Davon träumt die Schriftstellerin Ingrid Noll.
Dirk von Nayhauß
07.10.2010

Was können Erwachsene von Kindern lernen?

Je älter man wird, desto mehr, vor allem von ganz kleinen, die noch so neugierig sind. Die alles öffnen und reingucken und hemmungslos fragen: warum? Wieso? Was ist das? Diese Neugier finde ich fabelhaft. Und wie emotional sie sind: Lachen und Weinen liegen ganz nah aneinander. Eben noch furchtbar geheult, und nun kann man schon wieder scherzen, und sie lachen sich krank. Überhaupt, wie sie lachen können! Diese Fröhlichkeit, auf der Welt zu sein - wie eine kleine Katze in der Sonne.

An welchen Gott glauben Sie?

An keinen, meinen Glauben an Gott habe ich früh verloren. Ich bin zwar evangelisch getauft, konfirmiert werden wollte ich jedoch nicht. Aber ich kann verstehen, dass in den Menschen eine Sehnsucht ist, jemanden um Hilfe zu bitten: Lass meine Mutter wieder gesund werden. Oder lass mein Kind nicht durchs Abitur fallen. Der Glaube an einen Gott ist ja eigentlich die Sehnsucht aller Menschen, Eltern zu haben, die mächtig sind. Diese Sehnsucht hat man doch immer: Da gibt es jemanden, der mir hilft.

Hat das Leben einen Sinn?

Ja, das Leben selbst. Das klingt banal, aber es stimmt. Man muss in der Zeit, die einem gegeben ist, richtig leben und sich nicht verkriechen. Das heißt: Verantwortung übernehmen und Liebe geben und sie annehmen und sich sozial engagieren. Etwas weitergeben von sich selbst - vielleicht Güte oder Weisheit, etwas, das man gelernt hat im Laufe seiner Jahre. Im vergangenen September ist meine Mutter mit 106 Jahren gestorben, sie hatte bei uns zu Hause gelebt. Die letzte Zeit war nicht einfach, und ich hätte es wohl nicht geschafft, wenn sie eine schwierige oder bösartige Person gewesen wäre. Aber sie war höflich und freundlich und weise und hat nie rumgejammert. Fragte ich sie: "Hast du gut geschlafen?", entgegnete sie: "Das ist doch kein interessantes Thema, ob eine alte Frau gut geschlafen hat." Ich hatte ein gutes Verhältnis zu meiner Mutter, sonst wäre das nicht gegangen. Ich habe sie geliebt. Es war für mich selbstverständlich, sie bei mir aufzunehmen. Sie hat viel für uns getan, sie hat vier Kinder aufgezogen, mein Vater ist früh gestorben. Natürlich hat es viel Zeit gekostet, mich um sie zu kümmern, aber ich bin zufrieden mit mir, dass ich das gemacht habe. Ich bin froh, dass sie es gut gehabt hat.

Muss man den Tod fürchten?

Die Endlichkeit des Lebens habe ich schon früh erlebt. Als ich zehn Jahre alt war, starb mein geliebter Hund. Als er tot vor mir lag, verstand ich: Der kommt nicht wieder, es ist vorbei. Ich habe damals auch viele tote Menschen gesehen. Ich bin in China aufgewachsen, und einmal war der Winter sehr kalt, da lagen viele Bettler einfach tot auf dem Bürgersteig. Ich fuhr mit dem Fahrrad an ihnen vorbei und grauste mich etwas. Irgendwann wurden sie wie Müll auf einen Lkw geladen und abtransportiert. Bei meiner steinalten Mutter war es gut, das Flämmchen wurde immer kleiner. Und es ist ja richtig, dass es irgendwann zu Ende geht, dass man loslässt. Das kann man natürlich nur, wenn man mit seinem Leben zufrieden ist: Wenn man weitgehend das gemacht hat, was man wollte, geliebt hat und geliebt wurde und sich seine Wünsche erfüllte. Sicher habe ich nicht alle Chancen ergriffen, aber doch genügend, dass ich sagen kann: Es ist okay so. Man ist kein Übermensch, dass man immer alles richtig macht.

Welche Liebe macht Sie glücklich?

Die Liebe meiner Kinder, die meiner Freunde; oder wenn mich ein kleines Enkelkind herzlich liebt, das ist Balsam für die Seele. Und die Liebe meines Mannes macht mich glücklich, wir feiern im nächsten Jahr Goldene Hochzeit. Diese Liebe hat sich natürlich im Laufe der bald 50 Ehejahre geändert. Die heiße Leidenschaft, die vergeht. Was bleibt, ist die Freude, wenn es dem anderen gut geht. Und ich weiß: Wir lassen uns nicht im Stich. Ich kann auch über seine Macken lachen, ich habe ja selber viele. Wenn ich angebe, gehe ich ihm sehr auf die Nerven. Wenn ich etwas Aufregendes erlebt habe, muss ich das etwas dramatisieren. Ich habe zum Beispiel einen Unfall gesehen und erzähle hinterher: "Tausende säumten die Straßen", und mein Mann erklärt trocken: "Es waren insgesamt drei."

Welchen Traum möchten Sie sich noch unbedingt erfüllen?

Ein Urlaub mit allen Kindern und Enkeln. Am Meer, wo die Kleinen im Sand buddeln und wo man richtig schön essen geht. Diesen Traum werde ich mir erfüllen: Ich muss noch mal ordentlich verdienen, dann lade ich alle ein.

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