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Warum reden Christen so viel vom Opfer?
"Wer ein Schaf opfert, ist wie einer, der einem Hund den Hals bräche", schimpft ein biblischer Prophet: Gott fordere gar kein Leben!
Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff
07.10.2010

Sie stießen Wehrlose von der Klippe, ertränkten sie im Moor oder zerschnitten sie auf dem Altar. Menschenopfer gab es überall. Bei Germanen, Kelten, Mittelmeervölkern, Chinesen, Azteken, Inkas, selbst auf Hawaii lassen sich Menschenopfer in früherer Zeit nachweisen. Noch Theodor Storm erzählt in der Novelle "Der Schimmelreiter", wie die Dorfbewohner vom Deichgrafen verlangen: "Soll Euer Deich sich halten, so muß was Lebiges hinein" - am besten ein Kind.

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Burkhard Weitz

Burkhard Weitz war als chrismon-Redakteur bis Oktober 2022 verantwortlich für die Aboausgabe chrismon plus. Er studierte Theologie und Religionswissenschaften in Bielefeld, Hamburg, Amsterdam (Niederlande) und Philadelphia (USA). Über eine freie Mitarbeit kam er zum "Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt" und war mehrfach auf Recherchen in den USA, im Nahen Osten und in Westafrika. Seit November 2022 betreut er als ordinierter Pfarrer eine Gemeinde in Offenbach.

Jahrtausendelang wurden Unschuldige getötet, um Schuld zu sühnen, Ahnen zu nähren oder Götter günstig zu stimmen. Priester demonstrierten so ihre Macht über Leben und Tod. Manchmal galt das Menschenopfer als Verzicht, als Bereitschaft, Liebgewonnenes im Tausch gegen Glück und Gelingen herzugeben.

Wohl als erstes Volk des antiken Orients verbot Israel den Brauch, Kinder dem Gott Moloch zu opfern (3. Mose 18,21). Und die Geschichte von Abraham und Isaak? In ihrer Entstehungszeit hat man sie leichter so verstehen können, wie sie wohl gemeint war: als die eines Gottes, der sich von dem barbarischen Brauch abwendet (1. Mose 22). Bis heute erinnern Juden und Muslime an das Menschenopferverbot mit Symbolhandlungen. Jeder jüdische Vater muss seinen erstgeborenen Sohn 30 Tage nach der Geburt beim Priester auslösen, ihn von der Opferpflicht "freikaufen" (2. Mose 13,13). Muslime schlachten zum Opferfest Schafe, wie auch Abraham anstelle seines Sohnes einen Widder tötete.

Verlangte Gott das Sühnopfer am Kreuz? Keine Rede davon in der Bibel!

Einige biblische Propheten lehnten jedes Opfer ab. "Wer einen Ochsen schlachtet, ist wie einer, der einen Mann erschlüge; wer ein Schaf opfert, ist wie einer, der einem Hund den Hals bräche", schrieb der Prophet im letzten Kapitel des Jesajabuches. Christen ächten das physische Opfer. "Dankbare Lieder sind Weihrauch und Widder, an welchen er (Gott) sich am meisten ergötzt", dichtete der barocke lutherische Pastor Paul Gerhardt. Christen sollen singen, nicht töten. Ein Opfer erbringt auch, wer auf etwas verzichtet. "Dankopfer" nennt man die Geldspende.

Wie aber passt die Lehre vom Sühnopfer Jesu dazu? Bis heute prägt die Lehre des mittelalterlichen Theologen Anselm von Canterbury unser Verständnis der Bibel: Die Menschen hätten mit ihrer Sünde Gottes Majestät beleidigt, schrieb er. Gott habe Grund, die Menschheit ganz zu vernichten. Doch Jesus habe Gottes Zorn durch sein Opfer am Kreuz versöhnt. Er habe Satisfaktion geleistet.

Nur: So steht es in der Bibel nicht. Für Jesu Jünger war dessen letzter Gang nach Golgatha zwar sehr wohl ein Selbstopfer. "Niemand hat größere Liebe als die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde", soll Jesus kurz vor seinem Tod gesagt haben (Johannes 15,13). Aber es war ein ethisches Opfer, ein Akt der Selbstentsagung, kein kultisches Opfer für einen günstig zu stimmenden Gott.

Jesu Selbstopfer - ein Lösegeld für die Versklavten

Jesus sei "für uns" gestorben, heißt es im Neuen Testament, also zum Guten auch der später Geborenen. Im Neuen Testament gibt es dazu sehr unterschiedliche Erklärungen, stets verbunden mit einer Konsequenz für eigenes Handeln.

Jesus habe eine zu Unrecht verhängte Strafe klaglos getragen. Folglich sollten Sklaven duldsam sein, meint etwa der Autor des 1. Petrusbriefs (2,22-25). Der Autor des Hebräerbriefs vergleicht Jesu Tod mit der kultischen Opferpraxis: Die sei nur ein Schattenbild des wahren Selbstopfers Jesu. Daher seien Tieropfer im Tempel nun überflüssig (Hebräer 9). Und Paulus schreibt an die Römer (6,19-23): Jesus habe der widergöttlichen Sündenmacht eine Art Lösegeld bezahlt, um die versklavte Menschheit freizukaufen. In der Antike sah man darin die Aufforderung, selbst Sklaven freizukaufen.

Christen haben Jesu Selbstopfer stets auch als Vorbild für eigenes Handeln interpretiert. Zum Beispiel der katholische Pater Maximilian Kolbe. Er war in Auschwitz inhaftiert. Am 29. Juli 1941 wurden zehn Lagerinsassen zum Hungertod ausgewählt, eine absurde Strafe für die angebliche Flucht eines Häftlings. Kolbe meldete sich freiwillig - stellvertretend für einen Familienvater. Zwei Wochen überlebte er in der Hungerzelle. Dann töteten ihn SS-Schergen mit einer Giftspritze.

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