Und was machen Bischöfe sonst noch? Hans-Christian Knuth und Jan Janssen - ein langgedienter und ein neuer im Gespräch
Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff
07.10.2010

chrismon: Wozu brauchen wir Bischöfe?

Hans Christian Knuth: Sie sind für die evangelische Kirche nicht unbedingt notwendig. Katholiken und Anglikaner sehen das anders. Sie meinen, ihre Kirche leite sich direkt von den Aposteln ab, weil es eine ununterbrochene Kette von Handauflegungen bei den Bischofsweihen seit der Urkirche gebe. Für uns ist entscheidend, dass unsere Botschaft mit der der Apostel übereinstimmt. Dennoch sind Bischöfe ein gutes Symbol der Kontinuität, und deswegen sollten wir das Amt nicht verachten.

Jan Janssen: Die Aufgabe eines Bischofs ist kaum anders als die der Pastoren: Verkündigung und Seelsorge. Auch Bischöfe sollen wahrnehmen und begleiten. In unserer oldenburgischen Kirchenordnung stehen bei der Beschreibung des Amtes die biblischen Bilder des Hirten und des Wächters. Wo viele Pastoren einer Region ihre Interessen wahrnehmen wollen, ist es gut, wenn einer moderiert, Fragen von außen beantwortet und Impulse gibt.

Knuth: Ja, als Bischof bin ich Seelsorger der Pastoren. Bei uns in der nordelbischen Landeskirche müssen verheiratete Pfarrer zum Beispiel bei einer Trennung das Gespräch mit dem Bischof suchen. Das geht nicht ans Personaldezernat im Kirchenamt. Wenn der Pastor sagt: "Ich habe mich unsterblich in meine Kirchenmusikerin verliebt. Ich kann nicht länger auf dieser Stelle bleiben, helfen Sie mir beim Wechsel?", dann weiß ich als Seelsorger den Grund. Als Bischof sage ich dem Kirchenamt nur: Der Pastor will sich verändern. Es gibt leider auch unverfrorene Vertreter unseres Standes, die nach der dritten Scheidung so argumentieren: "Herr Bischof, Sie haben ja auch bei den vergangenen Malen nichts dagegen gehabt." In solchen Fällen wurde dann mein seelsorgliches Einfühlungsvermögen empfindlich auf die Probe gestellt.

chrismon: Ist das klassische Pfarrhaus Vergangenheit?

Janssen: Nein. Ich bin in einem sehr offenen Pfarrhaus aufgewachsen, und es ist gut für die Gemeinden, wenn christliches Leben dort anschaulich wird. Dazu gehört, dass der Pfarrer seinen Beruf nicht nur als Job versteht. Andererseits darf diese Anschaulichkeit christlichen Lebens nicht nur an das Pfarrhaus delegiert werden, nach dem Motto: Die sollen dort ein christliches Leben für uns alle führen, wenigstens dort soll heile Welt sein.

chrismon: Sehen Sie Ihre Familien als Vorbilder christlicher Lebensführung?

Knuth: Mein Sohn hat mir mal vorgehalten: Du redest schön über den Advent, und in den letzten Jahren bis du kein einziges Mal an einem Adventssonntag zu Hause gewesen. Das war alles andere als vorbildlich von mir. Unsere Vorbildlichkeit liegt darin, dass man nicht von der Perfektion lebt, ethisch oder familiär, sondern von der Vergebung. Und dass man der Gemeinde zeigt: Bei uns gibt es Konflikte, Krach und Streit wie bei euch. Diese etwas paradoxe Art von Vorbildlichkeit, dass man mit allen normalen Problemen zusammenlebt, das halte ich nach wie vor für wichtig. Janssen: Was heißt aber Vorbild? Es wäre viel wert, wenn auch der Bischof und seine Familie halbwegs normal leben dürften. Wir haben kleine Kinder, bemühen uns um deren Erziehung nicht erst in Zeiten der Pubertät. Da können richtige Krisen die Familien erschüttern. Es ist doch gut, wenn Gemeinden merken, dass man diese Krisen kennt und durchsteht.

chrismon: Bischof Knuth, ein Kandidat für Ihre Nachfolge war schwul. Hätte seine Wahl die Kirche gespalten?

