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Ein populärer Kämpfer für die Ökumene
Kardinal Karl Lehmann hat die Ökumene in Deutschland über Jahrzehnte beflügelt. Nun starb der große Reformtheologe 81jährig in Mainz.
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
11.03.2018

Es war einer der besonderen Momente seines Lebens. Am Reformationstag 2016 erhielt Kardinal Karl Lehmann, der langjährige Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz,­ die Martin-Luther-Medaille verliehen. Er ist der erste Katholik, dem diese Ehre zuteil wurde. Heinrich Bedford-Strohm, der EKD-Ratsvorsitzende, übergab Lehmann die Medaille beim Festgottesdienst in St. Marien am Berliner Alexanderplatz bei einer außergewöhnlichen Gelegenheit: zu Beginn des Jubiläumsjahres. Und er begründete die Auszeichnung mit Lehmanns besonderen ökumenischen Verdiensten. „Uns bringt niemand auseinander“, habe dieser oft gesagt. Bedford-Strohm wörtlich: „Wir Protestanten sind dankbar für das Vertrauen, das wir in Sie hatten und das Sie uns geschenkt haben.“

Am 11. März 2018 ist Karl Lehmann, der Ökumeniker der ersten Stunde, in Mainz gestorben, nachdem er schon Monate nach einem Schlaganfall danieder gelegen hatte und gepflegt wurde. Nicht nur für die katholische Kirche, sondern auch für die evangelischen ist dies ein großer Verlust. Gegen Ökumene-Kritiker im Vatikan, den emeritierten Papst Benedikt (Joseph Ratzinger) eingeschlossen, und unter den deutschen Bischöfen hat er unbeirrt an seiner Linie festgehalten: Die Kirche hat auf allen Felder der Seelsorge den Menschen zu dienen.

Diese zutiefst menschliche Haltung bescherte ihm wiederholt Ungemach, am dramatischsten 1999 beim Ausstieg der katholische Kirche aus dem staatlichen System der Schwangerenberatung, den der Vatikan erzwang. Aber auch mit seinen Vorstößen zugunsten der sogenannten Mischehen eckte er an. Den katholisch-evangelischen Ehepaaren verwehrt die katholische Kirche bis heute bis auf wenige Ausnahmen den gemeinsamen Abendmahlsempfang.

Ein Mann des langen Atems

„Rückschritte, beschnittene Freiheiten und unterbrochene Dialoge“: Trotz solcher Erfahrungen habe Lehmann die Hoffnung auf Annäherung nicht aufgegeben, habe auf die „Glut unter der Asche“, auf den „langen Atem“ vertraut, sagte Bedford-Strohm beim Festakt in Berlin. Dafür dankte er ihm „ganz persönlich von Herzen“. Eine Ehre sei es für die evangelische Seite, dass Karl Lehmann die Martin-Luther-Medaille annehme.

Mit 80 Jahren war Lehmann von seinem Amt als katholischer Bischof von Mainz zurückgetreten, am Pfingstmontag 2016 mit einem festlichen Gottesdienst und einem staatlichen Festakt verabschiedet worden. Schon die Dauer seiner Amtszeit als Bischof lässt erkennen, dass es sich hier um einen Kirchenmann von hoher Anerkennung handelt. 32 Jahre war er Bischof von Mainz, 21 Jahre Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz. Auffällig war lediglich, wie lange er auf die Ernennung zum Kardinal durch den polnischen Papst Johannes Paul II. hatte warten musste: Sie wurde ihm erst 2001 zuteil.

Karl Lehmann war tief geprägt durch das große Reformkonzil der katholische Kirche, das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965). Es verankerte Neuerungen und Erkenntnisse in der Kirche, an die Jahrhunderte lang nicht einmal zu denken war. Karl Lehmann, damals 26 bis 29 Jahre alt, war auf dem Konzil Assistent des großen Theologen Karl Rahner. 1962 hatte er eine Dissertation über Martin Heidegger abgeschlossen. Als das Konzil endete, war die Kirche eine andere als vorher. Zum ersten Mal war von der Religionsfreiheit der Katholiken die Rede, von einer Offenheit gegenüber den Protestanten, von der eigenen Verantwortung der Laien in der Kirche. Und während schon bald konservative Bischöfe weltweit und vatikanische Kurienkardinäle insbesondere versuchten, die Neuerungen zu unterlaufen, blieben sie für Karl Lehmann bestimmend.

