In einem kalifornischen Kloster wächst ein merkwürdiger Bau gen Himmel: Ein 800 Jahre altes Gebetshaus wird dort exakt so wieder aufgerichtet, wie es einst in Zentralspanien stand. Die mittelalterlichen Kalksteinquader fordern den Baumeistern von heute ein Höchstmaß an Präzision ab ­ und Demut vor der unsichtbaren Handschrift ihrer Vorgänger
07.10.2010

Das Kreischen einer Säge zerreißt die Stille. Aus einem langgezogenen Rotklinkerbau heult der Ton in die kalifornische Idylle. Unter dem Dach der Halle dreht ein großer Mann mit Dreitagebart und Ohrenschützern langsam seine Kreise um einen zwei Tonnen schweren, quadratischen Klotz. Neben sich her schiebt er das Diamant-Sägeblatt einer Steinschneidemaschine. Eine Plastikbrille schützt seine Augen vor dem aufgewirbelten Staub. Millimeter für Millimeter frisst sich die Säge in den Kalkstein. Wer diese Arbeit macht, braucht Geduld bis in alle Ewigkeit.

Der Kalkstein stammt aus Texas. Der Mann, der ihn konzentriert bearbeitet, aus Deutschland. Er heißt Oskar Kempf, ist 48 Jahre alt und kommt aus einem Dorf in Südbaden. Nun ist er wieder in so einem Flecken gelandet, in Vina, drei Autostunden nördlich von San Francisco. Als Steinmetz arbeitet er hier auf einer ungewöhnlichen Baustelle. Sein Auftraggeber ist die Zisterzienserabtei "Das Neue Clairvaux", die hier eine Farm von 240 Hektar betreibt. Kempfs Job ist es, in diese noch nicht mal 50 Jahre alte Abtei hinein ein Stück europäischer Religions- und Kulturgeschichte zu transplantieren. Denn viele der Steine, die in Vina durch seine Hände gehen, sind mehr als 800 Jahre alt.

Bis Ende dieses Jahres soll ein historisches Kapitelhaus wiedererstehen, ein Gebets- und Versammlungsraum der Mönche. Ende des 12. Jahrhunderts wurde es im spanischen Santa Maria de Ovila, nordöstlich von Madrid, als Teil eines Zisterzienserklosters errichtet. Um 1930 ließ ein amerikanischer Milliardär das inzwischen heruntergekommene Kloster auseinander nehmen und Tausende der Steine nach Kalifornien verschiffen. Das war der Medienmogul William Randolph Hearst, weltbekannt durch eines der berühmtesten Werke der Filmgeschichte: "Citizen Kane" von Orson Welles. Denn nach der Biographie von Hearst, der als Erfinder der Regenbogenpresse gilt, modellierte Welles die Filmfigur des tragisch endenden Medienzaren Charles Foster Kane.

Steinmetz Kempf stieß zufällig auf die Überreste der spanischen Abtei

Hearst, wegen seiner immensen Sammlung europäischer Kulturschätze auch "Räuberbaron" genannt, wollte das spanische Kloster in Kalifornien neu aufbauen ­ als Geschenk für seine Mutter. Aus dem Kreuzgang sollte eine Bücherei, aus der Kirche ein Festsaal werden. Doch Hearsts Unternehmen geriet in eine Krise, das Kloster blieb in seine Einzelteile zerlegt, jahrzehntelang lagerten die kniehohen Quader unbeachtet im Golden Gate Park in San Francisco. Einige nutzte der neue Eigentümer, die Stadt, verbaute sie in Parkbänken und Stützmauern ­ dort sind sie heute zu bestaunen. Andere wurden bei Bränden im Park beschädigt oder mutwillig zerstört.

Steinmetz Kempf stieß Anfang der neunziger Jahre zufällig auf Überreste der Abtei. "Ich brachte meinem Sohn im Park das Fahrradfahren bei, als mir die nummerierten Steine auffielen." Er fragte nach, erfuhr die ganze Geschichte ­ und wollte die Abtei am liebsten auf eigene Faust wieder aufbauen. "Aber die Stadt sagte, das geht nicht, weil die Pläne fehlen und niemand weiß, wie groß das Gebäude war." Die Steine blieben im Park.

