Wer "­Alles gut" sagt, ist nur zu faul zum Streiten
Tim Wegner
29.06.2017

Es ist viel Post gekommen, als an ­dieser Stelle die Vokabel „gerne“ er­ledigt wurde. Danke dafür! Und ­danke, dass so viele chrismon-Leser das ähnlich inflationäre „Alles gut“ erledigt haben wollen. Nun ist eine Kolumnistin keine Auftragskillerin, aber „Alles gut“ wird sofort erledigt. Weil ich es selber viel zu oft sage.

Manchmal passt es ja. Als mein Sohn mit vier am Ulmer Hauptbahnhof beim Umsteigen diesen roten Plüschpapagei aus dem Teneriffa-Urlaub verlor, nahm ich ihn in den Arm und versprach, es werde alles gut. Eine glatte Lüge. Ich wusste: Diesen Papagei – und ich kann echt professionell recherchieren, den beschaffen wir nie wieder. Aber es half, das Trösten, alles gut.

Wenn ich heute per Whatsapp den beinahe Volljährigen frage, ob er bald mal nach Hause kommt, beruhigt mich die Antwort „Alles gut“ keinesfalls. Ich würde lieber lesen: „Um 22.30 Uhr.“ Das ist das Perfide an „Alles gut“, schreibt chrismon-Leserin Gudrun Althaus: „Diese Beschwichtigungsformel verlangt nach schneller Bestätigung. Bloß nichts Einschränkendes antworten.“ Alles gut? Schreit nach: Alles gut! Keine Widerrede.

Es ist nie alles gut

Und wird erst recht albern, wenn es das „Bitte“ ersetzt. So wie neulich im Zug, als mir vom Personal Gummibärchen angeboten ­wurden. „Nein danke“, sage ich. „Alles gut“, sagt die Bahnfrau, und ich denke: Was soll daran auch schlecht sein? Die ist ja nicht meine Diätberaterin. Und auch nicht meine Mama.

chrismon ist von Natur aus zuversichtlich. Oft arbeiten wir daran, an schweren Themen den konstruktiven Aspekt zu finden: eine Hoffnungsträgerin, eine gute Nachricht. Aber nie würden wir sagen, dass alles gut ist, wenn es leider schlecht ist. Wenn ich lese, wie der Meeresbiologe Uli Kunz da ­unten statt bunter Korallen nur noch graue Trümmer sieht, denke ich: Nichts ist gut. Das Klima hat sich schon dramatisch verändert, alles schlecht. Können wir denn selber gar nichts tun? Da möchten wir jetzt etwas Einschränkendes von Ihnen hören.

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Sehr geehrte Frau Ott,

danke für Ihre einsichtsvollen Beiträge!

Ein weiterer Kandidat für Ihre Kolumne könnte

"natürlich" sein ... wir benutzen das Wort so oft,

um eigene Gedanken und Handlungen zu

unterstützen, die aber erst durch unseren eigenen

sozialen und kulturellen Hintergrund mitgeformt wurden

und auch auf eigenen Entscheidungen beruhen.

Was meinen Sie dazu?

Mit freundlichen Grüßen,

Jan Migenda

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Liebe Frau Ott,

Gerne lese ich Ihre Kolumne "erledigt"!
Ich hasse "alles gut". Und ich finde es einen Riesenunterschied, ob man es zu den Kindern sagt (=wichtig) oder ständig zu Erwachsenen (=auch wenn es  nie passt und nicht wichtig ist)

Schlimm finde ich sorry. Meint man es ernst, tut es einem leid, sagt man Entschuldigung oder "das tut mir leid" ( das tut beiden Seiten gut), ist es nur so Wischiwaschi dahin gesagt, bitte nichts sagen!

Grüße aus München,
Susanne Wiedemann M.A.

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