Evolutionsbiologen und deren religiös motivierte Kritiker bekämpfen sich scharf. Manche scheinen dabei dem Druck der Öffentlichkeit nicht standzuhalten und schießen mit ihrer Polemik weit über das Ziel hinaus
Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff
07.10.2010

Wolf-Ekkehard Lönnig ist umgeben von Tausenden weißer Ackerlöwenmäulchen. Sie stehen in Töpfen auf einer hüfthohen Ablage. Die Luft ist feucht und stickig. Lönnig greift nach einer Pflanze. Mit seinem breiten Zeigefinger deutet er auf das winzige Kelchblatt. "Sehen Sie, wie lang es ist?", fragt er. Dann bohrt er seinen Daumennagel, der dreimal so groß ist wie die ganze Blüte, zwischen die weißen, feinen Blütenblätter und drückt sie auseinander. "Da, der Stempel mit Fruchtknoten." Irgendwo kaum sichtbar in diesem Fruchtknoten verbirgt sich Lönnigs großer Trumpf: Samen, die sich partout nicht umzüchten lassen.

Lönnigs Augen blinzeln vergnügt, als hätte er gerade einen Punktsieg davongetragen. Der Mann befindet sich in einem öffentlich ausgetragenen Schaukampf um die Entstehung der biologischen Arten. Es geht um nichts weniger als die Herkunft des Menschen, um seine Urgeschichte. Es geht sogar um mehr: Was wird im Biologieunterricht an den Schulen gelehrt, Evolution oder Schöpfung? Müssen wir unser Wissenschaftsverständnis verändern und künftig göttliches Wirken in Betracht ziehen? Nutzen radikale Evangelikale den Streit als Einfallstor, um die Gesellschaft zu verändern? Entsprechend scharf wird der Streit geführt: mit öffentlichen Schmähungen, anonymen Drohbriefen, inszenierten Politikerskandalen.

"Ich will wirklich wissen, wo die Möglichkeiten und Grenzen der Mutation liegen"

62 Jahre alt ist Wolf-Ekkehard Lönnig, gruppenleitender Genetiker am Kölner Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung, ein vitaler Mann mit auffallend kräftiger, breiter Stirn. Ihm wurde im März 2003 untersagt, seine Evolutionskritik auf der Internetseite des Max-Planck-Instituts zu veröffentlichen ­ was er seit vielen Jahren und bis dahin tat.

Gerade stellt Lönnig sein Forschungsprojekt vor: Es ist der Versuch, das Ackerlöwenmäulchen (lateinisch: Misopates orontium) in das Große Löwenmäulchen (Antirrhinum majus) umzuzüchten. Im Prinzip müsste man dafür nur der einen Pflanze kürzere Kelchblätter und andersförmige Samen anzüchten. Genau das will einfach nicht klappen. Ein Misserfolg? Nicht wirklich, meint Lönnig. Irgendwie habe er das schon vorher geahnt.

Seit zwanzig Jahren züchtet Lönnig Pflanzen nach allen Regeln der Vererbungslehre, lässt sogar Samen mit Neutronen beschießen. "Sie können machen, was Sie wollen", sagt er. "Mal werden Blüten und Blätter ein bisschen länger, mal ein bisschen breiter. Eine neue Art kommt nie dabei heraus." Für Lönnig bestätigt das Experiment, was er der Öffentlichkeit schon seit langem mitzuteilen versucht. Mutation, die zufällige Veränderung der Erbanlagen, bringe keine neue Arten hervor, wie es Darwins Evolutionslehre vorsieht.

Lönnigs radikale Evolutionskritik rief den Verband deutscher Biologen auf den Plan. Lönnigs Schöpfungstheologie stehe auf einer Stufe mit Okkultismus und verdiene nicht, auf den Internetseiten eines Max-Planck-Instituts veröffentlicht zu werden, wetterten dessen Verbandsvertreter.

Lönnig darf jetzt nur noch privat seine Ansichten über Intelligentes Design äußern

Zuerst genoss Lönnig die Rückendeckung seiner Vorgesetzten. Man teile nicht seine Ansichten, aber der Mann sei ein ausgesprochen anregender Gesprächspartner, sagte Lönnigs Institutsdirektor im Bereich molekulare Pflanzengenetik. Und: "Freie Meinung beflügelt die Wissenschaft." Dann wuchs der Druck auf das Institut für Züchtungsforschung. Der Verband deutscher Biologen hatte das international hoch angesehene Wissenschaftsorgan "Nature" auf deutsche Umtriebe der "Kreationisten", der Schöpfungsgläubigen, aufmerksam gemacht. Als "Nature" mit einer Skandalmitteilung über das Kölner Max-Planck-Institut drohte, verschwanden Lönnigs Internetseiten vom Institutsserver.