Was Kempf nicht wusste: Zu diesem Zeitpunkt träumte ein anderer Bewunderer der Steine schon fast vierzig Jahre davon, das Bauwerk neu zu errichten. Und er kam seinem Ziel immer näher. Thomas X. Davis war ein junger Zisterziensermönch, als er 1955, während einer Stadtrundfahrt in San Francisco, zum ersten Mal die mittelalterlichen Zeugnisse seiner Ordensgeschichte im Park verrotten sah. Er war gerade aus Kentucky nach Kalifornien gekommen und hatte mit 27 Ordensbrüdern die Abtei in Vina gegründet. Davis war sofort gefesselt von dem Gedanken, diese Steine in die neue Abtei zu holen ­ zurück in die Gemeinschaft der Zisterzienser.

Anfang der siebziger Jahre übernahm Davis eine Führungsposition im Kloster und begann, mit der Stadt San Francisco zu verhandeln. Aber erst 1994 willigten die Behörden ein, die Steine der Abtei in Vina zu überlassen. Auch stellte sie eine Bedingung: Binnen weniger Jahre müsse die Rekonstruktion beginnen. Also suchte Davis, inzwischen Abt, Fachleute für den Bau ­ und Sponsoren. Das Projekt bekam den Namen "Sacred Stones", und diese heiligen Steine beschäftigten Davis von nun an Tag und Nacht. Es folgten Reisen, Fundraising, Besuchertouren zu der Lagerhalle, in der die vielen hundert Steine gestapelt lagen ­ immer getrieben von der Hoffnung, dass jemand dabei sei, der Begeisterung und Dollars für den Klosterbau aufbringen wollte.

Abt und Steinmetz haben eine gemeinsame Vision

Das Engagement des Abts hatte Erfolg. Schon bald konnte die Abtei einen Architekten finanzieren, der eine neue Klosteranlage für Vina entwarf. Eine Bauzeichnerin katalogisierte jeden einzelnen Stein am Computer; ein Historiker lieferte Tipps für eine möglichst originalgetreue Rekonstruktion des Kapitelhauses. Der Anfang war gemacht, die Steine waren in Bewegung ­ wenn auch zunächst nur auf Papier und im PC.

Dann saß eines Tages Oskar Kempf vor Abt Thomas. Kempf hatte in der Zeitung von der geplanten Wiederbelebung der heiligen Steine gelesen und sich sofort als Mitarbeiter angeboten. "Eigentlich war mir schon vor dem Termin beim Abt klar, dass ich das machen würde", erinnert sich Kempf heute, "ich wusste, das ist mein Job. Das Vorstellungsgespräch verlief kurios, ich habe die Fragen gestellt, nicht der Abt. Ich habe ihn regelrecht ausgequetscht. Am Ende sagte er dann, mich habe Gott geschickt."

Abt und Steinmetz haben eine gemeinsame Vision: Es soll wieder Leben einziehen zwischen den geschichtsträchtigen Steinen. Und beide spüren sie, dass ihr Gegenüber genau der Mann ist, den sie für die Umsetzung ihrer Träume brauchen. Für "Sacred Stones" verlässt der Deutsche die Gegend um San Francisco, in der er vierzehn Jahre lang gelebt hat. Er zieht in ein Mietshäuschen, zwanzig Meilen nordwestlich von seinem Arbeitsplatz. Der Klosterneubau in der Abtei bestimmt seither das Leben von Oskar Kempf. Von Montag bis Freitag startet er morgens um halb acht in seinem Mittelklassewagen, frühstückt während der Fahrt und steht um acht Uhr in seiner Werkstatt. Es geht ihm vor allem um eins: solide, präzise Arbeit. Er will nicht blenden, sondern überzeugen.

Es ist ein langsamer, ein anstrengender Job. Im Hochsommer sind draußen 35 Grad im Schatten normal. Drinnen ist es auch nicht viel kühler. Kempfs Steinsäge gräbt sich Runde für Runde tiefer in den Kalkstein ein. Zentimeterweise löst sich das Innere des Zwei-Tonnen-Brockens. Allein zehn Tage dauert es, bis Kempf das "Auge" ­ lateinisch "oculus" ­ des Klosters, das runde Fenster über dem Portal des Kapitelhauses, filigran herausgefräst hat. Beim Portal mit seinen weiten Bögen ist es besonders wichtig, akkurat zu arbeiten. Kempf ist in seinem Element.

