Wie könnte man Familien besser unterstützen?
30.11.2010

In den Schulferien besuchte ich mit meinem neunjährigen Sohn eine Aufführung von Verdis "Otello" in der Hamburger Oper. Die Musik beeindruckte das Kind, aber im letzten Akt ängstigte ihn die "viele Umbringerei". Er setzte sich auf den Boden, um nicht das dramatische Geschehen auf der Bühne mit anzusehen. Am Ende der Aufführung lobte ihn eine ältere Dame mit lauter Stimme: "Du warst aber sehr brav." Tatsächlich hatte sich mein Sohn auf seinem Logeneckplatz kaum gerührt.

"Sitz' doch endlich still"

Aber manchmal fragte er mich etwas, kaum hörbar, viel leiser als das Hüsteln und Räuspern um uns herum. "Willst du wohl ruhig sein! ", zischte es jedes Mal in einem ungehaltenen herrischen Ton von hinten. Wir erschraken mehrmals. Als sich mein Sohn mit dem Programmheft etwas frischen Wind in die stickige Luft fächelte, ertönte ein böses "Sitz' doch endlich still". Ich gab meinem Sohn einen beruhigenden Kuss und übernahm selbst die Belüftung.

Verhielt sich dieser Zischer nicht außerordentlich intolerant?

Unsere Opernhäuser sind zumeist kindfreie gesellschaftliche Räume, geprägt durch ritualisierte Abläufe. Außer "sehen und gesehen werden" geht es dem Publikum um seinen musikalischen Genuss. Kinder, die sich jedoch, wo immer sie sind, selten musterhaft verhalten, werden dort mit Argwohn betrachtet: Gehören Kinder überhaupt in die Oper? Warum bleiben sie nicht zu Hause? Äußerst ungeduldig reagieren auf Kinder gerade solche Menschen, die gern lamentieren, heutzutage seien Jugendliche kaum noch mit unseren kulturellen Traditionen vertraut.

Sollen wir unseren Kindern diese Kultur vorenthalten?

Werden Kinder aus öffentlichen Räumen verbannt, sind auch ihre Eltern betroffen: Sie müssen gezwungenermaßen mit ihnen zu Hause bleiben. Wenn Familien unsere Kulturgüter lediglich über Stereoanlagen und übers Fernsehen konsumieren, ist es dem Nachwuchs kaum zu vermitteln, dass eine Aufführung klassischer Musik ein außergewöhnlich bewegendes Ereignis sein kann. Das gemeinsame Erlebnis mit anderen, die Nähe zum Orchester: Sollen wir unseren Kindern diese Erfahrung vorenthalten? Wollen wir ihnen klassische Musik nur in kindgerechten Häppchen servieren, etwa als Kinderoper im Kindertheater?

lien werden kleiner, die Aufgaben wachsen von Generation zu Generation. Noch nie wussten und sprachen wir so viel über die Psyche von Kindern, und manche Eltern, die "nur das Beste wollen", übertreiben ihr Engagement. Zwar entlastet unser Sozialstaat die Familien etwas, aber die Schule funktioniert nur, wenn Familien zusätzlich Zeit und Geld investieren, beispielsweise indem sie die Hausaufgaben betreuen und ihre Kinder durch Kurse und Therapien fördern. Hinzu kommt: Eltern müssen mobil und flexibel sein, um das Familieneinkommen zu erwirtschaften.

Sind zusätzlich schwierige Lebenssituationen zu bewältigen, geraten auch Familien aus der Mitte der Gesellschaft an die Grenzen ihrer Belastbarkeit - so etwa durch Krankheit oder Tod naher Angehöriger, oder weil Kinder behindert oder in ihrer Entwicklung verzögert sind, bei beruflichem Ärger oder Arbeitslosigkeit. In den Medien liest man über Verzweiflungstaten von Müttern an ihren Kindern und über isolierte Kinder, die in eine Wahnwelt abgedriftet sind. Immer wieder erzählen mir Eltern von alltäglichen Zerreißproben. Die Freude an Beruf und Kind kippt für viele um in eine schwer erträgliche Doppelbelastung. Aber bitten sie um Hilfe, dann wenden sich Nachbarn ab, der Pfarrer ruft allenfalls halbjährlich durch, und die Behörden verweisen darauf, dass sie nichts tun können - auffällig gewordenes Verhalten liege ja (noch) nicht vor. In einer Gesellschaft, in der das Zusammensein mit Kindern immer weniger zum Alltag gehört, verändert sich die Mentalität der Menschen. Für viele geht eine Möglichkeit verloren, Ausblick auf eine Zukunft zu gewinnen, die über das eigene Leben hinausweist.

Der soziale Wandel, der vor allem in den größeren Städten stattfindet, verläuft rasch und bietet Kindern wie Eltern neue Chancen. In Hamburg gibt es eine wachsende Zahl faszinierender Freizeitangebote für Kinder in Sport, Museen, Natur oder Musik. Zugleich weist eine Studie darauf hin, dass viele Kinder noch niemals die Alster im Stadtzentrum gesehen haben.

Die Risiken für Familien nehmen zu

Die Risiken für Familien nehmen zu: Sind sie nicht zur rechten Zeit am rechten Ort und finden sie keine bezahlbare Wohnung in kinderfreundlichen Quartieren, so wird es schwer, ein soziales Umfeld für die Kinder aufzubauen. Allmählich verändert sich das Familienmodell in Deutschland, das die Erziehung von Kindern allein als Privatangelegenheit von Eltern behandelt und damit Eltern und Kinder überfordert.

Dennoch benötigen viele Kinder weit mehr Aufmerksamkeit und Zuwendung, als sie gegenwärtig erhalten. Ihnen käme der Auf- und Ausbau von familiennahen Einrichtungen mit genügend Personal zugute, das sich jedem Kind zuwenden kann. Die Mittel dazu könnte der Bund aufbringen und über eine zukünftige Agentur für Kinder- und Jugendarbeit den Kommunen zur Verfügung stellen. Konkret sähe das so aus, dass diese Mittel für einzelne Projekte eingesetzt werden, und zwar vor allem für mehr Personal. Diese zusätzliche Förderung wird in Schulen und Stadtteilzentren, in betreuten Wohngemeinschaften, kirchlichen Gemeinden und Vereinen spürbar. Das fördert die Kinder - und entlastet ihre Familien.

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