Einfach ausbrechen, das schien eine gute Idee!
Jetzt ist sie wieder da. Und endlich zufrieden
Tim Wegner
07.10.2010

Dass du dich so was traust, sagten meine Freundinnen auf der Abschiedsparty. Mein Gott, was du alles aufgibst! Sicherheit, das war für einige von ihnen ganz wichtig. Aber ich habe ja nur meine Arbeit aufgegeben. Ich hatte keine Angst, im Gegenteil, ich konnte es kaum erwarten, wegzukommen.

Ich habe mich in Köln so gelangweilt

Ich habe mich in Köln so gelangweilt - mein Job war nett, aber inhaltlich auf Dauer nicht herausfordernd. Weil ich für meine Tochter Eva keine Ganztagsbetreuung fand, konnte ich nur Teilzeit arbeiten. In meinem Beruf als Redakteurin aber gab es keine Teilzeitstelle, also nahm ich eine Stelle als Sekretärin an.

Dann nahte mein 40. Geburtstag, und ich dachte: Das kann es doch nicht gewesen sein! Ich wollte noch was ausprobieren im Leben. Ein kleines, wohldosiertes Abenteuer. Eva hatte noch ein Jahr bis zum Schulbeginn, sie war damals fünf. Warum nicht einfach ausbrechen? Es schien die letzte Chance zu sein.

Warum nicht einfach ausbrechen?

Mein Onkel besitzt ein Hotel in Mexiko, in einem Fischerdorf am Pazifik. Ein paar Monate zuvor hatte ich dort Urlaub gemacht. Und mich in einen Mexikaner verliebt. Das brachte die Idee ins Rollen. Jetzt brauchten sie im Hotel jemanden fürs Management, für die Homepage, für Verhandlungen mit den Reiseveranstaltern. Kost und Logis waren frei.

Meine Tochter fand über den Kindergarten schnell Anschluss, lernte die Sprache, war viel freier als in Köln. Und ich lernte über Eva andere Mütter kennen. Ich fühlte mich selbstbestimmt. Schwerelos. Ich sah Wale im offenen Meer, von einem Fischerboot aus. Was für eine Kraft diese Tiere haben! Bei diesem Erlebnis empfand ich eine unglaubliche Freiheit und dachte: eine gute Idee, Köln zu verlassen.

Natürlich war nicht alles gut dort. Ich hatte Heimweh nach meinen Freundinnen. Die Hitze war manchmal unerträglich. In dem Bundesstaat, in dem ich wohnte, kam es zu Unruhen, es gab Tote und Verletzte; die Schulen wurden geschlossen. Außerdem scheiterte die Beziehung mit meinem Freund. Er war sehr eifersüchtig, ich konnte nicht mal mit einer Bekannten in die Kneipe gehen. Seine Familie ignorierte mich. Ich überlegte hin und her, meldete meine Tochter sogar noch zur Schule an. Und dann fragte ich sie einfach: Eva, wo willst du lieber leben? Sie sagte: Ich mag Mexiko, aber Köln ist meine Heimat!

Ich mag Mexiko, aber Köln ist meine Heimat!

Ein halbes Jahr nach meinem Aufbruch waren wir wieder zurück. Ich hatte befürchtet, dass mich alle auslachen. Aber sie fragten nur ohne Ende: Na, hat's nicht geklappt? Hat's dir nicht gefallen? Doch, mir hatte es wahnsinnig gut gefallen. Ich hatte den Eindruck, dass einige ihre eigenen Träume in mich hineinprojiziert hatten und dass ich mich nun dafür rechtfertigen musste, dass ich ihre Träume nicht erfüllt habe.

Glücklicherweise hatte ich meine Wohnung erst mal nur befristet vermietet und die Möbel eingelagert. Als Mutter kann ich schließlich nicht das volle Risiko eingehen. Jetzt stehen die Möbel da, wo sie auch vorher standen. Als wären wir nie weg gewesen.

Aber innerlich hat sich schon was geändert: Ich weiß jetzt, dass man ein einfaches Leben führen und trotzdem zufrieden sein kann. Ich komme mit wenig Geld zurecht, brauche keine schnieke Einbauküche oder jeden Monat neue Schuhe. Mir gefiel, dass die Mexikaner, die ich kennenlernte, nicht so viel Angst haben: Hui, eine Rentenlücke. Keine Hausratversicherung - ganz schlimm. Das möchte ich mir bewahren, nicht mehr so ängstlich zu sein.

Sicher, ich bin wieder im gleichen Rädchen, in dem ich vorher auch war. Arbeiten, Kinderbetreuung organisieren und so weiter. Aber jetzt weiß ich: Sekretärinnenjob? Mach ich nicht. Ich kann mehr als das. Nach meiner Rückkehr war ich arbeitslos - aber es hat sich gefügt, dass ich vom Arbeitsamt eine Weiterbildung zur Referentin für Öffentlichkeitsarbeit bekam; ich fand eine gute, eine herausfordernde Arbeit, die ich demnächst sogar auf Teilzeit reduzieren kann. Dann habe ich wieder genug Zeit für Eva, Zeit für mich selbst. Ich werde mehr lesen. Und endlich richtig Spanisch lernen.

Protokoll: Mareike Fallet

Neuen Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.

Plain text

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
Wählen Sie bitte aus den Symbolen die/den/das Roller aus.
Mit dieser Aufforderung versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt.