jhc
Was von diesen Tagen übrigbleibt
Viele wollen sich jetzt äußern oder haben den Eindruck, sie müssten sich erklären. Das führt manchmal zu sinnvollen Verlautbarungen, gelegentlich nur zu Pflichtübungen. Ich bin froh, dass die Weltpresse von mir nichts in dieser Richtung erwartet. Ich wäre ja noch gar nicht so weit. Deshalb nur hier einige Splitter: Erlebnisse, Gespräche, Aufgelesenes.
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
03.11.2023

Ein Kollege schickt mir eine Erklärung des Rates Berliner Imame, die ich ziemlich gelungen finde, gerade weil sie keine politische Erklärung, sondern eine seelsorgerliche Orientierung bietet und die Klarstellung, dass man sich über den Tod anderer Menschen niemals freuen darf. Ich leite sie weiter. Denn sie unterscheidet sich wohltuend von den peinlichen Verlautbarungen mancher Islamverbände.

Ein Kollege schickt mir den Entwurf einer Verlautbarung, den er seiner Synode vorschlagen möchte. Er ist im christlich-muslimischen Dialog engagiert. Es ist ein guter, ausbalancierter Text und versucht etwas, was sonst keinen Raum im öffentlichen Gespräch findet – ein seelsorgerlich vertieftes Verständnis für andere. Vielleicht ist dafür aber noch nicht die Zeit.

Mit einer Journalistin schreibe ich mir E-Mails. Sie hat einen klugen Artikel darüber geschrieben, dass viel zu wenige demokratische Palästinenser sich öffentlich Wort melden. Nicht alle von ihnen sind Muslime oder gar Islamisten. Es gibt unter ihnen auch Christen, Kulturmuslime, Säkulare, israelische Staatsbürger. Warum hört man nichts von ihnen? Aber wir haben gut reden.

Eine Chorleiterin ruft mich an. Sie braucht Beratung, weil ihr Chor das Oratorium „König David“ von Arthur Honegger aufführen will. Geht das jetzt? Warum denn nicht? Gerade jetzt. Ob sie irgendeine Proklamation vorschalten sollten? Wir verständigen uns darauf, dass sie den Mitteln der Kunst vertrauen sollten.

Ich stehe vor derselben Frage. Soll ich bis auf weiteres jeden Gottesdienst zu einem Israel-Palästina-Themengottesdienst umwidmen? Aber wie soll ich dieses Thema nicht thematisieren? Ich versuche, den Mitteln des Gottesdienstes zu vertrauen. Ein Gedicht zu Beginn, ein Psalm, Lieder, Gebete und die Stille können Raum geben für Entsetzen, Mitempfinden, Angst und Gedenken. Dann kann sich die Predigt auch um anderes drehen.

Vor 1 ½ Monaten hatte der Chor übrigens Händels Oratorium „Saul“ gegeben – hinreißend, tief- und feinsinnig, zwischendrin immer verstörende Assoziationen zum Heute. Jetzt lese ich in der Zeitung, dass ein Chor in Cambridge dieses Stück abgesagt hat, weil es Gefühle verletzen könnte. Manche Leute haben kein Vertrauen in die Kunst und in ihre Mitmenschen.

An einer Tagung über christlichen Antisemitismus wirke ich mit. Beim Hinfahren frage ich mich, ob das gegenwärtig unser drängendstes Problem ist. Dann höre ich davon, wie Grundmuster eines christlichen Antisemitismus in säkularen Nachfolgegestalten weiterwirken, und bin froh über die Chance zur kritischen Selbstprüfung. Besonders dankbar und aufgewühlt bin ich nach dem Beitrag eines jüdischen Mitwirkenden. Seinen Vortrag hatte er zur Seite gelegt und eine ¾-Stunde von seinen Erlebnissen und Empfindungen berichtet. Ein kostbarer Vertrauensbeweis.

Telefonat mit einem Freund. Er war mit seiner Familie zu einer deutsch-israelischen Hochzeit nach Tel Aviv gefahren. Um 6h morgens werden sie am 7. Oktober von Sirenen geweckt, rennen in den Keller und bleiben dort – lange, bis endlich ein Flugzeug sie nach Istanbul bringt.

