männer und Frauen, die aus beruflichen Gründen nur für ein paar Jahre hier leben. Mitglied wird man, indem man sich in die Gemeindeliste eintragen lässt und 150 Euro Jahresbeitrag bezahlt. Kruse: „Konversion kennen wir hier nicht. Wer sagt, er sei eine oder einer von uns, ist uns sehr willkommen.“ Und so gibt es nach deutschem Kirchenverständnis einige Leute, die evangelisch und ­katholisch zugleich sind.

Papst Franziskus war zu Besuch in der Christuskirche

In dieser unverkrampften Ökumene hat sich Papst Franziskus bei seinem Besuch 2015 sofort heimisch gefühlt. Es war bereits die dritte Visite eines „Heiligen Vaters“ in der Christuskirche. 1983, im Jahr des 500. Geburtstages von Martin Luther, durchbrach Johannes Paul II. das viereinhalb Jahrhunderte währende Tabu und stieg als erster Papst der Geschichte auf eine evangelische Kanzel. Auch sein deutscher Nachfolger Benedikt XVI. betete und sang mit den Erben des Ketzers.

Franziskus, von Haus aus Jesuit, ließ es nicht bei ­Zeichen freundlicher Nachbarschaft. Im öffentlichen Gespräch mit der Gemeinde in der Christuskirche setzte er ein Ausrufezeichen. Vor mehreren Hundert Zuhörern hatte ihn eine evangelische Frau, verheiratet mit einem Katholiken, gefragt, wie lange es noch dauern werde, bis sie gemeinsam mit ihrem Mann zum Abendmahl oder zur Kommunion gehen könne. Der Papst atmete durch. Ja, es sei auch für ihn schwer, die Lehre zu verstehen, nach der Christen unterschiedlicher Konfession nicht gemeinsam zum Tisch des Herrn treten könnten, obwohl sie doch ­beide getauft seien. Dann riet er dem Paar, zu ergründen, ob das Abendmahl sie auf ihrem gemeinsamen Glaubensweg stärke. Franziskus wörtlich: „Sprecht mit dem Herrn und geht weiter. Mehr traue ich mich nicht zu sagen.“

Jens-Martin Kruse, Pastor der evangelischen Gemeinde in Rom
Für Jens-Martin Kruse ist diese Art des Umgangs mit religiösen Fragen im Sinne des Wortes „evangelisch“. „Nicht der Papst entscheidet, sondern die Gewissen der Einzelnen auf der Basis des Evangeliums, wie sie ihren Glauben leben möchten.“ Dass Franziskus unmittelbar nach diesem Dialog einen Kelch auspackte und ihn der Gemeinde schenkte, setzte seinen Worten die Krone auf: „Wir essen und trinken alle daraus! Ein evangelischer Papst. Das hätte Martin Luther gefallen.“

Nicht weniger erfreut wäre der ehemalige Augustinermönch Luther darüber, dass es in Rom eine Piazza Martin Lutero gibt. In Sichtweite des Kolosseums, inmitten eines kleinen Parks, ist das Plätzchen zwar keine Wohnadresse. Aber es ist  ein Symbol der Anerkennung. Und der Vatikan hat immerhin die Gärtnerarbeiten im Park vor der Ein­weihung 2015 finanziert.

Luther Rom-Besuch - einer der Auslöser der Reformation?

Der Besuch von Papst Franziskus in der Chris­tuskirche wie auch der ökumenische Gottesdienst in Lund (Schweden) am 31. Oktober 2016 erregten in Italien viel Aufmerksamkeit. Die Wertschätzung, die der Papst Luther und seiner Kirche entgegenbringt, hat in italienischen Pfarreien, Diözesen und auch im Vatikan zu einer bisher unbekannten intensiven und positiven Beschäftigung mit Luther geführt. „Das ist für die Ökumene weltweit und für unsere Minderheitensituation in Italien ein ganz ent­scheidender Beitrag des Jahres 2017“, sagt Pfarrer Kruse.
Dass Luther 1510 oder 1511, sechs Jahre vor seinem ­Thesenanschlag, zwei Monate in der Ewigen Stadt verbracht hatte, wird von vielen Kirchenhistorikern als Auslöser der Reformation bewertet. Und so dokumentiert es auch der Spielfilm „Luther“ des Briten Eric Till aus dem Jahr 2003, den Jens-Martin Kruse an einem lauen Abend im Freiluftkino auf der Dachterrasse des Pfarrhauses präsentiert. Schockiert vom gigantischen Geschäft mit Reliquien und Ablässen zur Finanzierung des gerade im Bau befindlichen Renaissance-Vatikans sei der Pater von seinem traditionellen Glaubensverständnis abgekommen.

