Ein Papst für alle Kirchen?
Der Vatikan ist eine mächtige Institution. Und ihr Kopf, der Bischof von Rom, gilt weltweit als moralische Instanz. Was hält eigentlich Nichtkatholiken davon ab, ihn als Oberhaupt zu akzeptieren?
Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff
07.10.2010

"Wie viele Divisionen hat der Papst?", soll der sowjetische Diktator Josef Stalin (1879 ­ 1953) einmal spöttisch gefragt haben. Wäre er 100 Jahre alt geworden, hätte der Diktator eine Antwort erhalten. Denn der Papst kann auch ohne Soldaten sehr mächtig sein. Pfingsten 1979 bereiste Johannes Paul II. sein damals noch kommunistisches Heimatland Polen. Vor einer großen Menschenmenge betete der jüngst verstorbene Papst: "Komm, Heiliger Geist, und erneuere das Gesicht der Erde. Dieser Erde!" Das Gebet wurde zur Initialzündung für die friedliche Revolution in Polen. Zehn Jahre später brach der Ostblock in sich zusammen, Stalins Lebenswerk. Die erstarrten Fronten der Nachkriegszeit lösten sich auf.

Ist ein repräsentatives Papsttum für alle denkbar?

Es gibt immer einmal wieder Vorschläge, auch von evangelischer Seite, einen Papst als obersten Sprecher der christlichen Kirchen zu etablieren. Wäre der Papst ausschließlich ein charismatischer Repräsentant der Kirche, der mit nichts als der Überzeugungskraft seiner Worte auf die Weltgeschichte Einfluss nimmt, hätten wohl nur wenige andere christliche Kirchen ein Problem damit, ihn anzuerkennen. Ein solcher Papst könnte Christen über nationale und ethnische Grenzen hinweg vereinen. Nur: Gehorsam dürfte er nicht einfordern. Ist ein solches ausschließlich repräsentatives Papsttum für alle denkbar?

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Burkhard Weitz

Burkhard Weitz war als chrismon-Redakteur bis Oktober 2022 verantwortlich für die Aboausgabe chrismon plus. Er studierte Theologie und Religionswissenschaften in Bielefeld, Hamburg, Amsterdam (Niederlande) und Philadelphia (USA). Über eine freie Mitarbeit kam er zum "Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt" und war mehrfach auf Recherchen in den USA, im Nahen Osten und in Westafrika. Seit November 2022 betreut er als ordinierter Pfarrer eine Gemeinde in Offenbach.

Der 1978 zum Papst gewählte Karol Wojtyla entwickelte sich im Laufe seiner Amtszeit zwar geradezu zur Popikone. Doch gleichzeitig ließ er Lehrverbote erteilen, ernannte Bischöfe gegen den Willen der Bistümer, stellte strittige moralische Gebote auf und dekretierte unbiblische Glaubenssätze über die Jungfrau Maria.

Orthodoxe Christen akzeptieren nur wenige seiner Machtansprüche, Protestanten hingegen keine. Gerade weil Protestanten und Katholiken sich über die Bedeutung der kirchlichen Hierarchie so uneins sind, werden sie sich wohl nie zu einer Kirche vereinigen. Dass ein Papst so einflussreich werden konnte wie Johannes Paul II., liegt nicht nur an seinem Charisma, sondern auch an seiner Machtfülle innerhalb seiner Kirche und teilweise auch auf dem diplomatischen Parkett.

Der Papst dient der katholischen Kirche erklärtermaßen als machtvoller Garant für ihre Einheit. Jesus selbst habe die Voraussetzungen für das Papsttum geschaffen, glauben Katholiken. "Du bist Petrus, auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen", sagte Jesus zu seinem Jünger Simon Petrus, "ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben" (Matthäus 16,18 f.). Als Bischöfe von Rom, so die Katholiken, stünden die Päpste in der Nachfolge des Petrus, den Christus zu seinem Stellvertreter ernannt habe. Sie hätten den Auftrag, die Kirche an Christi statt zu regieren.

Für Protestanten ist der Papst hingegen ein Mensch wie jeder andere, auch in Glaubensfragen. Kein Priester, Bischof oder Papst kann es einem Menschen abnehmen, mit Gott ins Reine zu kommen. Wohl kann ein Seelsorger helfen, wenn sich jemand etwas von der Seele reden will oder einen Rat sucht. Doch für Protestanten steht die unmittelbare Beziehung zwischen Gott, Mensch und Mitmensch an erster Stelle, erst dann kommt die Institution.

Ein Papst für alle Kirchen? Nicht undenkbar, aber auch nicht erforderlich.

Wenn Jesus dem Apostel Petrus sagt, auf ihn wolle er die Kirche aufbauen, so verdeutlicht das nach protestantischer Deutung lediglich die herausgehobene Stellung des Petrus im Urchristentum. Mit den Bischöfen von Rom hat das nichts zu tun. Petrus war nie Bischof in Rom, wahrscheinlich gab es im ersten Jahrhundert dort ohnehin gar keinen Bischof. Ein Kollegium von Vorstehern leitete wohl anfangs die Geschicke der römischen Gemeinde. In Rom ist der Apostel Petrus lediglich begraben.

Katholische Theologen argumentieren, im Laufe der weiteren Geschichte habe sich mit dem Papsttum etwas entfaltet, was von Anfang an im Christentum angelegt gewesen sei. Evangelische Theologen halten dagegen, Entwicklungen, die im Laufe des ersten Jahrtausends die Entstehung des Papsttums begünstigten, können heute nicht maßgeblich sein. Jedenfalls sind die reformatorischen Kirchen von Anfang an aus gutem biblischen Grund autoritäts- und institutionenkritisch.

Ein Papst für alle Kirchen? Das ist nicht undenkbar, aber auch nicht erforderlich. Es ist gut, dass Christen mit und Christen ohne Papst um den rechten Glauben konkurrieren. Der Papst erinnert alle Christen daran, dass sie für ihren Glauben eine gemeinsame Basis brauchen. Und Protestanten erinnern daran, dass sich in den entscheidenden Fragen des Lebens niemand zwischen Gott und den Menschen stellen kann.

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