Lehmann, der sich bereits mit 32 Jahren habilitiert hatte und später Dogmatikprofessor in Mainz und Freiburg war, wusste, dass Neuerungen in seiner Kirche nur durchzusetzen sind, wenn sie auf einer soliden dogmatischen Grundlage ruhen. Er kannte die Fallstricke, die konservative Bischöfe und vatikanische Kuriale auslegen, damit sich Reformer darin verheddern. Dieser Gefahr setzte sich selbst Papst Franziskus immer wieder in der eigenen Kurie aus. Der inzwischen entlassene deutsche Kurienkardinal Gerhard Ludwig Müller, Präfekt der Glaubenskongregation, wertete Papst Franziskus einmal mit den Worten ab: Franziskus sei in erster Linie Seelsorger und nicht Berufstheologe. Zwischen den Zeilen deutete er so an: Was dieser Papst sagt, ist theologisch nicht durchdacht. Solche Abwertungen hat Karl Lehmann nie gelten lassen. In einem Interview sagte er dazu: Franziskus' öffentliche Äußerungen fußten auf einem Fundament theologischer Prinzipien – „nur dass er damit nicht ständig hausieren geht“.   

Mit seinen eigenen wissenschaftlichen Verdiensten hausieren zu gehen, war Lehmanns Sache nicht. Die Liste seiner Veröffentlichungen zählt 4200 gedruckte Texte. Er schrieb sie alle mit der Hand. Seine Arbeitsdisziplin war außerordentlich. Trotz all der wissenschaftlichen Arbeit bleibt er dem Bistum nicht seine Präsenz schuldig. Das galt erst recht für die Zeit, in der Lehmann die Strukturreform des Bistums anstieß und durchführte, zwischen 1996 und 2007. Danach konnte er mit Fug und Recht sagen: „Inzwischen kenne ich jede Scheune im Bistum." Anerkennung zollten ihm die Gemeinden und kirchlichen Gremien dafür, wie oft er präsent war und wie engagiert er sich auf ihre Anliegen einließ.

Sakramentenempfang auch für Wiederverheiratete

Er kannte die Sorgen der Gemeinden vermutlich noch besser als andere Bischöfe. Gerade deshalb konnte er ungehalten reagieren, wenn ungefragt und ohne Zuständigkeit Kirchenleute hineinfunkten, zum Beispiel bei der Besetzung von vakanten Bischofsitzen. Gerade bei den Auswahlverfahren „haben immer wieder Unbefugte ihre Finger drin", kritisierte er. Als ob es in diesen Besetzungskarussells nicht schon genug Mitspieler gäbe: das vakante Bistum, die päpstliche Nuntiatur, der Vatikan...

Von all den pastoralen Bereichen, die Karl Lehmann stark geprägt hat, können hier nur wenige erwähnt werden. Er engagierte sich stark für die Wiederverheirateten Geschiedenen, die die katholische Kirche in aller Regel vom Sakramentenempfang ausschließt. 1993 veröffentlichte er mit dem Freiburger Erzbischof Oskar Saier und Bischof Walter Kasper, seinerzeit Diözesanchef von Rottenburg-Stuttgart, ein gemeinsames Hirtenwort, in dem sie pragmatische Wege für diese Paare zum Sakramentenempfang eröffneten. In den Gemeinden und bei den betroffenen Paaren stießen sie damit auf viel Zustimmung, weniger jedoch in der vatikanischen Glaubenskongregation.

"Wir haben gekämpft, wir haben verloren"

Aufrecht kämpfte Karl Lehmann gegen den von Papst Johannes Paul II. verlangten Ausstieg aus der katholischen Schwangerenberatung im staatlichen Beratungssystem. Der Streitpunkt: der Beratungsschein. Lehmanns Argument für den Verbleib, von ihm bei der Herbstversammlung der Deutschen Bischofskonferenz 1992 in Fulda vorgetragen: „Es ist der Kirche nicht erlaubt, sich vorschnell aus komplexen und schwierigen Situationen unserer Gesellschaft einfach zurückzuziehen. Auch ein Rückzug in eine vermeintlich eindeutigere und heile Welt kann schuldig machen. Wer gibt zum Beispiel die Ermächtigung, auf die Rettung vieler ungeborener Kinder und die Ermutigung vieler schwangerer Frauen zu verzichten, indem man seinen Auftrag nicht mehr in dem gesetzlichen Beratungssystem erfüllt? Jedenfalls ist die künftige Stellung der Beratungsstellen für schwangere Frauen (...) ein Test auf das konkrete Verhältnis von Kirche und Gesellschaft. Eine Kirche (...) darf nicht die größtmögliche Nähe zu denen aufgeben, die um Hilfe suchen."

