Klimazone - Autobahn
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"Es kann sein, dass 2027 alle eine Wärmepumpe haben wollen"
Es gibt ihn längst, den EU-Emissionshandel. Aber bald soll er stärker als bisher dabei helfen, den CO2-Ausstoß zu senken. Doch darüber reden fast nur Fachleute. Warum das so ist und warum ein Emissionshandelssystem kein Allheilmittel ist, erklärt Anne Gläser im Interview
Tim Wegner
24.07.2023

Diesen (Interview-)Blogeintrag sollten Sie lesen, wenn

  • Sie verstehen möchten, wie CO2 einen Preis bekommen hat
  • Sie einschätzen möchten, was CO2-Preise auf dem Weg zur Klimaneutralität bringen und
  • Sie wissen möchten, ob der Emissionshandel allein unser Klimaproblem lösen kann.

Nachdem das Interview mit Hans-Erhard Lessing über die vermeintlich falsche Form der Fahrradrahmen auf viel Interesse gestoßen ist, kommt die Klimazone dieses Mal wieder als Interview daher. Es gibt eben viele Themen, in denen Expertinnen viel fitter sind als ich. Das ist auch dieses Mal so: Ich weiß zwar, dass wir vermutlich weniger Kohlendioxid austoßen, wenn es mehr Geld kostet, Kohle, Öl oder Gas zu verbrennen. Aber wie genau funktioniert die CO2-Bepreisung? Und stimmt es, dass ein ehrgeiziger Emissionshandel uns wie von Geiterhand klimaneutral werden lässt? Diese und weitere Fragen habe ich Anne Gläser gestellt, sie ist Referentin für CO2-Preise bei Germanwatch, einer unabhängige Umwelt-, Entwicklungs- und Menschenrechtsorganisation, die sich für eine zukunftsfähige globale Entwicklung einsetzt.

Welche Modelle gibt es, um Kohlendioxid einen Preis zu geben?

Anne Gläser: Es gibt zwei Ansätze, die CO2-Steuer und Emissionshandelssysteme. In Deutschland gibt es beides.

Können Sie uns bitte einen Überblick geben?

Seit 2005 gibt es den europäischen Emissionshandel, der natürlich auch hierzulande gilt. Allerdings umfasst er nicht alle Bereiche, sondern die Sektoren Energie, Industrie, Schifffahrt und Flugverkehr. Und er hatte anfangs kaum Auswirkungen, denn die Preise für CO2-Zertifikate waren anfangs sehr niedrig; noch immer werden viele Zertifikate umsonst ausgegeben. Seit 2021 gibt es in Deutschland zusätzlich ein nationales Emissionshandelssystem, das Bereiche umfasst, die auf EU-Ebene noch außen vor sind, nämlich die Sektoren Straßenverkehr und Wärme. Allerdings funktioniert das Emissionshandelssystem in Deutschland aktuell eher wie eine CO2-Steuer.

Warum ist das so?

Die Preise sind von der Politik festgelegt: Aktuell liegt der Preis bei 30 Euro je Tonne CO2bis 2025 soll er auf 45 Euro steigen. Mit einer CO2-Steuer  verteuern sich Waren und Produkte, die klimaschädlich sind, zum Beispiel der Liter Benzin an der Tankstelle. Eine Steuer hat einen großen Vorteil: Man weiß genau, wie sie sich auf die Preise auswirkt. Das ist transparent. Der Nachteil einer CO2-Steuer ist: Man weiß nicht, wie stark die Emissionen sinken.

Warum nicht?

Weil man nicht vorhersagen kann, wie Menschen und Märkte auf die Steuer reagieren. Deswegen ist auch unklar, wie stark die Emissionen sinken. Das ist beim Emissionshandel, dem zweiten Modell einer CO2-Bepreisung, genau andersherum.

Inwiefern?

Man weiß, wie stark die Emissionen sinken werden – aber man kennt nicht den CO2-Preis.

Das müssen Sie bitte erklären!

Die Regierung – bei uns in Deutschland entweder die EU oder die Bundesregierung – legt eine Obergrenze an Emissionen fest. Unternehmen brauchen für jede Tonne CO2, die sie ausstoßen, ein Zertifikat. Es gibt aber nur eine begrenzte Anzahl an den Zertifikaten, und ihre Anzahl nimmt mit der Zeit ab. So weiß man genau, wie stark die Emissionen zurückgehen werden, doch der Preis bildet sich am Markt und ist nicht vorhersehbar. Die EU hat beschlossen, ihr Emissionshandelssystem ab 2024 ehrgeiziger zu gestalten und ab 2027 auszuweiten.

