dpa/Zucchi Uwe
Tim Wegner
08.02.2011

Noch ist nichts entschieden, auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes werden die vier Männer noch Monate warten müssen. Es könnte ihnen die Freiheit bringen; das jedenfalls lassen die ersten Äußerungen der Verfassungsrichter in der mündlichen Verhandlung erkennen. Viele Menschen empfinden diese Aussicht als Zumutung. Denn die vier Männer, die vor dem höchsten deutschen Gericht auf ihre Freilassung klagen, sind verurteilt worden, weil sie geraubt, gemordet oder vergewaltigt haben.

„So jemand soll nie wieder frei kommen.“ Diese Forderung, die viele Bürger teilen, ist verständlich. Erst recht, nachdem der Fall Mirco die Menschen in Deutschland erschüttert hat. Der Junge war im vergangenen Sommer entführt und getötet worden. Vor wenigen Wochen fand die Polizei seine Leiche. Mirco wurde nur zehn Jahre alt.

Über Jahre hinweg hat die Politik auf diese Frage hin nicht widerstehen können, schwere Straftäter für immer wegzuschließen.

Mircos Mörder wird eine Strafe bekommen, eine sehr schwere Strafe. Er wird für viele Jahre ins Gefängnis müssen. Und dann? Über Jahre hinweg hat die Politik auf diese Frage hin nicht widerstehen können, schwere Straftäter für immer wegzuschließen. Gut zehn Mal hat der Bundestag - mit wechselnden Mehrheiten - die Bestimmungen zur Sicherungsverwahrung immer weiter verschärft, bis der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) im Dezember 2009 beschied: Die Bundesregierung verstößt gegen die Menschrechte, wenn sie immer mehr Menschen länger wegsperrt als im eigentlichen Urteil vorgesehen. Die heftige Rüge der europäischen Richter zielte vor allem auf Straftäter, für die nachträglich – also nach dem eigentlichen Urteil - eine Sicherungsverwahrung angeordnet worden war.

In Reaktion auf das Urteil des EGMR änderte der Bundestag die Bestimmungen. Seit 1. Januar muss die Sicherungsverwahrung im Strafurteil angeordnet oder vorbehalten sein. Jeder Straftäter weiß, woran er ist. Das wissen die vier Kläger vor dem Bundesverfassungsgericht aber nicht. Die Gesetze änderten sich erst, als sie schon in Haft saßen. Nun müssen Richter wie jene in Karlsruhe die schwierige Frage beantworten: Dürfen schwere Straftäter, Serientäter zumal, jemals wieder frei kommen?

Eine riesige Verantwortung. Es kann aber nur eine Antwort geben: Ja, sie dürfen. Sie müssen wenigstens eine ehrliche Perspektive auf eine Entlassung haben. Ein Strafrecht, das allein auf Sanktion und Prävention zielt, dabei aber den Gedanken der Resozialisierung und die Chance auf ein neues Leben in Freiheit aus den Augen verliert, ist kein demokratisches Strafrecht mehr.

Die Täter müssen hart an sich arbeiten

Auf dem Weg dorthin muss der Staat freilich alle Mittel ausschöpfen, neuerliche Taten zu verhindern. Und die Täter müssen hart an sich arbeiten. Dazu gehören verpflichtende und gute Therapieangebote, dazu gehört also eine Sicherungsverwahrung, die sich deutlich von der Haft unterscheiden muss – eben weil sie keine Haft ist, sondern, so steht es im Gesetz, eine „Maßregel zur Besserung und Sicherung“. Wohlgemerkt: nicht nur der Sicherung, auch der Besserung.

Diesen Gedanken hatten die Richter am Bundesverfassungsgericht schon einmal betont. 2004, vor sieben Jahren. Seitdem haben Regierungen unterschiedlicher Couleur den Menschen vorgegaukelt, hektisch veränderte Gesetze könnten hundertprozentige Sicherheit bringen; diese zusammengeschusterten Gesetze haben Menschen in den Gefängnissen gehalten, statt aktiv mit ihnen daran zu arbeiten, dass sie keine Taten mehr begehen. Viele von ihnen hat diese bloße Verwahrung erst recht gefährlich gemacht. Den Preis zahlt die Politik nun. Wenn die vier Beschwerdeführer frei kommen, wird die Verunsicherung in der Bevölkerung groß sein.

Eine allumfassende Sicherheit vor Verbrechen kann es in einer freien Gesellschaft aber nie geben. Auch das ist eine Erkenntnis der Verhandlung vor dem Verfassungsgericht. Auch das ist eine Zumutung, aber eine unvermeidbare. Sie gehört zur Freiheit.

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