Lönnig darf jetzt nur noch privat seine Ansichten über Intelligentes Design äußern. Seine Arbeit am Institut habe sich auf rein wissenschaftlichem Gebiet zu bewegen. Das sehe keine außernatürlichen Ursachen wie Intelligentes Design vor.

Inzwischen wird Lönnig zum Vertreter des US-Evangelikalismus abgestempelt. Ein Autor der Wochenzeitung "Die Zeit" erklärte, Lönnig folge einem Trend aus den USA, wo Kreationisten ­ an ihrer Spitze der evangelikale Präsident George W. Bush ­ durch die Lehre des Intelligenten Designs ihrem Schöpfungsglauben einen wissenschaftlichen Anstrich verpassen und durch die Hintertür des Biologielabors an die Schulen bringen wollen.

Richtig ist, dass Lönnig seit frühester Jugend Zeuge Jehovas ist. Als er etwa elf Jahre alt war, trat er mit seiner Mutter zu der Religionsgemeinschaft über. Richtig ist auch, dass Lönnig seit Kindesbeinen ein begeisterter Biologe ist. Zwischen den Trümmern im Nachkriegsberlin sammelte er Birken und Eichen und pflanzte sie in der Nähe seiner Sandkiste wieder ein. Er züchtete Aquarienfische und stöberte in Büchern und Broschüren auf der Suche nach Erklärungen über die Natur.

"Darf ein Biologe die Evolution infrage stellen?"

Seit Lönnig als Elfjähriger eine Broschüre der Zeugen Jehovas in die Hände bekam, die sich kritisch mit Evolution auseinander setzte, gefällt er sich in der Rolle des Kritikers. Als Schüler, später als Lehrer, Doktorand und Institutsmitarbeiter, stets empfanden seine Gesprächspartner Lönnigs Evolutionskritik als anregend. Doch dann, nachdem der Streit eskaliert war, formulierte "Die Zeit": "Darf ein Biologe die Evolution infrage stellen?", und verneinte.

Nun fühlt sich Lönnig als Vertreter einer religiösen Minderheit verfolgt. Er zieht Vergleiche mit der Verfolgung der Zeugen Jehovas durch die Nazis, was bei seinen Gegnern nur noch mehr Zorn hervorruft.

Lönnig eilt durch das Gewirr schwül-warmer Gewächshäuser zu den Töpfen mit den Physalis. Ihre Kelchblätter wachsen zur Lampionform heran, Nichtbiologen dient sie als ornamentales Beiwerk für kalte Buffets. Lönnig sucht das Regulator-Gen, das die Lampions entstehen lässt. Andere Nachtschattengewächse wie die Kartoffel haben es nicht. "Ich will wirklich wissen, wo Möglichkeiten und Grenzen der Mutation liegen. Ich fände es ja toll, wenn es uns mal gelänge, eine neue Art zu züchten", sagt Lönnig: "Aber es gelingt eben nicht."

Vielleicht ist Lönnig bloß einer, der das Staunen über die Wunder der Natur nie verlernt hat. Ob Intelligentes Design für ihn eine schöne Weise ist zu sagen: Wir wissen nicht, wie die Arten entstanden sind? "Nein", sagt Lönnig trotzig. "Für mich ist Intelligentes Design eine schöne Weise zu sagen: Auch hier muss Intelligenz im Spiel gewesen sein." ­ Ob denn Intelligentes Design für ihn ein Gottesbeweis sei? "Auch das nicht", sagt er. "Ich identifiziere Intelligentes Design in der Natur, mehr nicht." Und listig lächelnd setzt er nach: "Aber Intelligentes Design ist ein möglicher Schritt in Richtung eines Gottesbeweises."

 

"Wenn man den Doktortitel erwirbt, und die Wissenschaft so durch den Dreck zieht,  werde ich sauer"

Ulrich Kutschera treiben Lönnigs Ansichten zur Weißglut. "Wenn man den Doktortitel erwirbt, und dann die Wissenschaft so durch den Dreck zieht, dann werde ich ziemlich sauer", schimpft er. Warum er so aufgebracht reagiere? "Ich habe Angst, dass sachunkundige Laien so einen Schwachsinn ernst nehmen", wütet der 50-Jährige. "Die Leute wollen am liebsten in der Zeitung lesen, Darwin war ein Schwerverbrecher."