Es gibt viel Streit um das sogenannte Heizungsgesetz. Hätte man sich diesen Ärger sparen und auf Zeit setzen können, weil der striktere EU-Emissionshandel Öl- und Gasheizungen ohnehin verteuern wird, sodass viele Menschen Wärmepumpen oder andere Alternativen einbauen?

So einfach ist das leider nicht. Ein Emissionshandelssystem bietet nur bedingt Investitionssicherheit.

Warum nicht?

Weil die Preise für CO2 beim Emissionshandel nicht vorhersehbar sind, nicht einmal für Expert*innen. Das bedeutet: Ein Privathaushalt weiß heute nur, dass der EU-Emissionshandel 2027 unter anderem auf das Heizen von Gebäuden ausgeweitet wird – kann aber nicht wissen, wie hoch der Gaspreis danach sein wird. Wer sich heute doch noch eine neue Gasheizung kauft, muss wissen: Fossile Energieträger wie Gas werden in Zukunft in der EU teurer. Aber wie hoch die Preise sein werden, weiß heute noch niemand.

Und das heißt?

Instrumente wie das sogenannte Heizungsgesetz, die einen klaren Fahrplan aufzeigen, bis wann man bestimmte Heizungen noch einbauen darf, sind sehr wichtig. Alleine der Emissionshandel reicht nicht. Es kann sein, dass die Preise für Gas 2027 schon so hoch sind, dass alle sofort eine Wärmepumpe haben wollen. Und dann stehen die Leute vor dem vor dem Problem, ihre Heizung loswerden zu müssen, die sie sich drei, vier Jahre vorher noch gekauft haben. Plötzlich wollen 2027 alle Haushalte eine Wärmepumpe haben. Dann sind die Handwerksbetriebe überlastet. Wir brauchen Planungs- und Investitionssicherheit, und die schafft der Emissionshandel nicht – es sei denn, es gäbe einen Höchst- und einen Mindestpreis für CO2. Wir von Germanwatch fordern deshalb genau das.

Anhänger des Emissionshandelns wie der Ökonom Achim Wambach  oder auch die FDP argumentieren: Der Emissionshandel solle alle Bereiche und Sektoren umfassen und es solle nur die Menge an Zertifikaten ausgegeben werden, die der Menge an CO2 entspricht, die die Atomsphäre noch aufnehmen kann, ohne die Klimaziele zu gefährden. Die Zertifikate seien knapp und würden immer teurer, das löse klimafreundliche Innovationen aus und eines Tages seien wir klimaneutral unterwegs – fast wie von Geisterhand. Das klingt doch überzeugend!

Theoretisch ja. Aber aus meiner Sicht ist ein Emissionshandelssystem kein Allheilmittel, sondern ein Baustein im Werkzeugkasten des Klimaschutzes. So ein System sollte auf jeden Fall flankiert werden von anderen Maßnahmen. Wenn man alles nur dem Markt überlässt, gibt es viele Nachteile und es droht ein Klimaschutz mit sozialer Schieflage.

Welche zum Beispiel?

Der Preis für CO2 könnte plötzlich in Höhen steigen, die wir nicht so schnell bewältigen können. Die Industrie zum Beispiel muss längerfristig planen und investieren können. Steigt der Preis für CO2 rapide, müsste sie quasi ab morgen mit grünem Wasserstoff produzieren, zum Beispiel Stahl. So ein kompletter Umbau der Produktion geht aber nicht von heute auf morgen. Und wenn das Benzin so teuer wird, dass sich kaum noch jemand leisten kann, einen Verbrenner zu fahren, ohne dass das Schienennetz, die Ladesäulen für Elektroautos oder die Fahrradwege ausgebaut sind, kommt von heute auf morgen niemand mehr zur Arbeit. Das wäre zu disruptiv, deswegen muss man einen Emissionshandel immer mit anderen Maßnahmen flankieren – wie eben zum Beispiel dem Ausbau des Schienennetzes oder Ladesäulen für E-Autos.

Aber was die EU ab 2024 und dann, in einem zweiten Schritt, ab 2027 mit dem Emissionshandel vorhat, ist meinem Eindruck nach sehr weitreichend und wird uns alle betreffen, wir müssen ja auch dringend runter mit den Emissionen. Haben Sie eine Erklärung dafür, dass eher selten darüber berichtet wird, was in eineinhalb und dreieinhalb Jahren kommt?

Den Eindruck teile ich. Das Thema ist komplex und vielleicht zu unsexy für Medien. Auch vielen Journalist*innen ist noch nicht klar, welch weitreichenden Folgen das haben wird.

Was kommt konkret auf uns zu?

