Planer und Politiker müssen sich endlich ihrer Verantwortung bewusst werden, wenn sie Flughäfen erweitern.
Tim Wegner
04.04.2012

Nun also doch: Zwischen 23 und 5 Uhr muss Ruhe sein am Frankfurter Flughafen, das haben die Richter am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.

Die hessische Landesregierung aus Union und FDP hat sich blamiert: Mit einem Mediationsverfahren hatten vor rund zehn Jahren Anwohner auf der einen, Flughafen und Luftfahrtindustrie auf der anderen Seite nach einem Ausgleich gesucht. Ergebnis: Der Flughafen bekommt eine vierte Bahn. Dafür soll nachts Ruhe sein. Da gebe es keine Interpretationsspielräume, so der damalige Ministerpräsident Roland Koch. Dann die Wende:  Die Landesregierung genehmigte 17 Nachtflüge: Dauerlärm am Tag, nachts alle 20 Minuten eine Frachtmaschine – das ist unerträglich, weil Menschen Ruhe brauchen. Wenigstens sechs Stunden davon haben sie jetzt.

Sind Großprojekte noch durchsetzbar?

Was lässt sich aus der Protestwelle im Rhein-Main-Gebiet lernen, die an die  Stuttgarter Wutbürger erinnert? Sind Großprojekte noch durchsetzbar? Ja. Aber: Über die Köpfe der Mensch hinweg entscheiden und dabei scheinbar alternativlose wirtschaftliche Zwänge als Erklärung bemühen – das klappt nicht mehr. Der Streit um den Stuttgarter Bahnhof hat gelehrt: eine nachgeschobene Mediation kommt zu spät. Und eine Mediation, an dessen Ergebnis sich – wie in Frankfurt – die eine Seite nicht mehr hält, empört erst recht. Mammutprojekte lassen sich nur realisieren, wenn von Beginn an Transparenz herrscht, wenn Bedenken ernst genommen werden.

Wie viel Lärm verträgt die Würde?

Die Proteste im Rhein-Main-Gebiet werden weiter gehen. Die Nacht dort  ist kurz, sechs Stunden sind weniger, als die gesetzliche Nachtruhe vorsieht (22 bis 6 Uhr). Das letzte Wort werden wohl die Richter am Bundesverfassungsgericht sprechen. Wie viel Lärm verträgt die Menschenwürde? Eine bessere Planung hätte diese Zuspitzung vermieden.

Auf den ersten Blick gilt das Leipziger Urteil einem regionalen Problem. Aber Fluglärm gibt es auch andernorts, und die Prognosen zum Luftverkehr lassen den Schluss zu, dass es eher lauter als leiser wird. Schon wird in München über eine Erweiterung diskutiert, und in Berlin eröffnet demnächst der Großflughafen Berlin-Brandenburg-International.

Sollen wir noch fliegen?

Darf, wer selbst unter Fluglärm leidet oder sich mit den lärmgeplagten Anwohnern solidarisiert, selbst noch fliegen? Sollen wir uns die eingeflogene Bio-Mango aus Lateinamerika schmecken lassen? Es schadet nichts, vor jeder Buchung und jeder Kaufentscheidung inne zu halten – muss das sein, brauche ich das? Zumindest innerdeutsche Flüge sind meistens verzichtbar. Aber das Flugzeug als Verkehrsmittel ist Fakt, und in einer globalisierten Welt werden wir fliegen. Und manchmal auch fliegen müssen.

Umso wichtiger ist es, dass sich Planer und Politiker ihrer Verantwortung bewusst werden, wenn sie Flughäfen erweitern. Den Frankfurter Flughafen dergestalt auszubauen, dass 80 Prozent der Nachbarstadt Offenbach unter einem Lärmteppich verschwindet - puh, zu Beginn des dritten Jahrtausends darf laut bezweifelt werden, ob das so hätte sein müssen.

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