In fast jeder Großstadt mieten afrikanische Christen Kirchen und Gemeindehäuser für ihre Gottesdienste. Sie leben mit deutschen Glaubensgeschwistern unter einem Dach. Aber was wissen sie eigentlich voneinander? Und was können sie voneinander lernen?
Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff
07.10.2010

Damen mit weit geschwungenen Hüten und azurblauen, lilafarbenen und grünen Kleidern stehen an der Bushaltestelle, dazu Herren in Ledermänteln und Jungen mit bunten Krawatten und braunen Jacketts. Festlich gekleidete Afrikaner beleben an Sonntagen das Straßenbild vieler deutscher Großstädte. Mit Straßenbahnen, Bussen und U-Bahnen reisen sie quer durch Bremen, Hannover, Hamburg, Berlin, Dortmund, Frankfurt am Main oder München. Sie treffen sich in Gemeindehäusern oder neugotischen Kirchen, angemietet bei deutschen Stammgemeinden. Ihre Gottesdienste sind laut und lang. Was wissen die Mitglieder der gastgebenden Gemeinden eigentlich von den Mietern aus Afrika? Wie oft kommt es zu Begegnungen? Woran glauben sie? Wie feiern sie? Was denken sie über ihre deutschen Gastgeber?

Christian Kranjcic

... hat vor einem halben Jahr in der Christuskirche in München-Neuhausen geheiratet. Seither besucht der 29-jährige Jurist hier regelmäßig und gern den Gottesdienst. Bislang hat er wenig von den afrikanischen Christen gewusst, die sich nachmittags im gleichen Gotteshaus versammeln. Nun hat sich Kranjcic bereit erklärt, deren Gottesdienst zu besuchen und seine Eindrücke zu schildern.

Gisèle Ntikala Mongo

Umgekehrt wird die 21-jährige afrikanische Schwesternschülerin Gisèle Ntikala Mongo einen Gegenbesuch im deutschen Gottesdienst abstatten. Seit sie mit 16 Jahren aus dem Kongo zu ihren Eltern nach Deutschland zog, gehört sie der afrikanischen Pfingstgemeinde an, die sonntagnachmittags in der Christuskirche Gottesdienst feiert.

Der deutsche Gottesdienst beginnt um Punkt halb zehn.

"O heil'ger Morgenstern, wir preisen dich heute hoch mit frohen Weisen", singt die Gemeinde. Gisèle Ntikala hatte zugesagt zu kommen. Doch von ihr fehlt jede Spur. Dafür, dass nur knapp 60 Leute locker verteilt auf den Bänken der vom Sonnenlicht durchfluteten Kirche sitzen, klingt der Gesang kräftig. Eine Mutter stimmt mit ihrer Tochter in den Gesang ein, die Stirn in Falten gelegt. Eine ältere Dame mit Fellhut lässt den Kopf hängen, das aufgeschlagene Gesangbuch liegt auf ihrem Schoß.

Nach dem Lied liest der Pastor aus dem Psalm: "Singet dem Herrn ein neues Lied." ­ "Der Himmel freue sich, und die Erde sei fröhlich", entgegnet Kranjcic im Chor mit der Gemeinde. "Der Herr sei mit euch", singt der Pastor mit heller Tenorstimme. "Und mit deinem Geist", klingt es zaghaft zurück. "Lasset uns beten", intoniert der Pastor. Die Gottesdienstbesucher falten die Hände. In diesem Augenblick öffnet Gisèle Ntikala die Tür. Dass der Gottesdienst auf die Minute genau anfangen würde, damit hat sie nicht gerechnet.

Noch in der Tür versteinert sich Ntikalas Gesicht.

Sie wirkt unangenehm berührt, als wäre ihr die Anwesenheit peinlich. Am Altar singt der Pastor das Wochengebet. "Er redet im Gesang", denkt Ntikala beim Eintreten. Liturgischen Gesang kennt sie aus der katholischen Kirche im Kongo. Damals lebte sie bei ihrer Großmutter, die Eltern waren in Deutschland, seit sie neun war. Damals besuchte sie hin und wieder die Messe. Liturgischen Sprechgesang findet Ntikala seither künstlich und befremdlich. Aber nun hat sie sich entschlossen, den Gottesdienst ganz zu erleben. Sie bleibt.