Es gibt zwei verschiedene Emissionshandelssysteme in der EU, nämlich den Emissionshandel für die Bereiche Energie, Industrie, Schifffahrt und Flugverkehr. Der existiert schon, der wird aber 2024 angeschärft, also ambitionierter gemacht. Das Ziel ist, dass die Emissionen in diesen Bereichen jährlich doppelt so schnell zurückgehen wie bisher. Dadurch werden beispielsweise die erneuerbaren Energien noch wettbewerbsfähiger und der Kohleausstieg wird stark beschleunigt.

Betrifft das auch Flüge und Kreuzfahrten?

Ja, auch Flüge und Kreuzfahrten fallen darunter und werden Jahr für Jahr teurer. Der zweite EU-Emissionshandel wird 2027 eingeführt, und zwar für die Bereiche Wärme und Straßenverkehr. Es sei denn, die Energiepreise sind 2026 sehr, sehr hoch. Dann wird der Start verschoben auf 2028.

Und das kann kein Nationalstaat mehr mehr aufhalten? Man kann sich ja leicht vorstellen, dass es Mitte 2026 in einem großen Boulevard-Medium heißt: „Jetzt kommt Emissionshandel-Hammer!“

Kein EU-Mitglied kann das allein aufhalten, allerdings haben wir 2026 eine neue EU-Kommission und ein neues EU-Parlament. Eine erneute Reform mit einer Abschwächung wäre theoretisch denkbar.

Wie hoch wird der C02-Preis 2027 sein?

Das diskutiere ich wöchentlich mit meinen Kolleg*innen und mit der Wissenschaft, denn das ist wirklich die Preisfrage, die niemand beantworten kann. Viele Expert*innen glauben: Die Preise für die Tonne CO2 werden schon Ende der 20er Jahre dreistellig sein. Mit genaueren Zahlen will noch niemand zitiert werden. Werden es 100 oder 300 Euro sein? Das wissen wir nicht.

Viele möchten bestimmt gern wissen: Was kostet der Liter Benzin oder die Kilowattstunde Gas? Derzeit beträgt der CO2-Preis 30 Euro pro Tonne, umgerechnet auf den Liter Benzin sind das etwa 8,5 Cent. Wenn er sich bis 2027 verdoppelt, wären es 19 Cent. Läge der Preis für die Tonne CO2 eines Tages fünf Mal höher, bei 150 Euro, wäre der Liter Benzin mehr als 40 Cent teurer. Man kann man sich ausmalen, wie Menschen an den Zapfsäulen fluchen.

Die Europäische Union hat deshalb einen Klimasozialfonds mitbeschlossen, um mit Einnahmen aus dem Emissionshandel die sozialen Härten abzufedern. Aber wir haben Zweifel, ob das ausreichen wird, weil der Fonds vor allem Investitionen und nicht einen direkten sozialen Ausgleich finanziert.

Welche Investitionen können das sein?

Das sind eben genau die flankierenden Maßnahmen, die es braucht, damit wir von fossiler Energie wegkommen. Förderungen für Gebäudedämmungen oder für eine Wärmepumpe zum Beispiel. Im Prinzip ist das richtig. Aber davon profitiert natürlich nicht jeder Mensch sofort. Wenn 2027 oder 2028 der CO2-Preis bei 150 Euro liegt – was nicht unwahrscheinlich ist – hilft es Menschen mit wenig Geld nicht, wann man 2027 langsam anfängt, Häuser besser zu dämmen. Wir schlagen deshalb zusätzlich ein Klimageld vor,damit Privathaushalte die steigenden Kosten für fossile Energie bewältigen und sich besser umstellen können.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Gläser!

Die "Klimazone" macht nun bis 21. August Sommerpause, dann geht es weiter mit der Frage "Was macht eigentlich ein Klimaschutzmanager?"

Ach wie ist es schön, ein Wunsch zu sein. Man braucht sich um die Realitäten nicht zu kümmern und hat auch keine Verantwortung.
Oder: Wenn alle lange genug hin- und hergehandelt haben, sind einige abgestürzt und die Rücksichtslosesten sitzen auf den dicksten Ästen.

