Foto: Dennis Yenmez
Lust an der Gemeinschaft
Eine Fußballerin und ein Sportreporter über die Lust an der Gemeinschaft - und über einsame Entscheidungen
07.10.2010

chrismon: Frau Künzer, Sie haben die Chance, ganz vielen Frauen zu erklären, warum Fußball ein schöner Sport ist!

Nia Künzer: Weil man Fußball überall spielen kann. Auf dem Schulhof brauchten wir nur ein paar Pullis oder Cola-Dosen, die haben das Tor markiert. Und man kann mit Leuten zusammen sein. Wir machen Späße, Scherze, sind manchmal einfach albern. Nirgends kann ich so viel Quatsch machen wie im Training.

chrismon: Heute ist Frauenfußball anerkannt. Wie war das, als Sie klein waren?

Künzer: Als Kind habe ich nicht darüber nachgedacht, dass ich eine Ausnahme war. Meine Brüder haben im Verein gespielt, das wollte ich auch. Nur die Jungs aus den anderen Mannschaften fanden es relativ sensationell, gegen ein Mädchen zu spielen.

Manni Breuckmann: Seit der Deutsche Fußballbund eine modern denkende Führungsspitze hat, ist diese Diskussion vorbei. Ich stehe zwar im Damenfußball nicht so im Stoff wie bei der Bundesliga oder der Nationalmannschaft. Aber damit drücke ich keine besondere Haltung aus. Darf man eigentlich Damenfußball sagen oder muss es Frauenfußball heißen?

Künzer: Keine Sorge, ist mir völlig egal. Ich hab mich mal mit Basketballerinnen unterhalten. Bei denen heißt es ausdrücklich Damenbasketball. Verrückt.

"Die Bayern haben keine Fans, nur Zuschauer!"

chrismon: Was ist ein echter Fußballfan?

Breuckmann: Er muss sich identifizieren mit dem Objekt seiner Lust, also mit seiner Mannschaft. Und er muss in der Lage sein, durch die Täler zu gehen. Ich unterstütze die These, dass der FC Bayern keine Fans hat, sondern nur Zuschauer. Die richtigen Tiefs lernen die doch gar nicht kennen.

Künzer: (lacht) Doch, den UEFA-Cup!

Breuckmann: (lacht) Tja, sie sind einfach zu gut, die lieben Bayern. Aber mal im Ernst: Ich mag nur nicht die Erfolgs- und Modeanhänger von Bayern München, die Trittbrettfahrer, die es bei anderen Clubs auch gibt. Und wenn einer in Bottrop wohnt, müssen es da die Bayern sein?

chrismon: In die Stadien kommen viele Menschen, die einfach nur die Stimmung erleben möchten. Wie stehen Sie dazu, Herr Breuckmann?

Breuckmann: Die stoßen damit nicht auf meine moralisch begründete Verachtung. Aber wenn ich mir die Weltmeisterschaft 2006 angucke - da gab es viele Leute, die null Ahnung hatten. Die haben immer nur gerufen: "Pooooldiiiiii - süüüüüüß! " Hui, das finde ich schwierig.

Künzer: Also muss ein Fan nicht nur Leidenschaft, sondern auch Ahnung haben?

Breuckmann: Ich habe immer gedacht, Fan sein setzt Ahnung voraus.

Künzer: Aber es ist doch legitim, trotzdem hinzugehen.

Breuckmann: Ja, klar. Frankfurter Eintracht, im Schnitt 48 000 Zuschauer. ..

Künzer: Ich als Frankfurterin sage: zu Recht!

Breuckmann: ...bei der Art, wie die teilweise spielen? Da kommt ein Gutteil der Leute, weil es um Party geht. Sollen sie haben. Ist halt eine besondere Einstellung, und zwar nicht meine.

Den Schiri beschimpfen? "Im Stehblock habe ich da keine Hemmungen!"

chrismon: "You'll never walk alone", singen die Anhänger - und versichern den Akteuren auf dem Rasen ihre Treue. Wie wichtig sind Fans fürs Spiel?