Ein anderes Telefonat: Ich höre von einer Gala mit Preisverleihungen. Jeder der vielen Laudationes ist eine Verlautbarung über irgendein drängendes Gegenwartsproblem vorgeschaltet. Das muss heute wohl so sein. Fast alle aktuellen Krisen werden abgearbeitet, bis hin zur Altersarmut von Künstlern, in der Tat ein echtes Problem. Das Wort „Israel“ fällt an diesem langen Abend kein Mal.

Am Abend des Reformationstages ein Solidaritätskonzert für Israel (siehe Foto). Das Haus ist voll. Ich kenne viele. Es gibt auch Reden, Lesungen, aber das Entscheidende sind Chansons auf Hebräisch. Berührt und irgendwie glücklich, dass dieses Konzert aus Anlass dieser Schrecken möglich war.

P.S.: In meinem Podcast "Draußen mit Claussen" spreche ich mit meiner Kollegin Sabine Dreßler über den neuen Ökumenischen Bericht zur Religionsfreiheit - weltweit und bei uns.

Permalink

Es gibt einen christlichen Antisemitismus? Wirklich? Als Problem, so im Sinne von - da sollten wir mal drüber reden, bevor das aus dem Ruder läuft? Wir haben das Jahr 2023. Jahrzehnte, nachdem wir einen demokratischen Staat gegründet haben und den Vergesslichen ins Grundgesetz gemeisselt haben, dass wir das jetzt nicht mehr machen mit der systematischen, industriellen Menschenvernichtung, dass wir nicht mehr deren Eigentum rauben und wie das hier läuft bei uns ab jetzt, mit der Würde des Menschen und der Religionsfreiheit. Das können Sie denen mal unters Kopfkissen legen, die glauben, sie hätten das Recht, im Namen der Religion eine Art Unbehagen gegenüber anderen Menschen zu entwickeln und das dann auch noch religiös zu begründen. Kann kein Problem meiner Kirche sein. Würde ich schwänzen diese verkopfte Tagung alter und neuer Spinner und mich den zum Himmel schreienden, echten Problemen zuwenden. Da gäbe es genug zu tun. Ausgrenzung ist unchristlich. Vollkommen unerheblich, ob sie akademisch christlich daherkommt oder von rechts aussen und fundamentalistisch.

Irgendwo in einem alten Buch habe ich von einem Mann mit dem Namen Paulus, oder Saulus, oder so ähnlich gelesen. Der beschreibt die Christenheit als einen Weinstock der auf die Wurzeln des Judentums aufgepfropft worden ist. Damit hätte sich, zumindest für die Gegenwart wie ich sie wahrnehme, dieses unappetitliche Thema für Christen erledigt.

Ja, und wie Himmelschreiend alleine die Tatsache ist das viele Menschen in Deutschland Jesus als den Erlöser gar nicht mehr kennen. Sicher es gäbe noch andere Themen die Beachtung verdienen würden, aber unsere oberste Aufgabe als Kirche ist der Missionsbefehl! Alleine Hier ist so viel zu tun, Millionen Menschen warten auf uns.

Hallo, ich stosse mich an dem Adjektiv unappetitlich. In der Zeit, in der der deutsche Antisemitismus in seine unerreicht tötliche Phase übergegangen ist, zufällig als auch das Geld knapp wurde für den weltweiten Raubzug, da gab es ja durchaus Kirchenmänner, die nicht aufgehört haben, laut dagegen zu protestieren und es gab andere, denen das Hemd näher war als der Rock, es ist leicht zu urteilen, wenn man nicht von Folter und Ermordung bedroht ist. Aber bleiben wir bei den Ehrhaften und Tapferen, in DEREN Position hat sich doch die Kirche der Moderne zu stellen. Es ist ja geradezu widerlich, wenn Antisemitismus in der heutigen Kirche ein Problem darstellt, zu dem man eine Tagung abhalten müsste. Gott und sein Sohn und dessen Mutter, das sind Angebote. Mir geht es gut, mit dem Glauben, ich hadere natürlich auch und da mal ein paar Fragen an Gott, warum er sich so rar macht, angesichts des Leids in der Welt und angesichts der Bedrohung seiner wunderbaren Schöpfung. Aber das liegt nur an unserem Unvermögen, ins ein Bild von Gott zu machen. Machen wir ja trotzdem, aber davon wird's nicht besser.
Gott als Angebot heisst, wir können etwas von ihm lernen, eine Handschrift erkennen, einen Kurs, eine Idee, wohin die Reise geht und was wir als Individuen und Gesellschaft tun können, um nicht wie die Tiere aufeinander los zu gehen. Aber das alleine ist schon extrem viel. Das kann man annehmen, als Geschenk oder eben nicht. Ich kann jemandem davon erzählen, wenn er das hören möchte, aber ihn missionieren? Wirklich? So als Befehl ? Glaube ich nicht und warum sollte man das überhaupt tun. Ihr Pfarrer rennt ja seinen Schäfchen auch nicht hinterher, sondern schafft ein Angebot. Angesichts der gewaltigen Aufgaben, vor denen die moderne Kirche heute steht, angesichts der himmelschreienden Ungerechtigkeiten weltweit, aber auch in Deutschland, ist es höchste Zeit, die bequemen gewordene Kirche aufzurütteln, Schluss jetzt mit der Bauchnabelschau und dem peinlichen Rumgewinsel um Kirchenaustritte. Eine Kirche, die die Ärmel hochkrempelt, an der Seite der Erniedrigten laut wird und nicht nur Suppe verteilt, die Position bezieht, so wie ihre mutigen Priester in finsterer Zeit, also wenn das missionieren ist, dann gibt es einen Befehl, ganz klar. Aber eine Kirche, die sich nur mit sich selbst beschäftigt, die Ungerechtigkeit diskutiert, die Antisemitismus als intellektuelles Thema behandelt, was wollen die mit der? Soll die was vom Erlöser erzählen? Wer soll da zuhören oder das verstehen?

Hallo, ich stosse mich an dem Adjektiv unappetitlich. In der Zeit, in der der deutsche Antisemitismus in seine unerreicht tötliche Phase übergegangen ist, zufällig als auch das Geld knapp wurde für den weltweiten Raubzug, da gab es ja durchaus Kirchenmänner, die nicht aufgehört haben, laut dagegen zu protestieren und es gab andere, denen das Hemd näher war als der Rock, es ist leicht zu urteilen, wenn man nicht von Folter und Ermordung bedroht ist. Aber bleiben wir bei den Ehrhaften und Tapferen, in DEREN Position hat sich doch die Kirche der Moderne zu stellen. Es ist ja geradezu widerlich, wenn Antisemitismus in der heutigen Kirche ein Problem darstellt, zu dem man eine Tagung abhalten müsste. Gott und sein Sohn und dessen Mutter, das sind Angebote. Mir geht es gut, mit dem Glauben, ich hadere natürlich auch und hätte da mal ein paar Fragen an Gott, warum er sich so rar macht, angesichts des Leids in der Welt und angesichts der Bedrohung seiner wunderbaren Schöpfung. Aber das liegt nur an unserem Unvermögen, uns ein Bild von Gott zu machen. Machen wir ja trotzdem, aber davon wird's nicht besser.
Gott als Angebot heisst, wir können etwas von ihm lernen, eine Handschrift erkennen, einen Kurs, eine Idee, wohin die Reise geht und was wir als Individuen und Gesellschaft tun können, um nicht wie die Tiere aufeinander los zu gehen. Aber das alleine ist schon extrem viel. Das kann man annehmen, als Geschenk oder eben nicht. Ich kann jemandem davon erzählen, wenn er das hören möchte, aber ihn missionieren? Wirklich? So als Befehl ? Glaube ich nicht und warum sollte man das überhaupt tun. Ihr Pfarrer rennt ja seinen Schäfchen auch nicht hinterher, sondern schafft ein Angebot. Angesichts der gewaltigen Aufgaben, vor denen die moderne Kirche heute steht, angesichts der himmelschreienden Ungerechtigkeiten weltweit, aber auch in Deutschland, ist es höchste Zeit, die bequemen gewordene Kirche aufzurütteln, Schluss jetzt mit der Bauchnabelschau und dem peinlichen Rumgewinsel um Kirchenaustritte. Eine Kirche, die die Ärmel hochkrempelt, an der Seite der Erniedrigten laut wird und nicht nur Suppe verteilt, die Position bezieht, so wie ihre mutigen Priester in finsterer Zeit, also wenn das missionieren ist, dann gibt es einen Befehl, ganz klar. Aber eine Kirche, die sich nur mit sich selbst beschäftigt, die Ungerechtigkeiten nur durchdiskutiert, die Antisemitismus als intellektuelles Thema behandelt, was wollen die mit der? Soll die uns was vom Erlöser erzählen? Wer soll da zuhören oder das verstehen?

Neuen Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.

Plain text

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.

Kolumne