Während Ntikala die Tür behutsam hinter sich schließt, fällt ihr Blick auf einen Tisch mit hüfthohen Holzgiraffen aus Tansania, mit Tee, Kaffee und bunt verpackter Schokolade. Es ist der Dritte-Welt-Verkaufsstand. "Bei uns darf man in der Kirche nichts verkaufen", schießt es ihr durch den Kopf: "Jesus hat die Händler aus dem Tempel vertrieben." Nach dem Gottesdienst erfährt sie, dass der Verkauf einem guten Zweck dient. "Wenn sie das Geld den armen Leuten geben, ist es okay", meint sie. Immerhin kann man in ihrer afrikanischen Gemeinde Hör- und Videokassetten vom Gottesdienst kaufen.

Gisèle Ntikala überlegt, ob sie die Jacke ausziehen soll.

So täte sie es sonst im Gottesdienst. Aber alle anderen haben Mäntel und Hüte anbehalten. Außerdem sagt sich Ntikala, als Gottesdienstbesucherin habe sie hier wenig zu tun, der Pastor mache ja alles selbst. Und wer zu dieser Jahreszeit in der Kirche reglos sitzt, verkühlt sich schnell. Ntikala behält die Jacke an.

Christian Kranjcic kommt am liebsten dann in die Christuskirche, wenn, wie heute, Dekan Andreas Weigelt predigt. Kranjcic mag dessen Art, die Liturgie zu feiern. Er mag die Lieder mit den getragenen Melodien und den fröhlichen Texten, die kluge, geistig herausfordernde Predigt. Dekan Weigelt tritt ans Mikrophon. Er predigt darüber, wie Gott Moses am Berg Sinai erscheint, wie er an Moses vorüberzieht, wie Moses Gott nachschaut. Moses blicke in die Richtung, in die Gott geht, erklärt der Prediger, also nach vorn. Um diese Blickrichtung gehe es im Glauben. Der Blick auf das Goldene Kalb, den Götzen, sei dagegen rückwärtsgewandt. "Ich will vor dir hergehen, sagt Gott Moses und dem ganzen Volk Israel", so der Prediger.

Während der Predigt sitzt Christian Kranjcic reglos in der Kirchenbank.

Warum sollte er sich auch bewegen? Für ihn hat Gottesdienst weniger mit äußeren Gesten zu tun. "Gottesdienst ist etwas Persönliches, was sich im Kopf abspielt", findet er. "Es geht auch um die Gemeinschaft, aber das ist alles sehr introvertiert", so erklärt er seine Haltung.

Bei Gebet, Gesang und Predigt ­ stets verhalten sich die Leute gleich, fällt Ntikala auf. Das Mienenspiel verändert sich kaum. Jeder bleibt bei sich. Immerhin: Während der Predigt nicken einige Leute zustimmend. "Vielleicht ist das der Höhepunkt", überlegt sie. Im Prinzip verhalten sich die Leute wie auch sonst in Deutschland, so Ntikala. "Die Deutschen sind einsam", will sie als Schwesternschülerin im Krankenhaus festgestellt haben. Sie selbst kenne kaum einen ihrer Münchner Nachbarn, von den Nachbarn im Kongo dagegen jeden.

Inzwischen singt der Pastor die Einleitungsworte zum Abendmahl.

Die Leute bilden einen Kreis um den Altar. Ntikala bleibt in der Bank, obwohl sie diesen Moment am schönsten im ganzen Gottesdienst findet. Sie sieht, wie die Leute eng beieinander stehen. Wie ein Herr eine ältere Dame stützt, als sie die Stufe zum Altarraum nimmt. Wie eine Dame einem Ehepaar Platz macht, damit es auch vorne stehen kann. Die Dame lächelt. Auch für Christian Kranjcic ist das Abendmahl der Höhepunkt des Gottesdienstes. Kranjcic hält schweigend die Hände vorm Schoß gefaltet und hebt sie nur, um Hostie und Abendmahlskelch entgegenzunehmen.

