Siri und ihre Grenzen
Die Technik revolutioniert unser Leben. Und es wird immer 
deutlicher: Verantwortung zu übernehmen, das ist keine Sache für Roboter
Thomas Meyer/Ostkreuz
20.03.2018

Heinrich Bedford-Strohm ist Ratsvorsitzender der Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), Landesbischof der Evangelischen Kirche in Bayern und Herausgeber des Magazins chrismon

Darf ich Ihnen, Herr Ratsvorsitzender, dieses an die evangelische Kirche ge­richtete Papier übergeben?“ So fragte mich Pepper höf­-
lich und übergab mir feierlich das Papier des Arbeitskreises Evangelischer Unternehmer zum Thema Digitalisierung. Und ich antwortete ebenso höflich: „Danke sehr, Pepper.“  Und fügte hinzu: „Kannst du mir kurz sagen, was da drinnen steht?“ Daraufhin Pepper: „Na klar, mach ich gern.“

Und dann erklärte er mir, dass die evangelische Kirche sich mit der Digitalisierung mindestens genauso intensiv beschäftigen müsse wie mit dem Reformationsjubiläum. Dass die Digitalisierung uns radikal verändere. Und dass wir die Frage zu beantworten hätten, wie künstliche Intelligenz ethisch und theologisch einzuordnen sei.

Etwas mechanisch klang die Stimme von Pepper schon. Denn Pepper ist ein Roboter. Ein kleiner Gag bei der Presse­konferenz. Und doch sind die Fragen ernst, die sich hier für die Zukunft stellen: Welche Folgen für die ­Lebenswelt wird die digitale Revolution haben? Wird der Mensch die Kontrolle über sein Handeln immer mehr an die ­Maschinen abgeben? Wird irgendwann die ­Grenze zwischen Mensch und Roboter verschwimmen? Was werden wir antworten, wenn irgendwann ein künstlich geschaffenes menschengleiches Wesen sagt: „Herr Pfarrer, ich möchte mich taufen lassen?“

Die digitale Revolution muss von einer Bildungsrevolution begleitet sein

Wird der Mensch sich selbst zum Gott aufschwingen, so wie es der Titel des Bestsellerbuches von Yuval Harari „Homo Deus“ anklingen lässt? Und wie wird die Politik die unglaublichen Machtkonzentrationen im weltweiten Netz in den Griff bekommen können? Man muss sich nur einmal klarmachen, was es bedeutet, wenn ein privater Konzern wie Facebook jenseits jeder demokratischen ­Kontrolle durch die Änderung seiner Algorithmen mal eben so das tägliche Kommunikationsverhalten von 1,4 Milliarden Facebook-Usern umpolt.

All diese Beispiele zeigen: Wir brauchen eine intensive zivilgesellschaftliche Debatte über die digitale Revolution und ihre Folgen für das Gemeinwesen. Die digitale ­Revolution muss von einer Bildungsrevolution begleitet sein. Sie muss möglich machen, dass wir auch beim bewussten ethischen Nachdenken mit den Entwicklungen Schritt halten.

Ich habe meinen digitalen Sprachassistenten einmal gefragt: „Siri, was hältst du von der Digitalisierung?“ Die Antwort hat mir gut gefallen: „Deine Meinung zählt, ­Heinrich, nicht meine!“ Die Programmierer  haben das richtige Signal gesetzt: Wir alle sind gefragt, wenn es darum geht, die neuen Möglichkeiten der Digitalisierung zu beurteilen. Weder sie zu verteufeln, noch sie euphorisch zu idealisieren ist der richtige Weg. Digitalisierung verantwortlich zu gestalten, darum geht es.

"Das kann ich echt nicht sagen", antwortete Siri

Für mich spielt der Begriff der Verantwortung dabei eine zentrale Rolle. In ihm steckt die Dimension des Antwortens. Es gibt etwas Höheres, gegenüber dem wir uns zu verantworten haben. Wenn wir an einen Gott glauben, der uns geschaffen hat, dann gehen wir auch bewusst mit unserem Leben ­um und denken darüber nach, wie wir als seine Geschöpfe ­leben wollen. Verantwortung übernehmen – das können ­Roboter nicht für uns erledigen. Das müssen wir ­Menschen schon selbst tun. Vor Gott müssen wir Menschen uns verant­worten, nicht die Algorithmen.

Auch Siri kennt diese Grenze. Auf die Frage: „Siri, was hältst du von Religion?“ kommt die Antwort: „Das kann ich echt nicht sagen.“

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Die Digitalisierung stellt uns vor die gleichen "Herausforderungen" (das Wort ist inzwischen zu einem Hochwert-Modewort verkommen, sicher in Anlehnung an das US-amerikanische Wort "challenge") wie jeder in gewissen Abständen entstehende Wandel der Gesellschaft - ob Sesshaftwerdung der Nomaden, Wandel des Eigentumsbegriffs, ob Entwicklung der Wissenschaften in Griechenland (Aristoteles), ob römische infrastrukturelle Geniestreiche, ob die Herausbildung von funktionierender Administration sehr großer Reiche (Karl der Große), ob die Erfindung der Buchdruckerkunst, die Änderung des Weltbildes durch die "Entdeckung" Amerikas, ob die Entstehung der Nationalstaatsidee, Erfindung der Eisenbahn (und damit der heutigen Uhrzeit), des Telefons, des Radios usw. - stets gab es "Herausforderungen". Stets waren es "Revolutionen" - auch so ein Modewort. Es ist eine Legende und Hybris zu glauben, dass gerade unsere Generation an einem Wendepunkt der Geschichte stünde - ausgerechnet wegen der Digitalisierung. Dieses modische Narrativ ist in Wahrheit ein Wiedergänger, der stets in anderem Gewand wieder auftritt. Wir stehen stets an Wendepunkten, ob wir es merken oder nicht.

