Foto: Thimfilm
02.12.2011

Roman war nie richtig „draußen“. Er ist als Kleinkind ins Heim gekommen, seine Mutter kennt er nicht. Mit vierzehn hat er bei einer Auseinandersetzung einen anderen Teenager getötet – Jugendstrafvollzug. Mit neunzehn soll Roman Bewährung bekommen, doch es scheint, als wolle und könne er nicht mehr raus aus dem kleinen Leben, dem einzigen, das er kennt: ein Bett, ein Fernseher, ab und zu eine Schwimmstunde mit anderen Anstaltsinsassen, Treffen mit seinem Bewährungshelfer.

Aber Roman braucht einen Job, und eines Tages findet er heraus, was das sein soll: Er fängt bei der Wiener Bestattung an – Leichentransporte. Es ist schwere, traurige Arbeit; mit den Kollegen, die schon lange dabei sind, hat der schweigsame, verschlossene Junge nichts gemeinsam. Trotzdem wird die Stelle zum Ausgangspunkt einer Selbstfindung: Ganz langsam, ganz allmählich lernt Roman, sich seiner unglücklichen Biografie, dem Trauma seiner Kindheit zu stellen.

Karl Markovics und die Tristesse des Lebens

Zu behaupten, dass der Schauspieler Karl Markovics in seinem ersten selbstinszenierten Spielfilm von einer gelungenen Resozialisierung erzählt, ist nicht falsch. Aber es sagt nichts über die Empfindsamkeit, mit der die Tristesse und der Zwang eines Lebens erfasst werden, dass keinem Kind, keinem Jugendlichen zugemutet werden dürfte.

Wortkarg, aber in  sprechenden visuellen Details, mit einer bemerkenswert gelungenen Mischung aus sozialem Realismus und Stilisierung entfaltet der Film seine Milieus und Settings: die inhumane Architektur der Anstalt, die Erbärmlichkeit der Zellen – es reicht nicht mal für einen Topf, in den Roman seinen  Tauchsieder hängen könnte ‒, die Rituale der Überwachung und Kontrolle, den kühlen Code der Bestatter, die Nicht-Orte Wiens, vom Bahnhofsvorplatz bis zum Ikea-Möbelhaus.

Eine erstickende Atmosphäre ist das – immer wieder gerät Roman in Situationen, die ihm die Luft nehmen. Dass der Film seinem Helden am Ende zutraut sich freizuschwimmen, hat etwas Erlösendes. „Atmen“ ist der Bildungsroman eines Jugendlichen, der eigentlich keine Chance hat.
 

Atem (Österreich 2011)  Regie und Buch: Karl Markovics; Kamera: Martin Gschlacht; Schnitt: Alarich Lenz; Musik: Herbert Tucmandl; Darsteller: Thomas Schubert (Roman Kogler), Karin Lischka (Margit Kogler), Gerhard Liebmann (Walter Fakler), Georg Friedrich (Rudolf Kienast) u.a.; 93 Min.;
Kinostart: 8. Dezember 2011

Den Trailer zum Film finden Sie hier.

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"Sich seinem Leben zu stellen", könnte als die gnadenlose Marotte einer apokalyptischen, weil vom härtesten Realismus ausgebeuteten Zeit, beschrieben werden, geprägt durch das Medium Schaulust und Angst.
Ohne das Wissen um Gott scheint ein Menschenleben sehr einsam.

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