Dem päpstlichen Gebot zum Ausstieg konnten sich die deutschen Bischöfe letztlich nicht widersetzen. Es kam 1998. Fortan übernahm der Verein „Donum Vitae", verantwortet von katholischen Laien, diese Beratung im Rahmen des staatlichen Systems. Nach jahrlangem Ringen mit Papst Johannes Paul II. und seiner Kurie um den Verbleib im Beratungssystem war Lehmann, der Vorsitzende der Bischofskonferenz, gescheitert. Ende 1999 sagte er: „Wir haben gekämpft und wir haben verloren." In der Folgezeit verlor die katholische Kirche auch viele Mitglieder, vor allem Frauen. Die Pressekonferenz in Lingen, auf der Lehmann das gegen seinen Willen erzwungene Ende der bisherigen Beratungsstellen bekanntgeben musste, gehört zu den schrecklichsten Zumutungen, die ihm abverlangt wurden.

Kirchenpräsident Volker Jung: „Wie kein anderer hat Kardinal Lehmann die Ökumene vorangebracht"

Deutliche Spuren hat Karl Lehmann als Bischof und als Chef der Bischofskonferenz auf dem Feld der katholisch-evangelischen Ökumene hinterlassen. Bereits während seiner Zeit als Mainzer Professor wurde er 1969 Mitglied im Arbeitskreis katholischer und evangelischer Theologen, 1988 übernahm er den Vorsitz der katholischen Seite. Vieles, was später zwischen Protestanten und Katholiken möglich wurde, wurde hier Jahrzehnte zuvor angedacht. So kann man Lehmann auf katholischer Seite als einen der wichtigsten Köpfe der Ökumenebewegung in Deutschland bezeichnen.

In seiner Grußbotschaft am Schluss des Mainzer Festgottesdienstes zitierte Kirchenpräsident Volker Jung von der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau das berühmte Diktum Lehmanns: „Für die Ökumene gibt es keine Alternative.“ Und er berichtete von einem ökumenischen Treffen kirchenleitender Persönlichkeiten aus dem Jahr 2009, in dem Lehmann erklärte: „Die geistliche Not der konfessionsverschiedenen Ehen hat mich zur Ökumene geführt. Diese Unruhe muss ein wichtiger Motor für unseren ökumenischen Einsatz sein.“ Volker Jung betonte damals im Mainzer Dom: „Karl Lehman nimmt als Seelsorger wahr, was die Menschen bewegt. Wie kein anderer hat er die Ökumene in Deutschland vorangebracht und geprägt. Ihm ist es zu verdanken, dass wichtige ökumenische Erklärungen erschienen sind.“ Die Worte des evangelischen Kirchenpräsidenten rührten den Kardinal sehr.

Karl Lehmann sah den Platz seiner Kirche mitten im öffentlichen Leben, in Politik und Gesellschaft. „Die Kirche kann sich nicht auf ihre eigene, wirkliche oder angeblich heile Welt zurückziehen." Lehmann war es besonders wichtig, sich um die Menschen zu kümmern, die Hilfe benötigen. Für orthodoxe Prinzipienreiterei war er einfach zu klug.

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Sehr geehrter Herr Kopp, den Aussagen Ihrer Würdigung stimme ich ohne Wenn und Aber zu. – Bis auf eine Aussnahme; Sie schreiben u.a.:

„Lehmann ist ein Geistesverwandter von Papst Franziskus, dem es wichtiger ist, sich um gefährdete Menschen zu kümmern, als den Fortbestand der Kirche als Institution und die traditionelle Theologie ganz oben auf die Prioritätenliste zu setzen.“

Ganz sicher bin ich mir, dass – wie die FAZ am 9.5.2016 geschrieben hat – Lehmann in keinem Fall als ein „Geistesverwandter“ von Papst Franziskus herangezogen werden kann, wenn das kath. Kirchenoberhaupt einer Wiedereingliederung der Pius-Brüder in den Schoß der kath. Kirche zustimmen würde, ohne dass diese zuvor sich nicht dezidiert zu allen (!!!) Ergebnissen des 2. Vatikanums bekennen – vor allen zu den Punkten Religionsfreiheit, Gewissensfreiheit und dem Inhalt von Nostra aetate.
Lehmann hat sich schon zu Beginn der 90-iger Jahre aus pastoralen Gründen für die Erlaubnis der Eucharistieeinnahme von wiederverheiratet Geschiedenen eingesetzt. Das ehrt ihn!

Doch wenn Franziskus seine Zustimmung – ohne Vorbedingungen - für die Wiedereingliederung der Pius-Brüder geben sollte, so ehrt dieser Vorgang den gegenwärtigen Papst nicht (!), sondern würde ihn als Konzilsleugner (!!!) entlarven (Hand in Hand mit den Piusbrüdern) in einer für die kath. Kirche zentralen Errungenschaften des 2. Vatikanums.

Paul Haverkamp, Lingen

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