Kutschera steht in seinem Labor im Institut für Biologie an der Universität Kassel, an der er Pflanzenphysiologie und Evolutionsbiologie lehrt. Sein Blick flitzt durch den Raum, bleibt an einem Aquarium hängen. Daraus holt Kutschera einen Stein, an dessen Unterseite weiße Ringelwürmchen haften, die er sich nun über seinen Daumen winden lässt. "Die habe ich in einem Bach bei Freiburg entdeckt und noch im Biologiestudium als erster Biologe beschrieben", sagt Kutschera stolz. Er redet schnell, als könnten seine Worte kaum den Gedanken folgen. "Wir haben bei Ringelwürmern mit Hilfe einer DNA-Analyse die Verwandtschaftsgrade dargestellt. Das ist ein neues Projekt, bei dem meine Forschungsgruppe ganz vorne mitmischt." Kutscheras Blick saust wieder durch den Raum. Diesmal bleibt er an einem Aktenordner haften. "Wir können die morphologischen Unterschiede genau mit der DNA-Analyse darstellen und ziemlich genau sagen, vor wie langer Zeit die Verwandtschaftslinien auseinander gingen. Das ist ein unabhängiger Beweis für Evolution", sagt Kutschera siegesgewiss.

"Wenn ein Wurstverkäufer vegetarische Ware anpreist, was würden Sie dann tun?"

Im medialen Schaukampf um Intelligentes Design in Deutschland ist Kutschera neben Lönnig die zweite Hauptfigur. Ihm, dem Vizepräsidenten des Verbandes deutscher Biologen, schreiben Journalisten gern die Rolle des seriösen Wissenschaftlers zu. Vor laufender Kamera sagt Kutschera: "Evolution ist eine dokumentierte Tatsache, so sicher wie zum Beispiel, dass die Erde keine Scheibe ist."

Ulrich Kutschera war von Kindesbeinen an ein begeisterter und ungewöhnlich begabter Biologe. Sein Jugendzimmer war zum Entsetzen seiner Eltern mit Terrarien und Aquarien zugestellt. Er studierte Biologie, eine brotlose Kunst, wie es schien. Nach seiner Promotion gelang ihm der Sprung an erstklassige US-Universitäten. Vor zwölf Jahren setzte er sich im Rennen um die Kasseler Professur gegen mehr als hundert andere Bewerber durch.

Warum Lönnig nicht seine gegenteilige Meinung zur Evolution auf dem Server des Max-Planck-Instituts veröffentlichen dürfe? Kutschera antwortet mit einer rhetorischen Gegenfrage: "Wenn ein Wurstverkäufer vegetarische Ware anpreist, was würden Sie dann tun?"

"Meine Kinder haben nach ihrer Konfirmation selbst gemerkt, dass religiöse Mythen und Märchen unlogisch sind."

Sind Wissenschaftler wie Wurstverkäufer? Ist Wissenschaft ein Geschäft? Kutschera legt nach. "Lönnig versucht, die wissenschaftliche Arbeitsweise neu zu definieren. Das widerspricht dem Ethos des Naturwissenschaftlers." Kutschera pocht auf den wissenschaftlichen Konsens, dass die Behauptung eines göttlichen Eingreifens kein Ersatz für eine wissenschaftliche Erklärung ist.

Kutschera stammt aus einem katholischen Elternhaus. Als Jugendlicher empörte er sich über Kreuzzüge, Inquisition und Hexenverbrennung und trat später aus der Kirche aus. Vor zwei Jahren trat Kutschera dem wissenschaftlichen Beirat der Giordano-Bruno-Stiftung bei. Einer Stiftung, die mit Vorträgen, Festakten und Tagungen beitragen will, die Religion aus dem öffentlichen Leben zurückzudrängen, und einen evolutionären Humanismus als alternative Weltanschauung anpreist. Führt Kutschera im Grunde einen Kampf gegen die Religion? "Nein", sagt er. Seine Frau sei Protestantin, seine Kinder habe er taufen und konfirmieren lassen. Und dann fügt er ohne jedes Arg hinzu: "Die haben nach ihrer Konfirmation selbst gemerkt, dass religiöse Mythen und Märchen unlogisch sind."

 

"Kreationisten sehen oft nicht, wie schwach ihre alternativen Hypothesen sind."

Siegfried Scherer spitzt seinen Mund. Es scheint, als lege sich unter die feine Wölbung seiner Lippen ein ironisches Lächeln. Dabei ist Scherer keiner, der sich über Ursprungsfragen lustig machen würde. Scherer vertritt die Ansicht, Biologie sei in erster Linie eine exakte Experimentalwissenschaft. Wer der Ursprungsfrage nach der Entstehung des Lebens nachgehe, betreibe hingegen Geschichtswissenschaft. Und die sei auf Spekulation angewiesen.