Knuth: Nein. Es hätte aber Auswirkungen auf die Ökumene gehabt. Wir haben bei der Vollversammlung des lutherischen Weltbundes in Kanada heftig über die Segnung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften debattiert. Insofern wäre es naiv zu sagen, dass das kein Problem ist. Auch in ländlichen Gegenden ist es ein Problem, wenn ein homosexuelles Paar im Pastorat lebt. Bei uns müssen Propst und Kirchenvorstand mitentscheiden, ob sie es zulassen oder nicht. Aber es gibt kein automatisches Veto mehr. Janssen: Natürlich könnte ich mir einen schwulen Bischof oder eine lesbische Bischöfin in Deutschland vorstellen. Aber es geht ja nicht bloß darum, Rechte durchzusetzen. Es ist genauso wichtig, dass ein Pfarrer oder ein Bischof im Amt von der Gemeinde getragen werden.

chrismon: Sollen Protestanten auf Orthodoxe und Katholiken Rücksicht nehmen, die davon nichts halten?

Janssen: Ökumene heißt nicht nur, nach Rom und Moskau zu blicken, sondern auch zu denen hier bei uns, die den Kontakt zur Kirche verloren haben, die suchen und anklopfen. Für die müssen wir auch da sein.

chrismon: In der Ökumene ist das Klima getrübt, unter anderem wegen der westlichen Liberalität in Sachen Homosexualität und der Frauenordination ...

Knuth: Auch wenn immer behauptet wird, die Kirche sei eine moralische Anstalt: Nicht die Ethik ist Fundament der Kirchengemeinschaft, sondern das Evangelium. Ethischen Pluralismus gibt es innerhalb von Landeskirchen und innerhalb der EKD. Der muss auch in der weltweiten Ökumene möglich sein. Das gemeinsame Fundament ist der Glaube an Jesus Christus. Wir glauben an das, was er für uns tut, nicht an das, was wir für ihn tun.

Janssen: In Sachen Frauenordination sollten wir doch endlich weitergehen. In der Ostergeschichte werden die Frauen beauftragt, das Evangelium weiterzutragen. Sie werden als Erste vom auferstandenen Christus angesprochen. Mich ärgert, dass die Frauenordination in der Ökumene als Negativposten unserer Kirche bezeichnet wird. Sie ist ein absolut positives Merkmal. Dafür müssen wir nicht immer wieder neue Argumente zusammentragen, wir sollten das selbstbewusst herausstellen.

chrismon: 2017 ist Reformationsjubiläum, die Lutherdekade wurde gerade eröffnet. 1617 galt Luther als Kirchengründer, 1717 als frommer Aufklärer, 1817 als Nationalheld, 1917 als Retter der Deutschen. Welcher Luther ist nun dran?

Knuth: Der Ausleger der Heiligen Schrift, das ist für mich das Wichtigste.

Janssen: Der beharrliche Neuübersetzer. Beides gehört zur Verkündigung: übersetzen, dann auslegen. Wir müssen sehen, welches Potenzial im reformatorischen Ansatz für unsere Zeit liegt. Wenn wir das nicht täten, würde Luther wahrscheinlich mit dem Kopf schütteln. Man mag über die Bibel in gerechter Sprache streiten, da ist auch manches misslungen. Aber dass man die Bibel neu übersetzt, das hätte Luther auch gewollt.

Knuth: Die Bibel in gerechter Sprache enthält gravierende Fehler. Philologisch ist sie an vielen Stellen inakzeptabel. Ich teile mit den Übersetzern die Absicht, dass wir nicht frauen- oder judenfeindliche Traditionen einfach unreflektiert fortwirken lassen. Deshalb benutze ich die Bibel in gerechter Sprache als Anregung. Aber als Übersetzung für den Gottesdienst finde ich sie ungeeignet. Stellen Sie sich den Konfirmanden vor, der mühsam den 23. Psalm im Luthertext auswendig gelernt hat. Der kommt in den Gottesdienst und hört was anderes. Das ist frustrierend!

Janssen: In der Liturgie gilt eben das gesprochene Wort. Obwohl umstritten, hat auch der Kirchentag bei der Einladung zum Abendmahl im Schlussgottesdienst die Lutherübersetzung verwendet: "Schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist."

chrismon: Es gibt in der evangelischen Kirche einen Prozess der Erneuerung, angestoßen durch das Impulspapier "Kirche der Freiheit". Bischof Knuth, Sie haben protestiert. Wir seien "Kirche Jesu Christi", nicht "Kirche der Freiheit". Wo liegt der Unterschied?