Der afrikanische Gottesdienst beginnt am Sonntagnachmittag um zwei.

Kurz vorher tragen afrikanische Kinder Trommeln in die Christuskirche. Am Altar entwirren zwei Männer Kabel. "Die Leute sagen, wir Afrikaner seien laut", sagt Prediger "Beelo" Elondao, während er seine Bassgitarre an den Verstärker anschließt. "Aber Gott ist es, der das von uns verlangt. Sehen Sie? Der 150. Psalm!" Er legt sein Instrument weg, blättert in einer abgegriffenen, französischen Bibel und drückt seinen Zeigefinger auf eine Seite: "Da steht: ,Lobt ihn mit Posaunen' ­ na ja, die kann bei uns keiner spielen. Und: ,Mit Psalter und Harfen', das sind bei uns die Gitarren, ,mit Pauken'", er zeigt auf ein Schlagzeug, "und ,mit Tanz', damit tun sich unsere europäischen Freunde schwer. Das ist der Unterschied."

Pastor Beelo hat die Gemeinde vor über zehn Jahren im Asylbewerberheim gegründet. Von dort zog die Gemeinde in eine lutherische Kirche in München-Giesing, wo der Küster den Zustand der Räume nach den Versammlungen der Afrikaner beklagte. Pastor Beelo glaubt, der wahre Grund des Streites sei die Hautfarbe gewesen. In der Kirche in München-Schwabing beschwerten sich Nachbarn über die Ruhestörung. Hier, in der Neuhausener Christuskirche, seien die Nachbarn weit entfernt, hier werde es keine Probleme geben, meint Pastor Beelo.

Hat der Gottesdienst schon begonnen?

Gisèle Ntikala ist noch nicht da, Christian Kranjcic steht unschlüssig im Mittelgang. In einem Vorraum laufen sechs Männer auf und ab, halten die Handflächen vors Gesicht und reden laut durcheinander: "Du bist ein großer Gott, ein starker Gott, ein mächtiger König, du hast die Welt erschaffen und die ganze Schöpfung in all ihrer Schönheit, die Tiere, die Pflanzen, die Bäume, die Obstbäume, die vielen leckeren Früchte, alles, was du den Menschen zu essen gibst, und den Tieren, Herr, du bist groß und mächtig, du hast alles erschaffen", redet einer im schwarzen Ledermantel, rasend schnell auf Französisch. Er starrt in die Ferne. Betet er sich in Trance? "Sie bereiten sich auf den Gottesdienst vor", erklärt eine abseits stehende Afrikanerin.

Kurz nach zwei trifft Gisèle Ntikala im leuchtend blauen Kleid ein.

Noch testet der Prediger die Mikrophone. Christian Kranjcic setzt sich in eine hintere Bank. Auf Wunsch des Predigers gesellt sich ein junger Übersetzer dazu. Hier spricht man Französisch und Lingala, die Sprache des Kongo.

Aus dem Geplänkel der Gitarren beim Soundcheck entsteht ein Lied. Die Bänke füllen sich. Im Mittelgang patrouilliert eine Aufseherin mit Dienstabzeichen, "Protokoll" steht drauf. Die Gottesdienstbesucher stellen sich in die Bankreihen, singen laut "Es gibt keinen Gott als Jesus" und wippen hin und her. Auch Kranjcic steht, er blickt verunsichert umher. "Als würde man sich in der Disco eintanzen", merkt er an. Der Übersetzer versucht wiederzugeben, was die Sänger mehrstimmig ins Mikrophon rufen: "Gott hat den Menschen erschaffen. Er ist am Kreuz gestorben, weil er ein lieber Vater ist. Er hat unsere Sünde abgewaschen. Wir sind sauber in Christus." Der Gesang geht ins Gebet über. Kranjcic setzt sich. Der Übersetzer übersetzt ununterbrochen. "Meine Familie ist weg, meine Kinder sind verloren, aber du bist mein Gott und ich bin dein Kind." Geduldig lauscht Kranjcic seinen Worten. Es fehlt ihm im Gottesdienst an Struktur. An einer Struktur, die ihm die Sicherheit gibt, sich angemessen zu verhalten.

