Wer mit wenig Geld auskommen muss, entwickelt darin bald Geschick.
Tim Wegner
07.10.2010

Als ich für das Kindergartenfest einen schlichten Quark-Öl-Teig mit Streuseln darauf gebacken habe, musste ich mir von einem Vater anhören, dass mein Kuchen schon recht arm aussehe. Ja, sagte ich, ich lebe von Hartz IV. Und dann war mein kleiner netter Kuchen als Erster weg. Ich suche ja Arbeit, aber wenn ich nur das Wort "Kind" sag, ist der Ofen schon aus. Mein Mann ist gelernter Gebäudereiniger, er arbeitet nachts im Kongresszentrum. Netto bekommt er 1100 Euro. Dazu kriegen wir ergänzend Hartz IV, so haben wir 1400 Euro. Wenn alle Rechnungen bezahlt sind wie Miete, Strom, Heizung, Haftpflichtversicherung, Telefon, Schuldentilgung, sind 600 Euro übrig. Davon gehen noch rund 100 Euro für die Zugfahrten zur Arbeit ab.

Gegen Ende des Monats gibt es kein richtiges Brot mehr

Gegen Ende des Monats können wir uns kein richtiges Brot mehr leisten. Da sagen dann die Kollegen meines Mannes: "Oh, wieder Toastbrotwoche! " Ich habe eben nur fünf Euro für ein Mittagessen und zehn für abends, wenn ich koche. Frühstücken tut nur mein Sohn. Zum Glück kauft meine Schwiegermutter für den Kleinen Kleidung. Aber im Sommer brauchte er Sandalen, da haben wir bei uns zehn Euro weggerechnet. Denn zuerst kommt immer der Kleine. Für mich fand ich in einem Billigmarkt Sandalen für drei Euro. Manchmal sagen die Leute: "Wie kann man so leben! " Gut, es ist nicht schön, aber es ist mein Leben.

Jetzt durfte ich an einem Kurs vom Diakonischen Werk teilnehmen: "Auskommen mit dem Einkommen". Ich hab so viel gelernt! Zum Beispiel Resteverwertung. Oder Nachtisch - konnte ich mir bislang nicht leisten. Aber jetzt: Obst in einen einfachen Joghurt, und das Kind ist glücklich. Ich frage samstags auf dem Markt immer nach angedrückten Früchten, die sind dann billiger.

Man kann auch Bäume essen

Ich hab richtig kochen gelernt, sogar Gemüse. Als ich neulich Brokkoli kaufte, sagte mein Sohn: "Mama, ich ess doch keine Bäume! " Aber mit Nudeln, Schinken und Cashewkernen - "Mama, das schmeckt! " Siehste, sagte ich, man kann auch Bäume essen. Oder Mehlschwitze, die kennt kein Mensch mehr! Dabei kann man daraus lecker Tomaten- oder Currysauce machen. Wie ich das einer anderen Mutter erzählte, sagte die: "Wie, das gibt's?" Wir waren vorher auch so: Tüte auf, Wasser rein, fertig.

Ich gehe nur noch mit dem Taschenrechner einkaufen, damit ich im Limit bleibe. Wenn ich dann auf den Knien liege - denn unten sind die preiswerten Sachen -, und Kilopreise vergleiche, werde ich angeschaut, als hätte ich sie nicht mehr alle. Neulich sagte ein Mann: Was machen Sie denn da, junge Frau? Regaltauchen, sagte ich, die neue Trendsportart.

Ich kaufe nur noch, was auf dem Zettel steht.

Gerade habe ich es sogar geschafft, beim Samstagseinkauf für zwei Tage nur 20 Euro auszugeben statt 30. Ich hatte vorher in unserem Kursordner nach Rezepten geschaut - da steht ja drüber, was die kosten - und dann nur diese Zutaten auf den Einkaufszettel geschrieben. Ich kaufe nur noch, was auf dem Zettel steht.

"Geht doch", sagte mein jüngerer Bruder neulich. Ich war so wütend! Ich sagte: "Ich geb dir fünf Euro, und du kaufst ein Mittagessen für eine Familie. Dann sag noch mal 'Geht doch'! " Es geht nämlich nicht immer. Es gibt Wochen, da ist einem echt zum Heulen zumute. Weil was dazwischengekommen ist. Wie jetzt die Reparatur des Computers für 60 Euro.

Das tat fürchterlich weh. Aber wir brauchen ihn für Briefe und für kostengünstige Einkäufe bei E-Bay. Zum Beispiel haben wir uns endlich einen Toaster geleistet. Als das Paket kam, freuten wir uns wie die Schneekönige, richtig lang. Das gehört uns, das haben wir uns angeschafft! So was bedeutet uns viel.

Ich würde so gern noch was lernen, eine Ausbildung zur Hauswirtschafterin, das wär's! Aber die Arbeitsagentur sagt Nein. Ich könne doch Aushilfsjobs machen. Aber ich kann mich nicht bis zur Rente mit Aushilfsjobs durchs Leben hangeln! Mein Großvater hat gesagt: "Ihr seid zwar nicht reich an Geld, aber reich an Liebe." Ja, ich kann gut zuhören, ich bin für andere da. Aber manchmal, wenn man sich jemandem vorstellt, möchte man doch sagen: Ich habe ..., und ich kann...

Protokoll: Christine Holch

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