Die Herdfeuer in der Dritten Welt sollen mit Pflanzenöl brennen. Das ist das Ziel. Ein grenzüberschreitendes Team arbeitet dran ­ mit schwäbischer Geschäftstüchtigkeit und philippinischem Elan
Tim Wegner
07.10.2010

Es röhrt wie auf dem Hockenheimring in der kleinen Hütte von Atonia Oronos, sie hat den Kocher voll aufgedreht. Zischend schmurgeln die Bananen in ihrem Fett. Kross und süß sind sie, und die Gäste können kaum so schnell zugreifen, wie die stolze Gastgeberin nachlegt. Es ist eng zwischen den Holz- und Bambushütten, wie überall im Zentrum der Stadt Baybay an der Westküste der philippinischen Insel Leyte. Die Hütten stehen dicht an dicht, zwei Räume hat die von Atonia, 15 Quadratmeter für sie, ihren Mann und die sieben Kinder.

Eine Innovation, die die Lebensverhältnisse von Milliarden Menschen in der Dritten Welt verbessern könnte

Auch Atonias Nachbarin bereitet gerade das Abendbrot zu. Ihr Kocher ist leiser, dafür stinkt er nach Petroleum, und eine fette Qualmwolke zieht aus dem Hüttenfenster. Atonias Kocher arbeitet dagegen fast emissionsfrei. Das Wort kannte sie bisher nicht, aber den Effekt weiß sie zu schätzen. Seit September 2004 testet die Familie Oronos ein neues Küchengerät, einen Pflanzenölkocher, 24 Zentimeter hoch, 42 im Durchmesser. Eine Innovation, die, so glauben ihre Erfinder, den Alltag und die Lebensverhältnisse von Milliarden Menschen in der Dritten Welt verbessern könnten.

Stuttgart, Universität Hohenheim, Institut für Agrartechnik in den Tropen. In der geräumigen Halle werden Traktoren und Erntemaschinen auf Tropentauglichkeit getestet, riesige Apparate, die viel bewegen sollen. Den kleinen Versuchsstand mittendrin übersieht man leicht. Ein über Eck gebautes Bord, ein Schreibtisch mit einem uralten PC, dahinter ein klappriger Schrank voller Metallteile ­ gerade und gebogen, eckig und platt. Und Kochgeräte stehen da, kleine, verbogene Kocher, verrußte Exemplare, manche wie vom Campingplatz. Dies war von 1997 bis 2003 die Werkstatt von Elmar Stumpf, 36. Hier hat der promovierte Agraringenieur mit Hammer und Lötkolben an der Realisierung seiner Idee gearbeitet: nachwachsende Rohstoffe als Energiequelle zum Kochen zu nutzen. So etwa wie Biodiesel fürs Auto ­ aber jetzt für die Küchen der Armen. á

Klingt einfach, ist aber sehr kompliziert, erklärt der Fachmann: "Schütteln Sie eine halbe Flasche mit Sonnenblumenöl und halten Sie ein Streichholz dran. Dann machen Sie das Gleiche mit einer Flasche Petroleum." Alles klar? Beim ersten Versuch, das weiß auch Lieschen Müller, geschieht gar nichts. Von dem zweiten Test sollte man lieber die Finger lassen. Bevor Öl anständig verbrennt, muss es auf mindestens 180 Grad erhitzt werden, Petroleum fackelt schon bei 84 Grad Celsius. Außerdem ist Pflanzenöl flüssiger als Petroleum, es rußt stark und entwickelt beim Verbrennen Temperaturen bis zu 1300 Grad. Elmar Stumpf bog Rohre zu einem kreisförmigen Verdampfer, er formte eine Vorheizschale, konstruierte neue Brennstoffleitungen und Ventile sowie einen Prallteller und ein Flammenlenkblech zur Ableitung des Feuers. Sein Doktorvater Werner Mühlbauer erinnert sich: "Das hat hier gestunken und gequalmt wie in einer Kokserei!"

Ein Kocher mit Pflanzenölwürde das Dilemma nicht lösen, aber könnte Teil der Lösung sein.

