Regelrecht leben
Es gibt keinen Mangel an Regeln im Buch der Bücher. Auffallend nur, dass sich manche widersprechen
07.10.2010

Der Bart wurde lang und länger, die Haare ebenso. Der amerikanische Journalist Arnold Stephen Jacobs junior hat es getestet: wie es ist, wenn man streng nach der Bibel lebt. Er hat alle Regeln, die es in der Bibel gibt, herausgeschrieben und sich daran gehalten, hat sich nicht rasiert und hat Sandalen getragen. Mehr als 700 Vorschriften hat Jacobs in der Schrift entdeckt und so streng wie möglich befolgt. Er machte die wohltuende Erfahrung, am Sonntag nichts zu tun, nicht einmal E-Mails zu lesen oder Handygespräche anzunehmen. Und er spürte, dass es ihn innerlich befreite, wenn er weiße Kleidung trug.

Bei seinem Experiment ist er allerdings auch an Grenzen gestoßen. Denn viele Hinweise wie zum Beispiel die detaillierten Opfervorschriften sind längst überholt. Niemand wird ernstlich ein Tier töten und mit ihm ein Dankopfer entfachen "zum lieblichen Geruch für den Herrn". Unhaltbar auch die Methode, Ehebrecher zu steinigen - in Europa gibt es die Todesstrafe Gott sei Dank nicht mehr.

An vielen Ratschlägen und Vorschriften der Bibel halten Christen bis heute fest. Ein christliches Ideal ist zum Beispiel die lebenslange Treue zu einem Partner. Gültig nach wie vor ist auch die Norm, nicht zu lügen, die schon in den Geboten des Alten Testaments enthalten ist. Es gibt auch viele religiöse Ratschläge von bleibender Bedeutung. Das Gebet, das in jedem Gottesdienst gesprochen wird, leiten die Christen aus Jesu Bergpredigt ab, auch dies ein Dokument voller Regeln: "Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name" (vgl. Matthäus 6,9-13). Jesus sagt, dass mit diesem Gebet alles gesagt ist, es enthält bleibende Weisungen an die Menschen.

Moralisierendes Verhalten ist Jesus fern

Sich nach diesen Regeln zu richten, leuchtet ein. Anderes kann einem dagegen sauer aufstoßen. Was ist mit der Anweisung des Paulus, dass die Frauen in der Gemeinde schweigen sollen (1. Korintherbrief 14,34)? Müssen sich die Frauen daran halten, weil es "geschrieben steht"? Zumindest Christen, die die Bibel in jeder Hinsicht wörtlich nehmen, leiten daraus ab, dass sich die Frau dem Mann unterordnen soll.

In der Bibel gibt es auch die überaus ablehnende Haltung gegenüber Menschen mit anderer sexueller Orientierung, zum Beispiel im Römerbrief des Paulus, wo es heißt: Männer treiben mit Männern Schande und "sie haben den Lohn der Verirrung an sich selbst empfangen" (Römer 1,26-27). Gilt das so für alle Zeiten? Oder müssen wir uns auch hier daran erinnern, dass die Bibel nicht vom Himmel gefallen ist? Sondern dass sie, wie jedes Buch, Verfasser hat, die ihre eigenen Ansichten in den Text einfließen ließen und die geprägt sind von der Gesellschaft, in der sie leben.

Jesus, auf dessen ethische Prinzipien sich der christliche Glaube stützt, hat die jüdischen Gesetze neu gedeutet: "Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein", hat er gesagt und damit den erhobenen Zeigefinger wieder auf die Pharisäer zurückgelenkt. Überhebliches, moralisierendes Verhalten ist Jesus fern. Als die Schriftgelehrten seine Jünger bei ihm anschwärzen, weil sie am Sabbat "Ähren raufen", verteidigt er sie.

Die Zehn Gebote nicht Zwang, sondern Lebenshilfe

Was ist zu tun, wenn sich Aussagen in der Bibel regelrecht widersprechen? Es wäre zu einfach, die Regeln aus dem Neuen Testament gegen die Gebote des Alten Testaments auszuspielen. Jesus wollte nicht einfach die Gesetzesvorschriften aufheben. Der Evangelist Matthäus betont, dass "kein Jota" davon wegfallen soll, also nicht mal der kleinste Buchstabe des griechischen Alphabets. Dass es richtig ist, sich vom Ehepartner scheiden zu lassen, will Jesus also nicht sagen. Auch nicht, dass der Sabbat keine Bedeutung mehr habe.

Jesus wie Matthäus wissen zu gut, dass Menschen Maximen brauchen, an denen sie sich orientieren. Aber das Entscheidende ist die Menschlichkeit. Sie gibt den Normen unterschiedliches Gewicht. Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht umgekehrt. So auch die Gesetze, die vom Judentum tradiert wurden. Die Zehn Gebote sind ebenfalls nicht in erster Linie als Zwang zu sehen, sondern als Lebenshilfe. Sie halten die Top Ten der Ratschläge fest, die zu einem gelingenden Leben gehören. Wer sich an sie hält, hat gute Chancen, ein Leben zu führen im Einklang mit sich und mit Gott.

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