Künzer: Mir macht auch das Abschlusstraining ohne Fans viel Spaß, wenn es gut läuft. Das Gefühl der Zufriedenheit über die eigene Leistung entsteht auch ohne Zuschauer.

Breuckmann: Ach, die Fans spielen für euch gar keine Rolle?

Künzer: Doch! Sie sind super motivierend! Es gibt einen Kick, ein Länderspiel vor 20 000 Fans zu haben. Gegnerische Fans motivieren auch. Das ist Zündstoff, toll! Wenn ich zu den Herren der Eintracht ins Frankfurter Stadion zum Bundesligaspiel gehe, denke ich: Das muss für die Spieler super sein, das zu erleben.

Breuckmann: Wie bist du als Zuschauerin? Aggressiv? Beschimpfst du den Schiedsrichter?

Künzer: Im Sitzplatzbereich halte ich mich zurück. Im Stehblock habe ich keine Hemmungen. Ich bin nicht die Vulgärste, aber die Schimpferei gehört dazu. Für viele Menschen ist Fußball die Chance, sich mal anders zu geben. Im Arbeitsleben, im Familienleben spielt sich, was das Benehmen angeht, alles in engen Bahnen ab.

chrismon: Profisportler sind immer auch Egoisten, die sich vermarkten müssen. Wie passt das zum Teamgedanken?

Künzer: Schwierig! Man kann das Gefüge einer Jugendmannschaft nicht mit einer Bundesligamannschaft vergleichen. In der Jugend ist man als Gruppe befreundet. Später kristallisieren sich, wie an anderen Arbeitsplätzen auch, Freundeskreise heraus.

Breuckmann: Also wird es schwieriger mit dem Teamgeist, wenn das Umfeld professioneller wird. Aber professioneller müsste ja heißen: Es muss in die Köppe der Spieler rein, dass sie über eine Mannschaftsleistung mehr erreichen, als wenn sie nur ihre persönlichen Fähigkeiten zur Geltung bringen. Ich frage mich: Sind die Profis zu blöd, das zu erkennen? Findet da der Sieg des Egoismus über die Intelligenz statt?

Künzer: In der Männerbundesliga geht es für den Spieler tatsächlich um den eigenen Marktwert. Ich glaube, ein Individuum rückt umso stärker in den Mittelpunkt, je professioneller der Sport betrieben wird.

Breuckmann: Und führt das dazu, dass man den Ball nicht zum Mitspieler gibt, sondern selbst das Tor schießen will?

"Zum Profisein gehört: die eigenen Ansprüche zurückstellen"

Künzer: Nein, zum Profisein gehört, dass man im entscheidenden Moment die eigenen Ansprüche zurückstellt.

Breuckmann: Jetzt kannst du mal ein altes Vorurteil widerlegen: Sind die Intrigen und Grabenkämpfe bei Frauen schlimmer als bei Männern?

Künzer: Ich kann ja schlecht beurteilen, wie es bei den Männern ist. Ich glaube, Konflikte werden zwischen Frauen anders ausgetragen.

Breuckmann: Ehrlicher?

Künzer: Ich habe das Gefühl, dass Männer schon mal sehr derbe Beschimpfungen loslassen. Nach dem Spiel gehen sie zusammen ein Bier trinken und die Sache ist vergessen. Das geht unter Frauen nicht so schnell.

chrismon: Aber Frauen sagen auch schlimme Dinge auf dem Platz, oder?

Künzer: Wir haben ein höheres Niveau, ohne dass ich jetzt genau weiß, was bei den Männern in der Bundesliga abgeht.

Breuckmann: Schlimme Dinge!

Künzer: Das Beleidigende, das Provozierende, das gibt es bei uns nur ganz selten. Bei uns gibt es auch keine Rudelbildung. Wir stehen uns nicht Nase an Nase schreiend gegenüber.

chrismon: Frau Künzer, Ihre Karriere ist von vier Kreuzbandrissen überschattet worden. Was geht einem durch den Kopf, wenn das immer wieder passiert?

Künzer: Da bricht eine kleine Welt zusammen, weil man weiß, was folgt - die Operation, die Reha, ein halbes Jahr Spielpause. Da kommen natürlich Gedanken auf wie: Warum ich? Warum schon wieder?

chrismon: Hilft eine Mannschaft in solchen Situationen?