Doch der Sinn der Sache war nie umstritten im Institut. Mehr als ein Drittel der gesamten Erdbevölkerung kocht heute mit offenem Feuer, mit Gas, mit Petroleum, Kerosin und eben mit Holz. Die Folgen sind oft verheerend. Vor allem Mütter und Kinder sind dem Qualm ausgesetzt, 1,6 Millionen von ihnen, rechnet die Weltgesundheitsorganisation, sterben pro Jahr an den Folgen dieser so genannten "indoor air pollution". Hinzu kommen Brandwunden durch explodierende Kerosin- oder Petroleumkocher ­ in den Slums der Weltstädte passiert das wöchentlich tausendfach. Und dann das Holz. Millionen von Tonnen werden täglich verfeuert, Holz, das lange gesucht, teuer gekauft oder illegal geschlagen wird. Schon heute kostet das Feuerholz in vielen Ländern mehr als die Zutaten für die Mahlzeit selbst. Weltweit verschwinden die Regenwälder, an ihrer Stelle entstehen Monokulturen. In den Subtropen und Tropen werden meist Kokosnusspalmen angebaut. Ihr Öl ist vielseitig verwendbar, als Bestandteil von Seifen, als Schmierstoff oder als Nahrungsmittel. Eine weltweite Überproduktion lässt die Preise seit Jahren sinken. Ein Kocher, der mit Pflanzenöl arbeitet, würde das Dilemma nicht lösen, aber könnte ein Teil der Lösung sein.

Jede Woche bekommt die Familie Oronos in Baybay Besuch von Marketing-Studenten der Leyte State University. Welche Art von Pflanzenöl hat sie benutzt, wie viele Stunden pro Tag gekocht? Arbeitet der Kocher zu laut? Was sagen die Nachbarn? Auch Atonias Mann Romeo gehört zu den Testpersonen auf Leyte. Er ernährt die Familie mit Hilfe eines Bananenbratstandes auf dem Markt. Neuerdings verdiene er wirklich mehr, erzählt Romeo. Die Flamme sei heißer, da würden die Bananen schneller kross, und weil er mit jeder Art von Öl arbeiten könne, nehme er das jeweils günstigste als Brennstoff. Der neue Kocher sei zudem eine Attraktion. Vor allem Männer, die sich sonst nie für Küchenfragen interessieren, seien schwer beeindruckt.

Wenn Ingenieur Elmar Stumpf die Hütte der Familie Orono betritt, dann muss er sich tief hinunterbeugen. Mit seiner Größe von 1,97 Meter überragt er jeden Filipino. Er setzt sich auf Atonias schmale Bank, sie wackelt, aber hält. Stumpf hat Neuigkeiten mitgebracht. Der Kocher ist aus der Testphase heraus und soll verkauft werden. Als Dank für ihre Mitarbeit erhalten die Oronos von der Universität ein nagelneues Tricycle mit Protos-Werbung drauf. Protos, so heißt der Kocher. Wenn Romeo nicht auf dem Markt steht, kann er mit dem auffälligen Fahrradtaxi in Baybay zusätzliches Geld verdienen.

Elmar Stumpf scherzt und lacht mit Atonias Kindern. Seine eigene Tochter Chiara ist drei Monate alt, aber er sieht sie nur selten. In seinem neuen Job ist er viel unterwegs. Vor drei Jahren hat Stumpf den Hohenheimer Versuchsstand verlassen und ist, samt Kochermodell und Unterlagen, zur BSH Bosch und Siemens Hausgeräte GmbH, München, gewechselt. Das Unternehmen hat von der Universität Hohenheim das Patent für den Pflanzenölkocher gekauft und ihn zur Marktreife gebracht.

Auch Stumpfs Chef bei der BSH, Gerd Strobel, ist zur offiziellen Präsentation des Geräts auf die Philippinen gereist. Zu Hause in München kümmert sich der 62-Jährige um so glamouröse Küchenhelfer wie Gaggenau-Herde. Hier auf Leyte besucht er zum ersten Mal in seinem Leben einen Slum. Der sportliche Manager war in jungen Jahren Stabhochspringer beim Sportclub Salamander Kornwestheim. Einer seiner Leichtathletikfreunde damals: Werner Mühlbauer, der Doktorvater von Elmar Stumpf.