Knuth: Mich stört es, dass heute wieder so ein wässriger Liberalismus hochkommt. Im christlichen Sinn ist Freiheit ja nicht die Freiheit des autonomen Subjekts. Der im Glauben Freie ist vielmehr gleichzeitig gebunden an den Nächsten durch die Nächstenliebe. Deshalb müssen wir immer auch die Quelle der Freiheit benennen, und die heißt Jesus Christus.

Janssen: "Kirche der Freiheit" - was für ein Genitiv ist das eigentlich? Es wäre schön, wenn das Papier den Aspekt der Befreiung oder der befreiten Christenmenschen stärker gemacht hätte.

chrismon: Wie steht es mit der Freiheit, Gemeinde- und Kirchengrenzen für veränderlich zu halten und zum Beispiel aus den niedersächsischen Landeskirchen eine einzige zu machen?

Janssen: Wenn mir jemand beweisen könnte, dass die Zusammenführung der Landeskirchen in den Grenzen der Bundesländer lebendigere Gemeinden schafft, würde ich ernsthafter darüber nachdenken. Die niedersächsischen Landeskirchen sind ja bereits in einer Konföderation rechtlich miteinander verbunden. Außerdem ist die Nähe zu den Gemeinden und Mitarbeitern, die wir als Leitung einer kleinen Kirche haben, ein hohes Gut.

Knuth: Was die im EKD-Impulspapier geforderte Zusammenarbeit von Gemeinden mit verschiedenen Schwerpunkten angeht, habe ich zumindest für Gemeinden auf dem Lande große Bedenken. Bei uns haben viele einen Durchmesser von 30 Kilometern. Da können Sie nicht zu einer älteren Dame sagen: "Altenarbeit ist in der nächsten Gemeinde, hier gibt's nur was für die Jugend."

chrismon: Die Gemeindearbeit soll effektiver werden.

Janssen: Effektivität muss auch Intensität berücksichtigen, nicht nur Mengenangaben. Auch in Oldenburg fassen wir Gemeinden zusammen. Aber wir dürfen nicht nach dem Prinzip Gießkanne vorgehen: bei jedem nur noch gleich viel ausgeben. Oder - schlimmer - nach dem Prinzip Brandrodung: erst mal alles weg. Sondern wir müssen schauen, wo etwas gewachsen ist und wo man etwas unnötig kaputt machen würde. Dennoch: Auch in der klassischen Gemeinde kann man durch Zusammenarbeit viel erreichen. Das fängt beim Kanzeltausch an, der immer noch nicht in allen ländlichen Gemeinden üblich ist. Das alte Motto mancher Kirchengemeinden "Wir haben eine Kirche und einen Pastor, alles andere interessiert uns nicht" genügt nicht mehr.

chrismon: Sind unsere Bischöfe für die Medienwelt gerüstet?

Knuth: Wir haben einige, wie zum Beispiel den Ratsvorsitzenden Bischof Huber, die sich sehr gut im Fernsehen präsentieren.

Janssen: Wir sind ja schon bemüht, die Medien als Instrumente wahrzunehmen für unsere ureigenste Aufgabe, die Verkündigung des Evangeliums. Nur: Wer sitzt schon samstags nach 22 Uhr vorm "Wort zum Sonntag"? Ich glaube, wir müssen uns Frische erhalten und das, was wir mitbringen, auch unter neuen medialen Bedingungen übersetzen.

chrismon: Müssen Bischöfe meinungsstärker zu sein?

Janssen: Mag sein. Wir dürfen aber nicht vergessen, was unsere eigene Stärke ist: nicht nur Botschaften zu verkünden, sondern Dialog zu ermöglichen. Kirchentage haben deshalb das Streitgespräch im Forum als festen Bestandteil.

chrismon: Wie definieren Sie als evangelischer Bischof das Verhältnis von Glauben und Politik?