Was immer gleich geblieben ist: das ist die Verantwortung für das was wir tun. Und auch lassen. Uns (und die nachfolgenden Generationen) auf die Verantwortung vorzubereiten, das erfordert unsere Anstrengung. Darin stimmen wir, so schreiben Sie es ja auch, überein.

Und nun zu Ihrem Artikel: Mir fällt auf, dass Sie ohne jegliche Bedenken "Siri" schon in der Überschrift nennen, womit Sie kundtun, dass Sie sich elektronischer Geräte einer weltumspannenden privaten Marktmacht bedienen (nämlich Apple). Damit "framen" Sie Ihre Gedanken:
unterschwellig machen Sie Werbung für diesen Konzern, dessen Ethos sich in sehr überschaubaren Grenzen hält. Warum nehmen Sie noch Cortana?
Nicht andere "digitale Assistenten"? Weil Sie, Herr Bischof, natürlich das Gerät benutzen, das den höchsten Prestigewert hat und am teuersten ist.

Vielleicht wissen Sie das noch nicht einmal; vielleicht haben Ihre Mitabeiterinnen Ihnen dieses gute Stück - ob iPhone oder iPad - einfach gegeben zur Benutzung. Aber die Verantwortung haben Sie; wohl ohne es zu merken, sind Sie instrumentalisiert worden.

Im Übrigen teile ich Ihre Meinung, wie ich sie glaube entnehmen zu
können: Gelassenheit ist angesagt. Vertrauen in unsere Möglchkeiten und das Bewusstsein unseres Menschseins.

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Ich verteufle die Digitalisierung, auch wenn vielleicht 2 oder 3 Prozent von ihr nützlich sind. Ich bin durchaus ein Technikfreund, Technik aber sollte dem Menschen nützen und ihn nicht in Abhängigkeiten stürzen. Die Digitalisierung ist nach meiner Auffassung vorwiegend ökonomistisch motiviert und damit auch ein Aspekt der Refeudalisierung. Die marketingtechnischen Mechanismen, mit denen digitaltechnische Industrieprodukte in der Gesellschaft implantiert werden, sind außerordentlich raffiniert. Hier werden bewusst die Naivität des Konsumenten und seine berechtigten psychologischen und sozialen Bedürfnisse brutal ausgenutzt. Betriebswirtschaftlich soll die Digitalisierung Kosten einsparen, also auch Arbeitsplätze einsparen, die der Volkswirt dann irgendwie anders unterbringen muss, etwa auch durch Mehrkonsum. Das Konkurrenzunternehmen denkt freilich genauso. Das Ergebnis ist eine allgemeine Beschleunigung des Arbeitslebens mit den reichlich bekannten Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen. Immer früher im Leben werden die Menschen auf den Umgang mit digitaltechnischen Industrieprodukten hin konditioniert, und in der Schule werden anthropologisch wichtige Lerninhalte zugunsten digitaltechnischer Lerninhalte zurückgedrängt, ähnlich auch in der Ausbildung. Ein wichtiger Aspekt der Digitalisierung ist auch die Obsoleszenz, ein Eldorado für Produktentwickler und ihre ökonomischen Hintermänner, und natürlich auch für den Volkswirt, denn von jedem künstlich erzeugten Kaufakt fällt auch für ihn etwas ab. Das Paradigma, wonach technische Neuerungen immer auch gut sind, müsste dringend hinterfragt werden, aber wer macht das schon? Wer will schon seinen Arbeitsplatz durch querulatorische Manöver gefährden oder als technikfeindlicher Waldschrat abgestempelt werden? Ach ja, die Verantwortung! Die haben wir längst nicht mehr, die haben wir längst an die allgemeine Produktions- und Kapitalverwertungsmaschinerie abgegeben. Fällt mir zum Schluss noch ein Gedanke von Harald Welzer ein: „Die Digitalisierung löst Probleme, die sie selbst geschaffen hat, und die wir vor 30 Jahren noch nicht hatten.“ Ja, es gibt den Teufel, wir müssen ihn nur erkennen!

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Das Plädoyer von Heinrich Bedford-Strohm für einen differenzierten Umgang mit der Digitalisierung führt in die richtige Richtung. Schließlich haben spätestens der jüngste Datenskandal von Facebook oder die nahezu permanente Überwachung von Lagerarbeitern bei Amazon gezeigt, dass die Internetwirtschaft mit Ethikfragen über ihre Geschäftsmodelle immer noch ziemlich fremdelt. Zudem bleibt es wichtig, dass es für die ältere Generation, die nicht etwas mit Computern anfangen kann, Ausnahmeregelungen wie etwa in Dänemark gibt, wo jene trotz eines ausgereiften eGovernment weiterhin mit sämtlichen Behörden über per Hand geschriebene Briefe kommunizieren darf. Deshalb sollte die Evangelische Kirche in Deutschland die Disruption in jedem Fall aktiv begleiten, da es hier nicht nur um Arbeitsplätze, sondern den Zusammenhalt geht und die sogenannte künstliche Intelligenz in der Tat niemals ein eigenständiges und mitverantwortliches Denken der Menschen ersetzen kann!

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