Auf ethische Mindesstandards achteten die Kirchen schon immer, wenn sie ihre Rücklagen einer Bank anvertrauten. Nun steigt ihr Interesse an nachhaltigen Geldanlagen. Und an der Frage: Wie bringt man als Aktionär ein Unternehmen dazu, sich an Regeln zu halten?
Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff
07.10.2010

1993 - wussten die das wirklich schon 1993? "Ja", bekräftigt Antje Schneeweiß, "ich habe es für unsere Studie extra noch mal nachgeschlagen." 15 Jahre vor Ausbruch der Bankenkrise hatte ein Zusammenschluss kirchlicher Investoren in den USA die Bankvorstände von Washington Mutual, Wells Fargo, JP Morgan Chase und der Citigroup vor faulen Hypothekenkrediten gewarnt. Hätten die Banker 1993 die Bedenken ihrer kirchlichen Anteilseigner ernst genommen und ihre Kreditvergabe überdacht, wären sie 2008 vermutlich nicht in diese Finanzkrise gestürzt.

Anders als die Spezialisten aus den Finanzagenturen hatten die kirchlichen Experten vom Interfaith Center on Corporate Responsibility (ICCR) die Risiken der faulen Kredite frühzeitig erkannt. Denn sie hatten den besseren Kontakt zur Basis. Pastoren und Sozialarbeiter hatten von Häuslebauern berichtet, die ihren Hypothekenzins nicht abbezahlen konnten. Von Bankkunden, die durch Lockangebote in ausweglose Situationen geraten waren. Sie baten den ICCR, die Geldinstitute aufzufordern, von ihrer zweifelhaften Kreditvergabepraxis Abstand zu nehmen.

Auch in Deutschland interessieren sich kirchliche Finanzreferenten dafür, wie man als Aktionär von seinem Stimmrecht besser Gebrauch machen kann. Wie man Einspruch erheben kann, wenn die Umweltstandards nicht eingehalten werden oder die Zulieferer die Menschenrechte missachten. Ihre Kirchen verfügen schließlich über einiges Aktienvermögen. Und seit dem Bankencrash gelten sozial und ökologisch nachhaltige Anlagen sogar als die solideren. Solider jedenfalls als diejenigen, bei denen allein die Gier nach möglichst hoher Rendite zählt.

Ein ethischer Investor brachte Premier Oil davon ab, in eine Diktatur zu investieren

Antje Schneeweiß ist Mitarbeiterin bei Südwind, einem entwicklungspolitischen ökumenischen Forschungsinstitut. Dort hilft sie kirchlichen Investoren, ihr Geld ethisch vertretbar anzulegen. Sie macht Menschenrechtsverletzungen und Verstöße gegen das Arbeitsrecht bei Aldi-Zulieferbetrieben publik. Auf Workshops empfiehlt sie Ratingagenturen, Unternehmen nach ihrem entwicklungspolitischen Engagement zu bewerten.

Davon, dass die Kirchen schon früh vor faulen Krediten warnten, berichtet sie in einer Machbarkeitsstudie über "Aktives Aktionärstum". Darin erwähnt sie auch "ethische" Investoren, die sich erfolgreich gegen Vorstände durchgesetzt haben. Den britischen Vermögensverwalter Hermes zum Beispiel, der Premier Oil davon abbrachte, in Myanmar (Burma) nach Öl zu bohren - die Militärjunta des Landes missachtet die Menschenrechte.

Die Ethical Investment Advisory Group der Church of England will erreichen, dass heimische Bauern faire Preise für ihre Produkte bekommen. "Fairer Handel fängt zu Hause an" heißt eine Kampagne der Anglikaner. Immerhin haben sie erreicht, dass die Händler die Zwangslage der Bauern nicht mehr generell abstreiten.

"Um die Unternehmenspolitik zu beeinflussen, brauchen große Aktionäre meist nicht viel Öffentlichkeit", sagt Schneeweiß. Meist reiche es, wenn große Investoren regelmäßig das Gespräch mit Vorständen suchen und zum Beispiel auf Kinderarbeit bei Zulieferern hinweisen. Viele Unternehmen wollen einfach nicht, dass ihre Kunden sie damit in Verbindung bringen.

"Glücksspiel kam noch nie in Frage"

Die Kirchen in den USA und England nehmen ihre Rechte als Aktionäre schon lange wahr. In Deutschland stehen sie damit noch am Anfang. Hierzulande ist ethisches Investment insgesamt noch ein Nischenmarkt. Nur 0,3 Prozent aller Fonds in Deutschland sind Nachhaltigkeitsfonds, europaweit liegt ihr Anteil schon bei vier Prozent. Doch je mehr die Landeskirchen ihr Geld nach ethischen Kriterien anlegen, desto stärker wird ihnen auch ihre Verantwortung als Aktionäre bewusst - eine Verantwortung, die sie umso besser wahrnehmen können, je besser sie sich untereinander abstimmen.

