Protestschild in Chemnitz
Protestschild in Chemnitz
Jannis Grosse/ZUMAPRESS/picture alliance
Der Aufkleber auf dem Briefkasten zeigt Mut
Ermüdung und Aufbruch
Viele von uns in den ostdeutschen Bundesländern sind ermüdet, angestrengt von dem stetigen Kampf gegen rechte Mehrheiten. Da hilft jedes kleine Zeichen, vor allem auf dem Land, wo sich alle gut kennen
08.04.2024

Wenige Grundstücke weiter lebt ein älteres Paar in einem eigenen Haus. Seit einiger Zeit haben sie neue Aufkleber an ihrem Briefkasten angebracht. „Nie wieder“ steht auf einer symbolischen Israelflagge. „Herz statt Hetze“ und „Nächstenliebe verlangt Klarheit“ sind schon lange aufgeklebt. 

Ich kann mich noch gut an eine zufällige Begegnung mit der Frau dieses älteren Paares im November letzten Jahres erinnern. Wir gingen ein Stück Weg gemeinsam. Obwohl wir uns kaum kennen und uns eigentlich nur im Vorbeigehen grüßen, sprach ich sie auf ihren Briefkasten an. Ich sagte ihr, dass mir der Aufkleber aufgefallen sei, und ich die dort angebrachten Aussagen richtig finde. 

Die Reaktion auf meinen Zuspruch beschäftigt mich bis heute immer wieder: „Viel mehr können wir ja gegen die Entwicklungen nicht machen“. Das höre ich oft, vielen geht es so. Viele sind ermüdet in Anbetracht der gesellschaftspolitischen Entwicklungen. 

Seit Jahren etabliert sich immer mehr und scheinbar selbstverständlich Gedankengut, das mit seinem neurechten, rassistischen, nationalistischen und unsozialen Inhalten das demokratische Miteinander empfindlich in Frage stellt. Ca. ein Drittel der Menschen scheinen entschlossen, einer Partei mit diesem Wertekanon bei den kommenden Wahlen ihre Stimme geben zu wollen. Es beschäftigt die Menschen. Sehr schnell drehen sich die Gespräche um diese Situation, ganz gleich, ob im privaten oder beruflichen Kontext. Das Anstrengende dabei ist u.a., immer wieder neu die Irritation und Verunsicherung über diese Haltungen zu überwinden. Und immer wieder aufzuklären, Optionen aufzuzeigen, einzuladen auf das Miteinander zu achten und dabei trotzdem nicht auszugrenzen. 

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Häufig werde ich gefragt. Ob ich Rat wüsste, wie mit der AfD-affinen Verwandtschaft oder dieser und jener Situation und Entwicklung umgegangen werden könnte. Nun leben das ältere Paar aus der Nachbarschaft und ich in einem großstädtischen Ballungsraum, hier gibt es breitere gesellschaftlichere Strömungen.

Im ländlichen Raum sind diese Mehrheiten nicht mehr so breit aufgestellt. Es lässt sich eine Hegemonie zugunsten der AfD und anderer demokratiefeindlicher Parteien und Gruppierungen feststellen. Dort, wo „jeder jeden“ kennt, fällt es viel schwerer, sich kritisch zu äußern – und sei es nur ein Aufkleber auf dem eigenen Briefkasten. 

Auch deshalb schaue ich bei den Aufzählungen weniger auf die Großstädte, wo überall nach den Correctiv-Enthüllungen gegen eine ausgrenzende und diffamierende rechtsorientierte und in Teilen rechtsextreme Politik demonstriert wird. Für Dresden ist es auch eine Art Aufbruch, dass binnen weniger Wochen bereits mehrfach Zehntausende auf den Straßen waren. Das hat es so bislang nicht gegeben. Noch größer sind diese Aufbrüche im Kleinstädtischen, im Ländlichen. Es hat eine deutlich größere Bedeutung, wenn sich dort mehrere hundert Menschen öffentlich zusammenfinden und deutlich äußern. Menschen erleben, dass sie nicht alleine sind. Dass sie etwas gegen diese Entwicklungen unternehmen können. Es ist auch ein gegenseitiger Zuspruch, ein gegenseitiges Bestärken. Es schafft Verbindendes. Das wird vielleicht die Zuspruchsquoten für antidemokratische Kräfte nicht schnell abschmelzen. Aber es verändert die Stimmung für die Wahlen. 

Vor ein paar Tagen begegnete ich auf meinem eiligen Weg zum Bahnhof dem Mann des älteren Paares aus der Nachbarschaft. Es blieb wieder einmal für nicht mehr Zeit, als sich im Vorbeigehen zu grüßen. Ich habe allerdings noch mit einem schnellen Blick wahrgenommen, dass er jetzt deutlich erkennbar einen großen Anstecker an seiner Kleidung trägt: „Opas gegen rechts“.

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Danke für diesen positiven Text in herausfordernden Zeiten!

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Kolumne

Christian Kurzke

Christian Kurzke ist Studienleiter an der Evangelischen Akademie Sachsen. Täglich diskutiert er mit Menschen, die anders denken als er. Er will versuchen, sie zu verstehen, und schreibt über diese und andere Fragen in seiner Kolumne, alle zwei Wochen montags.