Ein junger Mann mit Lederschlips läuft im Mittelgang auf und ab.

Er hebt seine Hände flehend hoch und betet laut. Schräg hinter Kranjcic hat sich eine Frau postiert, eingehüllt in eine Decke mit der Aufschrift "Louis Vuitton, Paris". Auch sie betet laut. Die Musik klingt allmählich aus, die Leute beten weiter, eine drei viertel Stunde lang. Dann redet jemand vorne ins Mikrophon. Immer lauter, immer aufgewühlter spricht er. Eine Frau mit Rastazöpfen schüttelt eine Rassel, ein Mann pfeift ohrenbetäu-bend laut auf den Zähnen dazwischen. "Das ist Jubel zur Begrüßung von Gott", sagt der Übersetzer und lacht. "Eine deutlich andere Herangehensweise", kommentiert Kranjcic vergnügt. Ein bisschen fühlt er sich auch mitgerissen. "Gute Stimmung", sagt er anerkennend, "Party!"

Nun tritt ein Gastprediger aus dem Kongo ans Mikrophon.

"Gott ist dein größter Schatz", brüllt er. Die Versammelten jubeln und applaudieren, auch Gisèle Ntikala ist aufgesprungen und johlt. Der Prediger erzählt Bibelgeschichten. Von der Blindenheilung. Vom kleinen Zachäus, der Jesus vom Baum aus sieht. Die Bibel zitiert er auswendig. Seine Zuhörer blättern eifrig in ihren Bibeln. "Einen guten Prediger erkennt man auch daran, dass alle Bibelzitate stimmen", sagt der Übersetzer. Und dann übersetzt er die Worte des Predigers. "Wenn du aus Afrika kommst, und du kriegst kein Visum, dann hält dich Gott in seiner Hand. Er führt dich, wie er das Volk Israel aus Ägypten führte. Es brauchte nur zu glauben. Wenn ihr Gott um etwas bittet, wird er es geben, Matthäus sieben, Vers sieben. Wenn jemand sagt, Gott gibt ganz schnell, ist er ein falscher Prophet. Wenn Gott sagt, er gibt, muss man Geduld haben. Abraham wartete 25 Jahre auf sein Kind." 55 Minuten redet der Mann, gegen Ende wirft Kranjcic einen verstohlenen Blick auf die Uhr. "Vielleicht ist die Ausdrucksweise blumiger als bei uns", denkt er. "Die Wörter auf Lingala lösen etwas anderes aus als in ihrer deutschen Übersetzung", sagt Ntikala.

Inzwischen spielt die Band, die Gemeinde tanzt, johlt und pfeift.

Einige Frauen lassen vor dem Prediger die Hüften kreisen. Ein Mann mit rot-weiß kariertem Hemd läuft mit riesiger Videokamera durch die Reihen. Zum Schluss spricht der Generalsekretär. "Es dauert nicht mehr lange, höchstens dreißig, vierzig Minuten", sagt der Übersetzer. Viel hat der Generalsekretär zwar nicht mitzuteilen, aber er holt weit aus. Wie man das Schlagzeug schonend transportiert. Und wie man dem Gastprediger finanziell helfen könne.

Einige Gottesdienstelemente hat Kranjcic wieder erkannt: Lieder, Predigt, Kollekte, Abkündigungen, Gebet. Eigentlich fehlten nur Glaubensbekenntnis und Vaterunser. Und noch etwas ist anders bei den Afrikanern: Es waren keine alten Menschen da, bemerkt Kranjcic. "Die ältesten waren vielleicht Mitte vierzig."

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