Tim Wegner
07.10.2010

CHRISMON: Herr Raabe, wann sind Sie eigentlich das letzte Mal so richtig beleidigt worden?

MAX RAABE: Ich kann mich nur daran erinnern, dass ich etwas mal in den falschen Hals bekommen habe. Aber richtig beleidigt worden? Da wüsste ich gar nicht, wie das bei mir funktionieren soll. Ich bin immer nur durch leise Untertöne beleidigt.

CHRISMON: Ein Beispiel?

RAABE: Lieber nicht, ich will niemandem Rezepte an die Hand geben.

ANDREA FISCHER: Vielleicht wenn jemand gemein darüber redet, wie und über was Sie singen?

RAABE: Stimmt, so was könnte mich verletzen. Aber eigentlich gibt es das nicht in unserer Branche. Da gibt es nur das Publikum, das entweder kommt oder wegbleibt.

FISCHER: Das ist aber keine Beleidigung, sondern nur eine kleine Kränkung!

RAABE: Es wäre kränkend, aber Gott sei Dank, das Publikum bleibt ja bei uns nicht weg. Und mit den Kollegen, die mich nicht mögen, habe ich nichts zu tun. Ich wildere in niemandes Gefilden, deswegen habe ich auch keine Feinde.

CHRISMON: Frau Fischer, wann sind Sie das letzte Mal beleidigt oder verletzt worden?

FISCHER: Wie viel Zeit haben wir? In meinen knapp zweieinhalb Jahren als Ministerin habe ich mehr als genug davon abgekriegt.

RAABE: In der Politik gehört das doch eigentlich schon zum Standardprogramm, oder? Die Endphase des letzten Bundestagswahlkampfes fand ich zum Beispiel unerträglich. Mir ist es einfach nicht begreiflich, wie man sich so beleidigen kann ­ und wie man das ertragen kann. Ich weiß nicht, inwieweit das zur Politik gehört. Ist das in anderen Ländern auch so? Kann ich mir nicht vorstellen!

FISCHER: Doch, ich glaube schon. Die Frage ist: Was ist das richtige Maß? Ich finde, das Beleidigende liegt darin, dass man Kritik an der Person festmacht. Es heißt dann nicht: "Ich finde das blöd und falsch, was du da machst", sondern: "Du bist eine dumme Nuss!" Und das ist mir reichlich passiert. Anfangs hieß es immer, ich hätte keine Ahnung. Aber das ließ sich schlecht durchhalten, denn irgendwann war der Eindruck stärker, dass ich sehr wohl wusste, worüber ich spreche. Dann richtete sich die Kritik gegen meine Person: Gegen mein Aussehen, mein Verhalten oder dagegen, dass ich gerne lache. Das sind Vorwürfe, gegen die ich nichts tun kann, denn so bin ich. Ich habe damals versucht, mich zurückzunehmen, mich demgegenüber abzuschotten, aber das funktionierte nicht vollständig.

CHRISMON: Andere scheinen das ganz gut hinzukriegen.

FISCHER: Ich bin sicher, selbst die Politiker, die diese ständigen Angriffe gegen die eigene Person besser aushalten können als ich und die deswegen auch länger in der Politik durchhalten, selbst bei denen lösen solche Angriffe Gefühle aus. Die Vorstellung, dass die sich alle dagegen panzern, ist falsch. Sicher, es gibt da unterschiedliche Grade an Empfindlichkeit. Man lernt, öffentlich damit umzugehen, das gehört zum Beruf. Aber das sagt noch nichts darüber, wie weit es einem Politiker gelingt, das persönlich zu verarbeiten.

CHRISMON: Welche Strategien haben Sie denn probiert?

FISCHER: Öffentlich muss man die Contenance wahren. Persönlich habe ich mir eingeredet: Die meinen nicht mich persönlich, die meinen mich und meine Rolle. Das hilft auch und wie man sieht, bin ich nicht daran zerbrochen. Aber das war das Härteste an diesem Beruf und es ist einer der Gründe, warum ich ihn heute nicht mehr ausübe.