Künzer: Da bin ich ganz realistisch. Ich habe einige Freundinnen im Team, die haben sich nach mir erkundigt, als ich in der Reha war. Aber man darf nicht erwarten, dass jeden Tag eine andere Spielerin anruft.

chrismon: Wie haben Sie es geschafft, immer wieder zurückzukommen?

Künzer: Nach den letzten beiden Kreuzbandrissen habe ich lange überlegt, ob ich weitermachen soll. Aber als ich wieder joggen und gegen den Ball treten konnte, überkam es mich doch. Es gab genug Leute, die gesagt haben: "Ach, Nia, muss das sein?" Die wichtigen Menschen in meinem Leben haben mir gesagt, dass sie mich unterstützen, egal, wie ich mich entscheide.

Breuckmann: Man muss die Fähigkeit, nach so einer Verletzung wieder aufzustehen, nicht glorifizieren. Und trotzdem: Ich wüsste nicht, wie ich nach zwei Kreuzbandrissen reagieren würde. Vielleicht hätte ich die Schnauze voll.

Künzer: So war es zunächst auch. Vielleicht bin ich einfach zu stur. Und mit dem Fußball ist es so: Eine Mannschaftssportart ist eine gute Schule fürs Leben. Für Kinder ist es wichtig zu lernen, sich durchzusetzen, aber auch Kompromisse zu machen, Disziplin und Willensstärke zu entwickeln.

chrismon: Sportler gelten als Vorbilder. Müssen Olympioniken eine Haltung haben, zum Beispiel Botschafter für Menschenrechte sein?

Breuckmann: Ich empfinde das nicht als Forderung. Es wird diskutiert, was die Sportler sagen dürfen und was nicht.

Künzer: Ich habe gehört, dass sich manche Athleten unter Druck gesetzt fühlen, eine Meinung haben zu müssen.

"Die großen Fragen, die sollten auch Fußballer kennen!"

Breuckmann: Ich will von den Sportlern keine politischen Bekenntnisse abfordern, aber bin doch peinlich berührt, wenn sich Fußballer nur auf den Sport reduzieren. Ein deutscher Nationalspieler hat nach dem Besuch der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Israel seinen Trainer gefragt, ob das mit dem Holocaust wirklich alles so passiert sei. Da falle ich vom Glauben ab. Ich verlange nicht, dass man die feinsten Verästelungen von Politik kennt, aber bitte doch die großen Fragen.

Künzer: Sportler sind nicht die intellektuelle Elite, sondern ein Querschnitt durch die Bevölkerung. Natürlich sollten sie sich dafür interessieren, was etwa in China passiert. Aber ich finde es scheinheilig, das Politische auf sie abzuschieben. Es gibt Unternehmen mit Wirtschaftsverbindungen nach China, und das nicht zu knapp. Von denen wird auch nicht verlangt, dort die Menschenrechte einzuklagen.

Breuckmann: Warum sind denn die Spiele an China vergeben worden? Weil man dort prima Handel treiben kann. Die Zustände in China sind immer gleich geblieben, dort wurden und werden Menschenrechte verletzt.

chrismon: Sollte man solche Spiele boykottieren?

Künzer: Man muss fair sein: Ich glaube, dass sich die Menschenrechtssituation durch die Vergabe der Spiele nach China verbessert hat. Die Tibetfrage hätte ohne Olympia doch nie diese Aufmerksamkeit. Wären die Spiele an Brasilien vergeben worden, würde sich für die Situation in China niemand interessieren außer Amnesty International.

Breuckmann: Andersrum wird auch ein Schuh draus: Die Tibeter nutzen diese Aufmerksamkeit durch die Spiele sehr geschickt.

chrismon: Frau Künzer, Sie beenden Ihre aktive Karriere: Wie merkt man, dass es Zeit ist zu gehen?

Künzer: Ich hab für mich entschieden, dass die elf Jahre schön waren, aber dass es jetzt reicht. Bei so wichtigen Entscheidungen merkt man, dass man letztlich allein ist. Ich würde sie gern auf andere abwälzen, aber das geht nicht.

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