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Wenn das nur so einfach wäre!
Mit dem Emissionshandel das Klima retten. Für einen Handel braucht man Verkäufer und Kunde, die gleiche Sprache und auch möglichst die gleichen Werte für gerechte Ergebnisse. Mit Glasperlen, wie von den Kolonialherren, geht das nicht mehr. Die Werte haben ihr vielfältiges Fundament in Kulturen und Religionen. Für die Unterschiede 4 Beispiele. Saddam Hussein hatte 100-150 Paläste mit vollständiger Infrastruktur. Ärzte, Personal, Kläranlage, Versorgung, Gemüsebeete, etc. Für den Fall das ER kommt, musste 4-mal täglich gekocht werden. ER kam aber nicht, selten und auch nicht überall. Abends musste das Essen vernichtet werden. In Indien wurde 2010 ein Einfamilienhaus für 1 Milliarde Dollar gebaut. 173 m hoch, 27 Stockwerke, 600 Personen ständiges Personal. In Afrika gab/gibt es Könige und Herrscher mit einem Fuhrpark von mehreren Dutzend Luxus-PKW (Maybach, Rolls Royce, Bentley, etc.) Frage an das Volk: „Ist das gut? AW: “Wir sind stolz einen König zu haben, der sich das leisten kann. Frau Merkel hat das nicht!“. In Indien gab/gibt es den Begriff Nächstenliebe (heute etwas differenzierter) nicht. Ziel war die höhere Wiedergeburt. Diese Beispiele sind keine zu vernachlässigenden Ausnahmen. Sie sind das Ergebnis von nach wir vor gültigen Kulturen und Werten (die Ehre in der Türkei oder in Japan), die man weder durch gutes Zureden noch durch Krieg oder Not wegwischen kann. Wenn es in der sehr kurzen Zeit von 1 Generation gelingen soll, den Startschuss für gemeinsame wirkungsvolle Aktionen zu zünden, dann müssen dafür auch die Voraussetzungen erreicht werden. Wer soll das leisten? Auch die Ärmsten der Armen? Wird der Herrscher im Vorderen Orient die Einsicht haben? Müssten dann nicht auch sofort (nicht erst in 10 Jahren) die Olympischen Spiele und alle Formel 1-Rennen abgesagt werden? Alle wollen das Beste und vergessen doch, welche Hürden bestehen. Der Gute Wille allein reicht nicht

Antwort auf von Ockenga (nicht registriert)

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"Für einen Handel braucht man Verkäufer und Kunde, die gleiche Sprache und auch möglichst die gleichen Werte für gerechte Ergebnisse." Sklavenkäufer und Sklavenverkäufer hingen denselben christlichen Werten an und betrieben einen blühenden und gerechten Sklavenhandel in den USA. Weder die Käufer noch die Verkäufer wurden systematisch übers Ohr gehauen. Werte, Handel und Gerechtigkeit bildeten damals und bilden auch heute in der Tat ein beeindruckendes Gespann.

Fritz Kurz

Es geht darum, dass für jeden Vergleich, ob Kauf oder Verkauf, Produkt gegen Produkt, Mensch gegen Mensch faire Maßstäbe und die gleichen Werte angesetzt werden. Wenn aber unterschiedliche Werte bestehen, fehlt jede Vergleichbarkeit. Oder noch genauer: Mit jedem Produkt das Sie kaufen, akzeptieren, bzw. kaufen Sie auch dessen Herstellbedingungen. Arbeits-Bedingungen die Sie für sich selbst nie akzeptieren würden. Diese Ungerechtigkeit ist nur möglich, weil Kulturen sehr unterschiedliche Werte haben. Massnahmen gegen die Klimawirkungen sind nur sinnvoll, wenn alle das gleiche auf gemeinsamer Wertebasis wollen. Von einem beeindruckenden Gespann keine Spur.

"Mit jedem Produkt das Sie kaufen, akzeptieren, bzw. kaufen Sie auch dessen Herstellbedingungen." Nein. Wenn ich Socken kaufe, kaufe ich genau die Socken, die ich kaufe, und sonst gar nichts. Ich kaufe auch nicht das Paar Socken, das im Wühltisch darüber lag, ich kaufe auch kein Hemd bei der Konkurrenz und ich kaufe bestimmt nicht die Verfügungsgewalt über die Fabrik, in der die von mir gekauften Socken hergestellt wurden.

Falls Ihnen das nicht bekannt ist, werter Herr Ockenga, können Sie ja mal einen Versuch starten. Mit den gekauften Socken und dem Kassenzettel reisen Sie zur Zentrale des bekannten deutschen Handelshauses oder gleich nach Bangladesch, legen die Socken vor und fordern, dass ab morgen wenigstens Feuerlöscher eingebaut werden in den Herstellungsräumen. Sie werden überall eine eindeutige Antwort erhalten.

Also: Das nicht nur, aber besonders in grünen Kreisen gepflegte Moralmärchen, der Käufer eines Produktes sei schuld an den desaströsen Folgen, die die freie Produktionsweise an Arbeitern, Angestellten und den Lebensgrundlagen anrichtet, ist ziemlich infam. Sonst machen Sie doch, werter Herr Ockenga, mit Empörung die durchaus zutreffende Feststellung, dass sich die Parteitage der EKD und die Kirchentage der Grünen (oder habe ich verwechselnd formuliert?) nicht mehr unterscheiden. Dann fallen Sie mir doch bitte nicht so einfach auf einen wesentlichen Schlager der grünen Moral rein!

Fritz Kurz

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