2002 hatte Strobel in der "Stuttgarter Zeitung" einen Artikel über die Aktivitäten der Universität Hohenheim und Werner Mühlbauer gelesen. Auch der Pflanzenkocher wurde erwähnt. Strobel griff sofort zum Telefon. Mühlbauer, seit 2004 emeritiert, erinnert sich: "Das war natürlich ein toller Zufall. Wir suchten dringend einen Wirtschaftspartner für den Kocher." Schnell war man sich handelseinig. Kocherpatent und Wissenschaftler wechselten von Stuttgart nach München. Strobel beantragte ein Public-Private-Partnership-Projekt (siehe Kasten Seite 44). 400 000 Euro kamen von der Deutschen Investitions- und Entwicklungsbank (DEG), dazu technische Unterstützung von der GTZ. Im Gegenzug verpflichteten sich die Münchener zum Aufbau eines Nachhaltigkeitsprojekts auf Leyte. Dazu gehören die Weiterentwicklung des Kochers, seine Vermarktung sowie der Aufbau einer Bauernkooperative für die Produktion des Pflanzenöls.

Die BSH selbst hat bis jetzt etwa zwei Millionen Euro in den Kocher investiert. Peanuts im Vergleich zu den Entwicklungskosten für eine neue Mikrowelle. Doch wenn es schief geht, trägt Gerd Strobel die Verantwortung. Ohne Werner Mühlbauer und dessen seit Jahrzehnten gespanntes Beziehungsnetz auf Leyte und in Deutschland wäre er das Risiko nie eingegangen. Da ist zum Beispiel Claus-Peter Hutter, noch so ein umtriebiger Schwabe. Mit 17 hatte er seine erste Bürgerinitiative gegründet, heute ist er Chef der Stiftung Euronatur. Das Kocher-Projekt hat er von Anfang an begleitet. Hutter kennt unter den deutschen Journalisten praktisch jeden, der sich mit Umweltthemen beschäftigt. Der Artikel in der "Stuttgarter Zeitung" erschien nach einem von ihm initiierten Regenwald-Kongress auf den Philippinen. So arbeiten Mühlbauer, Hutter und Strobel auf Leyte Hand in Hand. Der eine stellt Mitarbeiter für das Kocher-Projekt frei, der andere kümmert sich um die Fortführung der Universitätskontakte, der dritte antichambriert bei Mercedes Benz wegen der Weiterführung eines weiterern Nachhaltigkeitsprojektes.

"Hier gibt es endlich eine Chance, Geld auf den Philippinen zu verdienen."

Roberto C. Guarte ist Dekan der Leyte State University. Seine Doktorarbeit schrieb er vor vielen Jahren in Stuttgart-Hohenheim, im Haus der Familie Mühlbauer geht er ein und aus. Heute leitet er mit Elmar Stumpf die Entwicklungs- und Marketinggruppen für den Protos-Kocher. Die Arbeitsplätze bei ihm sind heiß begehrt: "Alle unsere jungen Leuten wollen ins Ausland. Hier gibt es für sie endlich eine Chance, ihr Geld auf den Philippinen zu verdienen."

Noch wird der Kocher nur auf Leyte vertrieben, produziert wird er teils in Deutschland, teils auf den Philippinen, in Handarbeit in winzigen Firmen oder auf dem Unigelände. Dort wachsen auch verschiedene Ölpflanzen, die später zum Beispiel in der Bauernkooperative im Nachbarort kultiviert werden sollen. In einigen Dörfern gibt es erste Vertriebsstände ­ meist ist das Schild vor dem Eingang größer als der ganze Laden. Alles ist klein und noch in den Anfängen, vieles muss besser werden. Vor allem der Preis, so hört Stumpf von den Marketingstudenten, schreckt mögliche Kunden ab. 30 Euro ist zu teuer. Und: Der Kocher muss leiser laufen.

Elmar Stumpf wird sich noch einige Monate lang mit dem Projekt beschäftigen, dann bekommt er eine neue Aufgabe, irgendwo auf der Welt. In den Labors und Technikhallen der Universität Leyte wird unterdessen mit Hochdruck gearbeitet. Nicht immer so, wie Stumpf sich das vorgestellt hat. So wurde eine eckige Feuerröhre über Nacht rund, und manchmal war der Karaoke-Abend sowieso wichtiger als der nächste Innovationsschritt. "Die Leute hier sind anders drauf", weiß Stumpf. "Aber wie die improviseren und sich begeistern können, das ist fantastisch."