Knuth: Wir müssen die Gewissen schärfen, damit der Einzelne faire und sachgerechte Entscheidungen treffen kann. Wenn ich einem Kampfpiloten sage: Du musst in Sekundenschnelle entscheiden, ob du ein unbekanntes Flugobjekt abschießt oder nicht, dann muss sein Gewissen so gut geschult sein, dass es ihm in diesem Moment hilft. Dieser Beitrag zur Gewissensbildung ist viel effektiver, als wenn wir kasuistisch festlegen: In diesem Fall musst du schießen, in jenem aber nicht.

Janssen: Einverstanden. Bei uns ist jeder Einzelne befähigt - im Prinzip durch die Taufe, ergänzt durch die Konfirmation - als mündiger Mensch Entscheidungen zu treffen. Ein Fußballtrainer kann auch nicht vom Spielfeldrand aus seinen Spielern sagen, ihr müsst nach links oder nach rechts laufen. Er muss sie vorher befähigt haben, sich in der Situation zu bewegen. Das darf aber nicht dazu führen, dass sich Kirchenvertreter aus politischen Einzelfragen heraushalten. Wenn ein Verteidigungsminister sagt, dass Deutschlands Sicherheit am Hindukusch verteidigt wird, dann muss man genauso sagen: "Deutschlands Kaffee wird in Bolivien geerntet." Wir sind noch viel mehr als gedacht verflochten mit dem, was in anderen Teilen der Erde geschieht.

chrismon: Bischof Knuth, seit 1991 sind Sie Bischof im Sprengel Schleswig. Mit welchen Visionen sind Sie angetreten?

Knuth: Ich bin immer Pastor geblieben, habe versucht, Verkündigung, Seelsorge und Diakonie so gut wie möglich zu betreiben. Ich wollte nichts Außerordentliches, sondern dazu beitragen, dass das normale Gemeindeleben erhalten bleibt. Ich wollte auch nie den Schleswiger Dom umbauen, sondern dazu beitragen, dass er erhalten bleibt, wie er ist. Denn so ist er am schönsten. Ich sehe nicht, dass unsere Generation in der Lage ist, Größeres zu leisten als vorige Generationen. So geht es mir mit vielem. Nennen Sie mich ruhig konservativ. Ich mag moderne Kirchenlieder, singe aber trotzdem lieber die von Paul Gerhardt. Ich habe mich immer wie ein Umweltschützer gesehen, der soziale und kulturelle Biotope erhalten will, weil sie für die Zukunft relevant sind.

chrismon: Bischof Janssen, was sind Ihre Visionen?

Janssen: Wenn Sie sich, Bischof Knuth, rückblickend als konservativ etikettieren, versuche ich es doch mit dem Begriff progressiv. Ich glaube, dass es in unseren Kirchen mehr Potenzial gibt. Wir müssen uns nicht mit den alten Formen, Gestalten, Musiken zufriedengeben, sondern dürfen Neues suchen, ohne das Rad völlig neu zu erfinden, das ist ganz wichtig. Ich finde, ein Song wie "God Bless the Child" von Billie Holiday hat durchaus die Qualität eines Chorals von Paul Gerhardt. Ebenso haben neuere Lieder längst ihre erste Bewährung bestanden. Ich glaube, dass das Evangelium noch viel mit uns vorhat und dass es noch viele Kräfte freisetzen kann. Dahin richtet sich meine Entdeckerlust.

chrismon: Bischof Knuth, was raten Sie dem jungen Bischof?

Knuth: Ich will Sie nicht entmutigen, aber als Bischof leben Sie ziemlich fremdgesteuert, Sie werden überstimmt und müssen unliebsame Dinge vertreten. Umso wichtiger ist, dass Sie sich Freiräume schaffen, damit nie die Flamme ausgeht, die dazu geführt hat, dass Sie Pastor wurden. Sie müssen alles daransetzen, dass sie weiterbrennt!

Bischof Janssen, was raten Sie dem älteren?

Janssen: Ich habe intensiv miterlebt, wie mein Vater in den Ru-he-stand ging als Pfarrdiakon. Der konnte barmherzig mit sich selbst sein, hat sich selbst im Nachhinein verziehen, wenn ihm einfiel, das er das ein oder andere Mal nicht den richtigen Ton getroffen hatte. Lassen Sie sich von der Barmherzigkeit Gottes anstecken - im Rückblick auf ein Schaffensleben darf das auch mal sein.

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