Die dritte Hauptfigur im medialen Kampf um Intelligentes Design ist ein international renommierter Mikrobiologe an der Technischen Universität München-Freising. Er ist evangelikaler Christ, groß geworden im württembergischen Pietismus. Einer, der als Jugendlicher eine atheistische Phase durchmachte und als junger Mann umso heftiger zum Glauben zurückfand. Seither quält ihn die Frage: "Wie kriege ich meinen biblischen Glauben mit wissenschaftlichen Erkenntnissen zusammen?" Als junger Biologiestudent war er eifernder Kreationist. "Da dachte ich: Wie kann man so blöd sein und an Evolution glauben?" Heute sagt Scherer: "Wenn ein Evolutionsbiologe nicht zugibt, dass es da massivste Probleme gibt, ist er ein Ideologe. Ebenso sehen Kreationisten oft nicht, wie schwach ihre alternativen Hypothesen sind."

Sein Sinneswandel zum gemäßigten Vertreter des Intelligenten Designs spiegelt sich in einem umstrittenen Buch wider, das Scherer mit dem gleich gesinnten Reinhard Junker schrieb. "Entstehung und Geschichte der Lebewesen" hieß es in erster Auflage von 1986. Als die dritte Auflage vergriffen war, schrieben Scherer und Junker das Buch 1998 um: "Evolution. Ein kritisches Lehrbuch". Je später die Auflage, desto zurückhaltender die Äußerungen über Intelligentes Design.

"Es gab Evolutionsversuche mit 30 000 Bakteriengenerationen. Da verändert sich kaum etwas."

Der 50-Jährige ist Spezialist für Bakterien. Im Keller des Freisinger Instituts steht sein Bakterienarchiv: ein Tiefkühlschrank mit Tausenden Petrischalen. Behutsam holt Scherer eine aus einem Kühlfach heraus. Zu sehen ist eine watteähnliche Nährlösung, auf der irgendwo Tausende winziger Bakterien lagern müssen. "Wir wissen nicht einmal bei Bakterien, wie ihre komplexen molekularen Strukturen entstehen", sagt er. "Es gab Evolutionsversuche mit 30 000 Bakteriengenerationen. Da verändert sich kaum etwas." Scherer legt die Petrischale zurück und fährt fort. "Etwa 100 000 Generationen nimmt man an für die Evolution von noch affenähnlichen Vorfahren zum Menschen, bei der sich die Wirbelsäule, das Hüftgelenk, Kniegelenke, die nervöse Steuerung des aufrechten Gangs und vieles mehr entwickelt haben sollen. Ich sehe nicht, woher die dafür nötige biologische Information kommen soll."

Ansichten wie diese stoßen in Scherers evangelikaler "Studiengemeinschaft Wort und Wissen" auf wache Ohren. Die Studiengemeinschaft organisiert Seminare und Tagungen für Schüler, Studenten und Lehrer und verbreitet auf diesem Wege christlich motivierte Evolutionskritik samt ihren alternativen schöpfungstheologischen Gedankenspielen.

Im Bundesstaat Kansas muss in der Schule auf Intelligentes Design hingewiesen werden...

Zusammen mit Scherers Lehrbuch, vertrieben zu Niedrigpreisen durch den evangelikalen Verleger Ulrich Weyel, erweckt die Studiengemeinschaft den Eindruck, als wolle sie Intelligentes Design in öffentlichen Lehreinrichtungen gegen die Evolutionsbiologie durchsetzen. Evolutionsbiologen fühlen sich an US-amerikanische Zustände erinnert. Im Bundesstaat Kansas haben Evangelikale bereits durchgesetzt, dass in der Schule neben Evolution auch auf die Lehre vom Intelligenten Design hingewiesen werden muss.

Die begründete Furcht verdichtete sich dann allerdings zur Verschwörungstheorie. Inzwischen muss sich sogar Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus gegen den Vorwurf wehren, er wolle die Evolutionslehre an Schulen durch Schöpfungslehre ersetzen ­ weil er Scherer zu einer Diskussionsveranstaltung mit seinem Kontrahenten Kutschera eingeladen hatte.

An Schulen müsse natürlich die Mehrheitsmeinung gelehrt werden, sagt Scherer, die Evolutionstheorie. Ihn treibt anderes um. "Würden die Naturwissenschaften beweisen, dass alles, was den Menschen ausmacht, rein materiell erklärbar ist, wäre das eine fundamentale Anfrage an meinen Glauben", sagt er. Und dann fügt er lächelnd hinzu: "Ich habe genug erlebt, was meinen Glauben ins Wanken gebracht hat. Da war nichts Wissenschaftliches darunter."

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