CHRISMON: Wo kommt es in der Politik häufiger zu Beleidigungen ­ öffentlich oder hinter verschlossenen Türen?

FISCHER: Das Problem in der Politik ist, dass das Öffentliche den Konkurrenzkampf härter macht. Als Politiker weiß man: Sobald der eine im Licht steht, könnte ich selbst im Schatten stehen. Wer in der Politik kritisiert, will nicht nur etwas verbessern, sondern er kämpft auch um Machtpositionen. In der Politik gibt es so viele subtile Mechanismen, wie man Macht herstellt und andere schwächer macht. Aber das macht Politik aus.

CHRISMON: Klingt fast so, als würden Sie das vermissen?

FISCHER: Ich vermisse es nicht. Aber ich halte es für eine luxuriöse Haltung zu sagen, Politik sei ein schmutziges Geschäft. Wir wollen eine repräsentative Demokratie, das heißt, wir müssen Macht delegieren. Die Sphäre des Politischen hat eigene Erfolgsregeln. In der Politik ist es nicht kuschelig. Wir sollten aufhören, uns nette Politiker zu wünschen.

RAABE: Aber es kommt doch darauf an, ob das Ganze nur aus Eitelkeit und Machterhalt geschieht oder ob es darum geht, etwas für das Gemeinwohl zu erreichen.

FISCHER: Kann man das so eindeutig unterscheiden? Natürlich wollten Merkel und Schröder beide Kanzler werden. Trotzdem wäre es Quatsch zu behaupten, sie hätten das nur aus privatem Interesse angestrebt. Beide haben ja eine Idee im Kopf, was sie mit der Macht wollen. Natürlich sind die alle eitel, ist doch logisch. Man kann wahnsinnig viele gute Dinge auf der Welt tun, ohne Politiker zu sein. Wenn man sich also da vorne hinbegibt, mitten auf die große Bühne, kommt immer auch ein Stück Eitelkeit dazu.

RAABE: Natürlich ist ein Priester eitler als ein Mönch, der in der Klause lebt. Denn er hat ja was mitzuteilen.

FISCHER: Die Kunst besteht darin, die Eitelkeit im Zaum zu halten. Das entscheidet auch darüber, ob Politiker gemocht werden.

CHRISMON: Fallen Ihnen sanftmütige Politiker ein?

RAABE: Das sind ja ganz viele ...(zögert) ..., mir fällt zum Beispiel Richard von Weizsäcker ein, der immer sehr bedächtig ist.

FISCHER (bricht in lautes Lachen aus): Entschuldigung! Ganz viele sind das aber nicht, oder?

RAABE: Nun ja, ich nenne nun mal ungern Namen.
FISCHER: Ich möchte jetzt auch keine Sanftmut-Noten vergeben. 

CHRISMON: Aber eine Eins vergibt man doch gern.

FISCHER: Ja, und die würde ich am liebsten meiner Freundin Katrin Göring-Eckardt geben. Sie ist für mich der Inbegriff einer sanftmütigen Politikerin. Aber vielleicht schadet ihr das ja sogar, wenn ich das so sage (macht eine Pause). Sanftmut ist jedenfalls eine extrem erstrebenswerte Haltung. Ich glaube, man kann sich darin üben. Mir haben dabei ein paar Niederlagen geholfen, mit denen ich in meinem Leben fertig werden musste.

CHRISMON: Sanftmut lernt man also am besten in Krisen?

RAABE: Bei mir gab es keine einschneidenden Krisen. Sicher hatte ich in den ersten Jahren des Palast Orchesters kein Geld, um abends auszugehen. Dann musste ich mir was leihen, aber es war keine Krise. Es hat mich nicht gestört. Das Vergnügen war größer als der momentane Engpass. Ich hatte Freunde und ich hatte Flaschenbier.