"Es ist viel Leben in den alten Steinen, genauso wie in alten Möbeln"

"Die Herausforderung war am Anfang, das Unmögliche möglich zu machen", sagt Kempf. "Es ging um eine Arbeit, die keiner vorher gemacht hat. Wir mussten Maschinen bauen und Ideen haben, die außergewöhnlich sind für die normale Tätigkeit eines Steinmetzen." Also setzte er sich mit der Arbeit der mittelalterlichen Handwerker auseinander, bemühte sich, die Formensprache der Zisterzienserbaumeister zu verstehen und neu umzusetzen. Es wurde eine Reise zur Seele der Steine.

"Es war von Anfang an auch ein bisschen Ehrfurcht dabei", sagt Kempf und streicht mit der Hand über die raue Oberfläche eines Quaders. "Wenn man sich überlegt, dass jemand die Steine von Hand geschnitten hat, vor mehr als 800 Jahren. Die Arbeit, die da drinsteckt, das Können. Verglichen mit dem 12. Jahrhundert ist unsere Tätigkeit ziemlich primitiv."

Kempf hat inzwischen viel über das Mittelalter und seine Baukultur gelesen. Er wollte wissen, wie die Menschen lebten, was sie bewegt hat. Heute ist der Steinmetz überzeugt: Die Religion hat viel dazu beigetragen, dass die Menschen mit ihren einfachen Werkzeugen solche Bauten überhaupt ausführen konnten. "Es ist viel Leben in den alten Steinen, genauso wie in alten Möbeln. Die Tätigkeit eines Handwerkers ist eingeprägt in sein Material, ob Stein oder Holz. Wenn jemand sein Herz hineingibt, dann ist da eine unsichtbare Schrift drin. Das kann man fühlen."

Alle paar Tage kommt Abt Thomas in der Werkstatt vorbei. Auch für ihn atmet dieses Bauprojekt den Geist der Erhabenheit. "Ich war immer schon an Architektur interessiert, besonders an der der Zisterzienser. Denn ich glaube, dass wir der einzige Orden sind, der eine Architektur hat, die auf Spiritualität basiert", schwärmt der Abt. "Unsere ersten Mönche entwarfen ihre Gebäude nach den Prinzipien Raum, Einfachheit und Harmonie. Jeder, der diese Gebäude betrat, sollte tief beeindruckt sein von ihrer Harmonie, ihrer Schönheit und Herrlichkeit. Und die Mönche glaubten, dies sei der beste Weg, Gott zu erfahren und zu verstehen."

Die Werkstatt ist in einer ehemaligen Lagerhalle für Wein- und Brandyfässer untergebracht

Kempf hat eigentlich mal Koch gelernt, aber schon mit 20 jobbte er als Steinmetz in Südfrankreich und Spanien. Seit er vor 18 Jahren mit seiner damaligen Frau nach Kalifornien kam, war er immer mit ungewöhnlichen Stein-Projekten beschäftigt. Schließlich spezialisierte er sich auf schwer kalkulierbare Vorhaben, die niemand sonst übernehmen will. Auch in Vina schauten vor ihm einige Steinmetze die Halle voller historischer Steine an. Aber alle sagten sie ab, weil sie das Vorhaben für nicht realisierbar hielten.

Die Pläne für das "Auge", das Portal, ja für das ganze Kapitelhaus hat der Südbadener am eigenen Computer angefertigt ­ zu Hause in seiner Freizeit, in vielen Nachtschichten. Es gibt zwar einen Architekten für diesen Bau. Aber Kempf findet dessen Zeichnungen nicht exakt genug. Kempf hat Tausende der alten Steine in seinen Händen gehabt, hat sie gemessen, überprüft, abgeschlagene Ecken mit neuem Stein ersetzt ­ befestigt mit Stahlstiften und Spezialkleber. Hunderte andere Steine, die die fehlenden ersetzen sollen, hat er aus neuem Kalkstein ausgesägt und sich dabei an alten Fotos aus Spanien orientiert. Denn das Kapitelhaus soll möglichst originalgetreu aufgebaut werden. Allerdings soll und wird man erkennen, welche Steine alt und welche neu sind.