Schon jetzt sind es europaweit die Religionsgemeinschaften und Hilfswerke, die am stärksten nachhaltige Geldanlagen nachfragen - mehr als das Pensionsfonds, Stiftungen und Nichtregierungsorganisationen tun. Doch stärker wäre ihre Marktmacht, wenn sie ihre Interessen gemeinsam vertreten lassen würden.

Wie groß das Vermögen aller evangelischen Landeskirchen zusammen ist? "Das meiste Geld, das die Kirche hat, gibt sie gleich wieder aus", erklärt Thomas Begrich. Er leitet die Finanzabteilung der Evangelischen Kirche in Deutschland. Rund 20 bis 25 Milliarden Euro verbrauchen die in der EKD organisierten Mitgliedskirchen und ihre Diakonien jährlich für Gehälter, Gebäude und Dienstleistungen. Die Überweisungen laufen meist über Kirchenbanken. Über die Evangelische Kreditgenossenschaft in Kassel zum Beispiel oder über die Bank für Kirche und Diakonie in Dortmund.

Weitere 15 Milliarden Euro werden als langfristiges Vermögen vorgehalten, um der Verpflichtung zur Altersversorgung nachzukommen, und als eiserne Reserven. Dieses Vermögen darf auf keinen Fall an den Börsen verloren gehen. Trotzdem muss es vermehrt werden. Denn die Lebenshaltungskosten steigen und mit ihnen die Pensionen. Die Kirchen müssen diese Rücklagen also möglichst sicher und zu einem guten Zinssatz anlegen damit das Vermögen in Wirklichkeit nicht weniger wird.

Anfangs mit Ethikfonds viel Geld verloren

"Die Geldanlage darf nicht im Widerspruch zum kirchlichen Auftrag stehen", so lautet einer von Begrichs Merksätzen, die er immer wieder in das Gespräch einstreut. "Unternehmen, die etwas mit Glücksspiel, Alkohol, Tabak, Pornografie oder Rüstung zu tun haben, kamen für kirchliche Vermögensanlagen noch nie infrage", betont Begrich. Auch Staatsanleihen aus China seien tabu - wegen der Menschenrechtslage. Sogar die aus den USA - wegen der Todesstrafe. "Die Kirchen haben ihr Geld schon immer ethisch verantwortlich investiert."

Die meisten kirchlichen Rücklagen sind mit sehr geringem Risiko angelegt. Zum Beispiel in festverzinslichen Staatsanleihen, oder auch bei Banken und großen Unternehmen. Nur ein geringer Anteil dürfe überhaupt in Aktien angelegt werden, sagt Begrich: von den Rücklagen der EKD sind es gerade mal zwei Prozent.

Doch wenn sich Begrich mit den kirchlichen Vermögensverwaltern der Landeskirchen und Landesdiakonien absprechen würde, könnten sie gemeinsam wie ein Großaktionär auftreten.

Allein zwei Prozent von 15 Milliarden wären 300 Millionen Euro. Für einen Fonds nicht sehr viel, für einen Einzelaktionär aber schon.

Seit Anfang der neunziger Jahre haben sich immer wieder katholische Initiativen und finanzstarke evangelische Landeskirchen mit Kirchenbanken zusammengetan, um ihr Geld möglichst gezielt ethisch und nachhaltig investieren zu können. Vor allem unierte Landeskirchen preschten voran, das sind unter den Evangelischen diejenigen, in denen sich Reformierte und Lutheraner im 19. Jahrhundert zusammengeschlossen haben: Rheinland, Westfalen, Hessen und Nassau sowie Baden.

Der Start missglückte und ließ manchen Finanzreferenten daran zweifeln, ob Ethik- und Nachhaltigkeitsfonds überhaupt das Richtige seien. 1992 zahlten die rheinische und die westfälische Landeskirche zusammen mit der Bank für Kirche und Diakonie in einen Ökofonds ein. "Sie verloren viel Geld", sagt Antje Schneeweiß. "Es waren zu viele kleine Unternehmen im Fonds. Deren Kurse schwanken stark."

Halten die Zulieferer von Hewlett-Packard arbeitsrechtliche Standards ein?

Bessere Erfahrungen mit ethischen Geldanlagen will der Frankfurter katholische Moraltheologe Johannes Hoffmann gesammelt haben. 1997 entwarf er den "Hohenheimer Leitfaden" mit Kriterien für die ethisch-ökologische Bewertung von Unternehmen. 37 Ordensgemeinschaften stellten Ersparnisse für eine Pilotstudie. Im Krisenjahr 2001 präsentierte Hoffmann das Ergebnis. "Die Unternehmen, die im (ethisch-ökologischen) Rating überdurchschnittlich bewertet wurden, schnitten hinsichtlich ihrer Rendite deutlich besser ab", schrieb er.

2001 beteiligte sich die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau an einem Fonds aller katholischen und evangelischen Kirchenbanken. Die Ausschlusskriterien waren nicht unbedingt neu: Alkohol, Tabak, Glücksspiel und Rüstung. Im Ansatz gut, sagt Antje Schneeweiß. Aber sie ist skeptisch, wie weit die ethischen Kriterien dieses Fonds reichen. "Die Computerfirma Hewlett-Packard ist drin. Da würde ich noch einmal genau hinschauen, ob deren Zulieferer in Südostasien auch arbeitsrechtliche Standards einhalten."

Zwei Landeskirchen erproben sich inzwischen sogar als aktive Aktionäre. Die badische und die hessen-nassauische Kirche lassen sich - zusammen mit zwei Versorgungskassen in Darmstadt dabei vom englischen Vermögensverwalter F&C vertreten. Wenn Heinz Thomas Striegler, der für Finanzen zuständige Oberkirchenrat aus Hessen und Nassau, Hinweise auf bedenkliche Vorhaben der im Fonds gelisteten Unternehmen bekommt, geht er ihnen nach.

Jüngstes Beispiel: In einer erdbebengefährdeten Gegend Osteuropas will sich ein großer Energieversorger am Bau eines Atommeilers nach russischen Standards beteiligen. "Ich habe F&C gebeten, dem Konzern mitzuteilen, dass wir als kirchliche Anleger nicht dahinterstehen", sagt Striegler. F&C trägt das Bedenken dem Unternehmensvorstand vor. Reagiert der nicht, setzen die kirchlichen Investoren das Unternehmen auf die Negativliste und stoßen Anteile ab.

"Schon wieder obenauf"

Nun leitet Striegler einen Arbeitskreis, der das ethische Investment möglichst vieler EKD-Kirchen, Kirchenbanken und kirchlicher Versorgungskassen bündeln soll. Die Aufgabe ist nicht leicht. Striegler muss unterschiedliche Akteure zusammenbringen. Kirchen mit Kreditinstituten. Und Landeskirchen, die zentral entscheiden, mit anderen, in denen Kirchenkreise selbstständig ihr Vermögen verwalten.

Und sein Arbeitskreis muss viele offene Fragen klären. Was gehört auf die Negativliste- auch Unternehmen, die etwas mit Atomenergie zu tun haben? Geklärt werden muss außerdem, ob ein Vermögensverwalter die Kirchen gegenüber den Unternehmen vertritt - und wenn ja, welcher? Welche Entscheidungskriterien soll man dem dann für seine Gespräche mit Vorständen mit auf den Weg geben? Und sollen die Kirchen einen eigenen Verband gründen, der ihre Interessen bündelt? Sollen sie auch eine Positivliste von Unternehmen erstellen, die besondere Förderung verdienen?

Eines steht für Striegler jetzt schon fest: Ethisches Investment zahlt sich aus. "Nur eine nachhaltige Bewirtschaftung sichert einen nachhaltigen Ertrag" - das sei ein Gebot der ökonomischen Vernunft. "Auf lange Sicht handeln nur die Unternehmen ökonomisch sinnvoll, die die Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO akzeptieren." Also Unternehmen, die keine Diskriminierung, keine Zwangs- und Kinderarbeit dulden, in denen Gewerkschaften zugelassen sind und Mitarbeiter Versammlungen einberufen dürfen. Davon profitieren letztlich auch die Anleger: die kirchlichen Investoren.

Erwirtschaften Nachhaltigkeitsfonds wirklich bessere Erträge?

"Das hängt stark vom Fondsmanager ab, und zwar unterschiedslos bei allen Fonds", sagt Antje Schneeweiß. "Mich bestärkt aber, dass die dunkelgrünen Fonds, also die mit den ganz strengen Nachhaltigkeitskriterien, lange Zeit überdurchschnittlich gut abgeschnitten haben. Klar, die sind kürzlich auch eingebrochen, wie alle. Aber ich sehe gerade: Jetzt liegen einige schon wieder etwas über dem Schnitt."

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