FISCHER: Ich behaupte nicht, dass man Krisen braucht, um sanftmütiger zu werden. Ich will daraus keine Regel machen. Aber in meinem Fall ist es so.

RAABE: Bei mir ist es eher so: Eigentlich bin ich mir selbst der größte Feind, das treibt mich an. Ich male mir aus, mit was ich mich alles auf der Bühne blamieren könnte. Und dann versuche ich, diese Risiken auszuschalten. Das ist der größte Ehrgeiz, den ich habe, und das Einzige, was mich zur Arbeit motiviert: zu verhindern, dass ich mich blamiere. Ich bin mein eigener Gegner.

FISCHER: Klar, das treibt zur Leistung an. Gleichzeitig ist man dabei ganz unnachgiebig zu sich und zu anderen. Bernhard von Clairvaux hat dazu gesagt: "Wer mit sich selbst schlecht umgeht, wem kann der gut sein?"

RAABE: Dann müssen wir jetzt wohl auch über Jähzorn reden, was ja eigentlich das Gegenteil von Sanftmut ist.

FISCHER: Jähzorn ist furchtbar! Gerade wenn ich unter Druck bin, dann kann ich extrem jähzornig sein. Am schlimmsten ist es, wenn es Leute trifft, mit denen ich zusammenarbeite. Es ist unverzeihlich, als Chefin jähzornig zu sein, weil man mit Mitarbeitern nun mal nicht auf gleicher Ebene verkehrt.

Der Sänger: "Ich bin manchmal etwas hart im Urteil"

RAABE: Ich bin manchmal auch ein bisschen schnell in der Reaktion und etwas hart im Urteil. Es kommt sehr selten vor, dass ich explodiere. Mir tut es leid, wenn ich jemandem etwas scharf sage und ich merke, dass es verletzend war.

CHRISMON: Und wie verhindern Sie, dass Sie wieder aus der Haut fahren?

RAABE: Ich verordne mir dann erst einmal Stille. Ich überrede mich regelrecht, nicht so aufbrausend zu sein. Wenn ich das mal nicht schaffe, merke ich das eine halbe Stunde später. Manchmal gelingt es mir dann auch, mich zu entschuldigen. Wenn auch nicht sofort. Denn natürlich ist es sehr leicht, mal in der Probe herumzubrüllen. Es ist leicht, die anderen mit der Schelte zurückzulassen, gerade wenn man der Chef ist. Man selbst kriegt ja dann eher selten was vor den Koffer. Meine Eltern haben mir da viele Einsichten mitgegeben: Bescheidenheit üben, Demut, eine vollkommene Ignoranz Komplimenten gegenüber ­ und dass man etwas abgeben soll, sonst blutet den anderen das Herz. Wenn ich als Kind mit einer Tafel Schokolade rausgegangen bin, dann nur unter der Bedingung, das ich den anderen auch was abgebe. ­ Heute esse ich die Schokolade heimlich alleine. Es wird ja in unserem Alter auch eher als Akt der Sabotage verstanden, wenn man Schokolade verteilt.

CHRISMON: Was ist denn an Komplimenten so gefährlich?

RAABE: Man wird eitel, man bildet sich was ein.

FISCHER: Oder man wird hochmütig.

CHRISMON: Wie bringen Sie sich denn dazu, sich ständig zu disziplinieren?

RAABE: Ich mache das, um eine gute, konstruktive Arbeitsatmosphäre zu erhalten. Mir ist es sehr wichtig, dass sich bei uns im Orchester alle wohl fühlen. Dass alle das Gefühl haben: Das ist unser Laden, und es macht uns Spaß, hier zu arbeiten. Es macht keinen Spaß, wenn man permanent was auf den Deckel bekommt und in einer Atmosphäre der Angst musizieren soll. In den großen Sinfonieorchestern ist leider oft die Angst sehr stark präsent, weil alles perfekt sein muss. Geredet wird nur, wenn etwas nicht in Ordnung ist. Das ist ein ganz enormer Druck. Dieses Schicksal habe ich mir erspart.