Die Werkstatt ist in einer ehemaligen Lagerhalle für Wein- und Brandyfässer untergebracht. Die Abtei liegt inmitten einer einst riesigen Weinfarm, und die Mönche führen diese Tradition in kleinerem Rahmen fort. Neben dem Rebland: Gästehaus und Kantine für Besucher, eine Kfz-Werkstatt und die Garage für Pick-ups, Traktoren und Baumschneidemaschinen ­ Stätten und Utensilien eines kalifornischen Klosterlebens. Der Farm- und Werkstattbetrieb endet an einem zwei Meter breiten steinernen Tor. Zutritt nur für Mönche. Hinter dem Tor befinden sich ­ auf einem weitläufigen, idyllischen Areal ­ Bibliothek, Töpferei, Wäscherei, der Speisesaal der Mönche und ihre an ein Motel erinnernden Unterkünfte. Dazwischen Palmen, Orangenbäume und Pfirsichplantagen. Hie und da Vogelgezwitscher, ansonsten Stille. Das Paradies hat hier seinen Vorgarten eingerichtet.

"Architektur mit einer starken spirituellen Dimension"

Die Kirche ist das Bindeglied zwischen dem abgetrennten Reich der Mönche und der Außenwelt, der restlichen Farm. Das Gotteshaus, von beiden Seiten zugänglich, ist Treffpunkt von Mönchen und Besuchern. 22 Mönche wohnen und arbeiten in der Abtei. Es wird schwieriger, Nachwuchs zu finden, zumal die Mönche von Vina zu den Trappisten gehören, einer besonders asketischen Gruppierung innerhalb des Zisterzienserordens. Früh um 3.30 Uhr kommen die Mönche zum ersten von sieben Gebeten zusammen. Abends um acht Uhr ziehen sie sich zur Nachtruhe zurück. Dazwischen wechseln sich Zeiten der inneren Einkehr und Lektüre mit körperlicher Arbeit ab. Zweimal täglich werden aus den Mönchen für je drei Stunden Landwirte, die blaue Arbeitskleidung ersetzt die weiße Ordenstracht. Die Abtei finanziert sich durch den Verkauf ihrer Produkte: Walnüsse, Pflaumen, Wein und Pfirsiche. Und es gilt: Alter schützt vor Feldarbeit nicht. Reparaturen und handwerkliche Arbeit werden nebenher miterledigt.

Ihre Schweigevorschriften haben diese Mönche etwas gelockert. Begeistert berichten sie von den Vorzügen ihres aktiven, anstrengenden und zugleich reglementierten Lebens. Abt Thomas konzentriert sich seit Jahren auf seine Aufgabe als Geldeintreiber. Knapp drei Millionen Dollar hat er inzwischen gesammelt. Doch das reicht noch nicht mal zur Fertigstellung des Kapitelhauses. Für den Bau der gesamten Klosteranlage muss er mindestens noch weitere sieben Millionen auftreiben. Dieser Aufgabe fühlt er sich schicksalhaft verbunden: Der Geist von Clairvaux soll weiterleben ­ weil die Form weiterlebt.

Einige der älteren Mönche wünschen sich nichts sehnlicher, als den Tag der Fertigstellung noch zu erleben. "Dieses wunderschöne Stück Architektur hat eine starke spirituelle Dimension", betont der Abt. "Die Mönche sind deswegen genauso aufgeregt wie ich."

Oskar Kempf denkt noch nicht so weit in die Zukunft. Vor ihm liegt ein weiteres Jahr, in dem er sich fieberhaft um Präzision bemühen wird. Was danach kommt, weiß er noch nicht. Einen Wunsch jedenfalls hat er für den Moment, wenn das alte spanische Gebäude endlich in Nordkalifornien steht: "Mein Traum ist, wenn das Kapitelhaus fertig ist, dass ich es eine Nacht lang für mich allein habe und einfach nur Gitarre spiele." Nicht nur die Akustik wird besonders sein.

Neuen Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.

Plain text

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
Wählen Sie bitte aus den Symbolen die/den/das Fahrrad aus.
Mit dieser Aufforderung versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt.