Eine Holzbrücke, die am Starnberger See ins Wasser führt
Nach einer Tagung am Starnberger See
Johann Hinrich Claussen
Worum es im Leben geht - und wo meine Kirche hilft
Wozu die evangelische Kirche gut sein kann
Die Zeiten sind verwirrend und beängstigend. Gegenwart und Zukunft stiften kaum Orientierung. Aber mir hat vor kurzem ein zufälliger Blick in die Vergangenheit dabei geholfen, eine Idee davon wiederzugewinnen, worum es im Leben geht und wofür meine Kirche da ist.
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
11.01.2024

Das war ein unerwartetes Geschenk. Ich hatte einen Vortrag gehalten und erhielt dafür vom Veranstalter etwas Selbstgemachtes, nämlich die Kopie eines Aufsatzes, den er vor einigen Jahren an einer für mich versteckten Stelle veröffentlicht hatte. Die Lektüre sollte sich als nahrhafter erweisen als all die Schokoladen, Honigtöpfe, Tees oder Weinflaschen, die ich sonst nach einem Vortrag oder einer Lesung geschenkt bekomme (keine Sorge, beamtenrechtlich alles nicht zu beanstanden, weil unter der Erheblichkeitsschwelle).

In seinem Aufsatz hatte mein Gastgeber Briefe versammelt und ausgewertet, die sein Großvater, ein ganz normaler Hamburger Kaufmann, im Sommer 1943 an seine Familie geschrieben hatte: über den Feuersturm, das Grauen des Krieges, all die Toten und Zerstörungen, wie plötzlich nichts mehr war wie früher, wie er für sich und die Seinen sorgte, wie es irgendwie weiterging.

Besonders beeindruckt hat mich, welche Bedeutung sein Glaube für Hans Benthack gehabt hat und welche Stärkung er in seiner Kirchengemeinde gefunden hat. Unkritisch war er nicht. Zu manchem, weniger überzeugenden Pastor fiel ihm nur ein Stoßseufzer ein: „äußere Kirche!“ Er war keineswegs übermäßig fromm. Vielleicht konnte er gerade als „normaler Protestant“ präzise sagen, was er an seiner Kirche in dieser Notzeit hatte. Sein Enkel, mein Gastgeber, hat dies am Ende seines Aufsatzes so zusammengefasst:

„Für die Gemeinde ist erstens das einzelne Gotteshaus ein Ort, an welchem Menschen Ruhe finden und das erlebte Grauen reflektieren können. Zweitens wird die soziale Dimension der Kirchengemeinde durch die vermittelten Begegnungen erkennbar, die dazu beitragen, dass der einzelne sich als Teil einer Schicksalsgemeinschaft erfahren und an anderen eine mentale Stütze finden kann. Drittens zeigt sich die evangelische Kirche als ein staatsunabhängiges, weitgespanntes Informationsnetz, das Mitteilungen über die Moral der Truppe, Kriegsschauplätze und das Ausmaß der Zerstörungen zu transportieren in der Lage ist. Schließlich erscheint die Kirche als Institution, die durch ihre Botschaft persönlichen Halt und im Falle geeigneter Pfarrer Hoffnung vermitteln kann. Dabei ist der individuelle Glaube bei Benthack von äußeren Erscheinungen der innerweltlichen Kirchenorganisation unabhängig. Wohl aber sind die Inhalte, die ihm Hoffnung geben, institutionell durch die christliche Gemeinde tradiert worden.“

Kann man es präziser sagen? Mir jedenfalls hat es den benötigten Schwung gegeben, um wach ins Neue Jahr zu gehen.

P.S.: Vielen Dank, lieber Jürgen Plöhn!

P.P.S.: Das Foto habe ich im vergangenen Oktober in Tutzing am Starnberger See aufgenommen, wo ich an einer Tagung über christlichen Antisemitismus teilgenommen hatte. Zwei Wochen nach dem Angriff der Hamas auf Israel.

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