Die Ex-Ministerin: "Ich kriege mit, dass Parteifreunde noch schlecht über mich reden"

CHRISMON: Was darf man sich nicht gefallen lassen?

FISCHER: Ich glaube, da muss jeder seine eigenen Maßstäbe entwickeln. Vielleicht hab ich schon zu viele Konflikte durchgemacht, so dass ich inzwischen lieber einem Konflikt ausweiche. Ich bin da nicht mehr so kämpferisch. Manchmal kriege ich mit, dass noch immer Parteifreunde schlecht über mich reden, obwohl ich denen eigentlich inzwischen egal sein dürfte, darauf reagiere ich nur noch mit Achselzucken.

CHRISMON: Das gilt für den öffentlichen Bereich, aber wie gehen Sie privat damit um?

FISCHER: Eigentlich lebe ich ziemlich in Frieden mit meinen Mitmenschen. Ich kann mit der Kategorie "Was man sich nicht mehr gefallen lassen kann" schlecht umgehen. Solche Situationen erlebe ich sehr selten. Am ehesten, wenn andere nicht sorgsam mit meinen Gefühlen für sie umgehen.

CHRISMON: Passen Sanftmut und Selbstverwirklichung zusammen?

RAABE: Warum nicht? Ich muss doch nicht apathisch und hirnlos sein, um sanftmütig handeln zu können. Ich habe immer auch eigene Vorstellungen und Ziele. Und ich bin auch ehrgeizig. Mich interessiert die Musik und ich bin in der glücklichen Lage, mit der Sache, die ich toll finde, vorwärts gekommen zu sein. Warum soll das nicht mit Sanftmut vereinbar sein?

FISCHER: Es gibt ein bestimmtes Konzept von Selbstverwirklichung, das darauf setzt: Es geht nur um mich, mein Wohlbefinden, meinen Weg, und alles andere ist mir egal. Aber das ist eine Karikatur der Idee von Selbstverwirklichung. Wenn ich von meinem Weg spreche, dann gehört dazu, dass ich gerne mit Menschen auf diesem Weg sein möchte. Selbstverwirklichung, wie ich sie verstehe, ist nichts, was nur mit mir als Individuum zu tun hat. Sondern auch mit den Menschen um mich herum. Von daher muss es keinen Widerspruch zwischen Sanftmut und Selbstverwirklichung geben.

RAABE: Selbstverwirklichung heißt ja nicht, dass man über Leichen gehen muss oder alles ignoriert. Man kann seinen Weg auch sanftmütiger gehen.

CHRISMON: Schönes Schlusswort.

FISCHER: Moment, wenn es um Sanftmut geht, müssen Sie uns doch nach Gott fragen! Im Glauben geht es ja darum, dass man sich freiwillig dem Willen Gottes unterwirft. Ich hab lange gebraucht, um das als Ausdruck der Freiheit zu begreifen, aber inzwischen schätze ich es umso mehr. Ich glaube, dass es kein Zufall ist, dass ausgerechnet meine Zeit als Politikerin mich dazu gebracht hat, über meinen Glauben und das Verhältnis zu Gott nachzudenken. Das hat sehr viel mit einer demütigen, einer sanftmütigen Haltung zu tun. Und ich glaube, das ist in der Politik eine richtige, fast notwendige Einstellung. Aber, Herr Raabe, Ihr Thema ist das offenbar nicht, so wie Sie eben geguckt haben?

RAABE: Nein! Ich glaube, man kann schon sanftmütig auf die Welt kommen, dann ist man eben sanftmütig. Aber es gibt ja auch Menschen, die darum kämpfen müssen. Das ist die wirkliche Herausforderung: Sich darum zu bemühen entsteht aus dem Wunsch, ein guter Mensch zu sein. Man kann das als religiöses Gespräch deuten, auch ohne dass das Wort Gott fällt. Einem Menschen, der für dieses Gespräch taub ist, wäre es ja egal, das mit der Sanftmut.

 

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