Das staatliche public-private-partnership-programm (ppp)in der Entwicklungshilfe gibt es seit 1999. Über 1000 Projekte in 70 Ländern wurden bisher realisiert. Die Initiative geht vom Unternehmen aus, Zuschüsse gibt es nur, wenn das Projekt erkennbar über die Kernaufgabe des Unternehmens hinausgeht. Im Gegenzug für die Investition in einem Entwicklungsland erhält das Unternehmen finanzielle und technische Unterstützung durch verschiedene staatliche Institutionen, zum Beispiel die GTZ (Gesellschaft für technische Zusammenarbeit).

"Es geht um viel Geld. Das ist wie der Kampf um das Goldene Kalb."

PPP-Programme sind umstritten, wenn es um Grundbedürfnisse wie die Wasserversorgung geht. In Manila stiegen die Wasserpreise nach der Privatisierung durch französische Konzerne um das Dreifache. "Unternehmen wollen Gewinn machen. Dies zu unterstützen kann nicht das Ziel deutscher Entwicklungszusammenarbeit sein", sagt Reinhard Koppe, Fachreferent von Brot für die Welt. Auch Daniela Setton von Weed, einem Aktionsbündnis für Entwicklungspolitik (Bonn), warnt: "Privatfirmen picken sich die Rosinen raus, mit dem Millenniumsziel Armutsbekämpfung hat das nichts zu tun." Staatssekretär Erich Stather vom BMZ (Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit) gibt zu: "Wir wollten mit PPP den Mittelstand erreichen, doch bis jetzt machen hauptsächlich Großunternehmen mit." Stather ist aber überzeugt von der Grundidee: "Die Privatwirtschaft mit ins Boot zu nehmen ist richtig, auch wenn es Negativbeispiele gibt." Dass die Umschichtung der staatlichen Gelder nicht alle erfreue, liegt für ihn auf der Hand: "Es geht um viel Geld. Das ist wie der Kampf um das Goldene Kalb."

Schön, so eine Kokosnusspalme, nicht wahr? Die Ernte der Nuss ist eine wahre Knochenarbeit, der Ertrag dafür vielseitig. Die Schalen der Kokosnüsse werden zu Essgeräten, Kopra, das getrocknete Fleisch, eignet sich hervorragend als Tierfutter, und mit dem Öl der Pflanze lässt sich seit neuestem sogar ein Kocher in der Küche betreiben. Dort soll es nicht mehr stinken und qualmen wie beim Holzfeuer. Damit nämlich kochen immer noch die meisten Menschen in den Entwicklungsländern.

Spalten, schälen, trocknen, pressen: In der Bauernkooperative von Ciabu wird der Brennstoff für den Pflanzenölkocher hergestellt. Über 300 Familien sind dort jetzt schon organisiert. Zum ersten Mal in ihrem Leben verdienen sie nun mit ihren Kokosnusspalmen genug Geld für den Lebensunterhalt. Da der Pflanzenkocher mit den unterschiedlichsten Ölen funktioniert, kultivieren die Bauern neben den Kokosnusspalmen auch andere Ölpflanzen. Dies wiederum hilft bei der Wiederaufforstung des Regenwaldes. Umweltschädliche Monokulturen laugen den Boden aus, dies führt zu Erosion und Schlammlawinen. Und so könnte der Pflanzenölkocher auf lange Sicht tatsächlich dazu beitragen, den Regenwald zu bewahren ­ damit nicht auch noch das letzte Stöckchen als Feuerholz in der Küche endet.

Abendmahl auf den Quatro Islands. Diese junge Mutter lebt auf einer winzigen Insel vor der Küste von Leyte. Außer dem großen Jesusbild gibt es nicht viel in ihrer Hütte zu bewundern. Die Inselbewohner leben ausschließlich von ein wenig Fischerei ­ und in Zukunft vielleicht auch vom Pflanzenölkocher. Trotz der Armut im Land können über 90 Prozent der Filipinos lesen und schreiben. Die meisten sprechen gut englisch. Und so können Elmar Stumpf (links mit Löffel) und sein Firmenkollege Dirk Hoffmann mit den Testern des Pflanzenölkochers problemlos in der Küche plauschen ­ erst recht, wenn es ein leckeres Süppchen gibt. An dem Design des Kochers arbeiteten auch die philippinischen Studenten mit. Immer wieder überraschten sie die deutschen Experten durch unkonventionelle Ideen.

 

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