Lena Uphoff

Arnd Brummer

Arnd Brummer, geboren 1957, ist Journalist und Autor. Bis März 2022 war er geschäftsführender Herausgeber von chrismon. Von der ersten Ausgabe des Magazins im Oktober 2000 bis Ende 2017 wirkte er als Chefredakteur. Nach einem Tageszeitungsvolontariat beim "Schwarzwälder Boten" arbeitete er als Kultur- und Politikredakteur bei mehreren Tageszeitungen, leitete eine Radiostation und berichtete aus der damaligen Bundeshauptstadt Bonn als Korrespondent über Außen-, Verteidigungs- und Gesellschaftspolitik. Seit seinem Wechsel in die Chefredaktion des "Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatts", dem Vorgänger von chrismon im Jahr 1991, widmet er sich zudem grundsätzlichen Fragen zum Verhältnis Kirche-Staat sowie Kirche-Gesellschaft. Seine besondere Aufmerksamkeit gilt kulturwissenschaftlichen und religionssoziologischen Themen. Brummer schrieb ein Buch über die Reform des Gesundheitswesens und ist Herausgeber mehrerer Bücher zur Reform von Kirche und Diakonie.

Von Luther selbst gibt es keine textlichen Hinweise, dass dies so gewesen ist. Erst zwanzig Jahre später äußert er sich in seinen Wittenberger Tischreden zu Rom. Der Grund für die mehrmonatige Fußwanderung Luthers über die Alpen war: ein Streit zwischen zwei Fraktionen der deutschen ­Augustinermönche. Der sollte mit Hilfe des in Rom residierenden Oberhauptes des Ordens beigelegt werden.

Gewohnt hat Pater Martinus wohl im Augustinerhaus neben der Kirche Santa Maria del Popolo an der Piazza del Popolo. Dort soll er mit italienischen Brüdern in den kleinen Seitenkapellen die heilige Messe gelesen haben. Und nicht weit entfernt, neben dem ursprünglichen Papstpalast, dem Lateran, rutschte er auf Knien die Scala Santa (deutsch: die Heilige Treppe) betend hinauf. Die soll einst vor dem Palast von Pontius Pilatus in Jerusalem gestanden haben. Jesus soll auf ihr emporgestiegen sein. Die heilige Helena, Mutter des Kaisers Konstantin, habe die Treppe der Legende nach im Jahr 326 nach Rom bringen lassen.

Selfies auf der Scala Santa sind verboten

In einer seiner Tischreden erzählt Luther: „So wollte ich in Rom meinen Großvater aus dem Fegefeuer erlösen, ging die Treppe des Pilatus hinauf, betete auf jeder Stufe ein Vaterunser. Es herrschte nämlich die Überzeugung, wer so betete, erlöse eine Seele. Aber als ich oben ankam, dachte ich: Wer weiß, ob es wahr ist.“

Die Scala Santa hat auch Luther auf den Knien erklommen
Das Ablasswesen, gegen das Luther opponierte, gibt es heute nicht mehr. Die Scala Santa ist für Katholiken aus aller Welt aber bis heute von Bedeutung. Auch im Herbst 2017 ist die Treppe voll von Menschen, die hier beten und auf Knien die Stufen hinaufrutschen. „Das mag für Protes­tanten eher ungewöhnlich erscheinen. Aber“, sagt Pfarrer Kruse, „die Ernsthaftigkeit der Gläubigen berührt mich, und ich kann das als Ausdruck ihrer Frömmigkeit gut ­akzeptieren.“ Fromme Selfies allerdings sind verboten. Die Pilger dürfen einander nur von hinten auf dem Weg nach oben filmen und fotografieren.

Das ist bei den Events zum Reformationsjahr in Rom anders. Wenn illustre Gäste wie der Ratsvorsitzende  der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bed​ford-Strohm, oder der Münchner Erzbischof Reinhard Kar­dinal Marx in die Christuskirche kommen, wenn Annette ­Schavan, deutsche Botschafterin im Vatikan, dort redet oder zusammen mit einer katholischen Nachbargemeinde ein Bach-Oratorium aufgeführt wird, blitzt es in den Bankreihen.

Auch am „Luther“-Filmabend ist im Garten hinter der Kirche ordentlich was los. Das Buffet mit Käse, Salaten und Würsten ist rasch geleert. Zwischen den fröhlich plaudernden Leuten ist dem „Botschafter“ der Evangelischen die gute Laune ins Gesicht geschrieben. Jens-Martin Kruse: „Wir sind beglückt von der Resonanz. Es hätte keiner von uns zu träumen gewagt, dass dieses Jahr 2017 für uns hier in Rom eine solche Aufmerksamkeit und einen solchen Zuspruch aktiviert. Deshalb sind wir von Herzen froh.“

Eine ältere Dame, die Kruses Sätzen lauscht, nickt ­mehrfach kräftig und lächelt zustimmend. Es sei ganz großartig hier, bekräftig sie des Pfarrers Worte. Gefragt, ob sie auch der Gemeinde angehöre, schüttelt sie den Kopf: „Kann ich nicht. Ich bleibe katholisch, weil ich die heilige Gottesmutter nicht im Stich lassen möchte, die mir so viel wunderbar Gutes getan hat. Ihr Evangelischen habt Maria die Heiligsprechung entzogen. Das kann ich nicht akzeptieren, auch wenn diese Gemeinde hier so großartig ist.“ Dann hebt sie ihr Glas: „Auf die Ökumene in Rom!“

 

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